Rainer Maria Rilke
Menschen bei Nacht
Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht.
Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht,
und du sollst ihn nicht suchen trotzdem.
Und machst du nachts deine Stube licht,
um Menschen zu schauen ins Angesicht,
so mußt du bedenken: wem.
Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt,
das von ihren Gesichtern träuft,
und haben sie nachts sich zusammengesellt,
so schaust du eine wankende Welt
durcheinandergehäuft.
Auf ihren Stirnen hat gelber Schein
alle Gedanken verdrängt,
in ihren Blicken flackert der Wein,
an ihren Händen hängt
die schwere Gebärde, mit der sie sich
bei ihren Gesprächen verstehn;
und dabei sagen sie: Ich und Ich
und meinen: Irgendwen.
Max Dauthendey
Nacht um Nacht
Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
Er wird des Abends Herr im Meer,
Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.
Ich hab’ ihm forschend nachgestarrt,
Ich fragte ihn: „Wohin so spät?“
- Auch er weiß nicht, wohin es geht.
Max Dauthendey
Nun wieder Nacht
Nun wieder Nacht.
Die Sterne nicken im schwarzen Blau.
Ich fühle dein Auge von ferne.
Dein Auge wacht einsam,
Und deine Lippen wachen,
Deine sehnsüchtigen Lippen.
Ich schleiche zur Ferne, von Stern zu Stern,
Bis ich deine Lippen erreiche,
Deine sehnenden Lippen.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Manche Nacht
Wenn die Felder sich verdunkeln,
fühl'ich, wird mein Auge heller,
schon versucht ein Stern zu funkeln
und die Grillen klingen schneller,
jeder Laut wird bilderreicher,
das Gewohnte sonderbarer,
hinterm Wald der Himmel bleicher,
jeder Wipfel hebt sich klarer,
und du merkst es nicht im Schreiten,
wie das Licht verhundertfältigt
sich entringt den Dunkelheiten,
plötzlich stehst du überwältigt.
Klabund
Laß mich einmal eine Nacht
Ohne böse Träume schlafen,
Der du mich aufs Meer gebracht:
Führ mich in den lichten Hafen!
Wo die großen Schiffe ruhn,
Wo die Lauten silbern klingen,
Wo auf weißen, seidnen Schuhn
Heilige Kellnerinnen springen.
Wo es keine Ausfahrt gibt,
Wo wir alle jene trafen,
Die wir himmlisch einst geliebt –
Laß mich schlafen... laß mich schlafen...
Stefan George
Nacht
Gänge des tages sind weit.
Reisst der verworrene wald
Uns in vergessen so bald?
Hinter dem nächtigen zaun
Fasst uns des bannes geraun –
Uns dem versinken geweiht.
Bäume zu leuchtendem tor
Ragen als leitern empor:
Locken in pfadlosen wahn ·
Treiben in schimmernde bahn.
Wankt den umschlungnen der grund?
Ist dies dein odem in mir ·
Luft aus des rausches revier
Was unsre leiber vermischt
Uns durch das finster verwischt
In einem schaurigen bund?
Horch eine stimme wird wach!
Blüten-umsponnenem fach
Heiliger brunnen entsprang ·
Sendet den einfachen sang
Klar durch das dickicht einher ..
Mahnt an lebendige lust
Uns: zu verfallen bewusst
Dunkelster trunkenheit ·
Uns: zu zerrinnen bereit
In einem träumenden meer.
Rudolf G. Binding
Nacht
Nacht erstickt das Licht.
Nacht beschläft das Laute.
Um uns nur das Dichte.
In uns das Betaute.
Stumme Stunden tropfen
tiefstem Dienst verbunden:
ihre Pulse klopfen
in Verdunkelungen.
Ganz entferntes Gestern
ist von uns geronnen
und die künftigen Schwestern
sind noch ungesponnen.
Regloses Erbarmen:
Welle, Fahrt und Wille
etirbt in dunklen Armen
einer großen Stille.
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