Der wilde Mann, die weiche Mann, das Vielemann
1.
Auf! Last uns irgend jemanden erschlagen!
Sie fragen: Wen?
Wie feig schon, überhaupt zu fragen.
Halt irgend wen, den oder den.
So irgend jemand mitten aus der Mitte
Urplötzlich töten, hei, wie das belebt!
Weil's Aufsehn macht.
Denn Töten ist nicht Sitte,
Sondern ein Sport, vor dem die Mehrheit bebt.
Nicht solche töten, die uns Grund gegeben,
Noch etwa Greise oder Weib und Kind,
Auch last uns Töter gegenseitig leben,
Weil wir doch schließlich keine Henker sind.
Was über achtzig Jahr und unter zehn
Jahr ist, sind faule, unbrauchbare Drohnen.
Den andern aber muß man zugestehn,
Daß sie was leisten, und die laßt uns schonen.
2.
Auf! Laßt uns all mitnander Ei-ei machen!
Auf! Fistet Pazi und seid friedlich froh!
Verklebt aus Liebe unter heitrem Lachen
Mit Bruderkuß den feindlichsten Popo.
Krieg, Haß und Neid und alle widrigen
Gefühle fort! Dem Herzen gebt Gehör!
Wir wollen uns freiwillig selbst erniedrigen.
Und wer uns anspeit, sei uns Parfumeur.
Ein Reich zu gründen und dafür zu werben
Gilt es, das ganz und gar dem Himmel gleicht.
Seid überzeugt: Wir werden drüber sterben.
Doch, wenn wir leben blieben, wär's erreicht.
3.
Warum denn immer alles übertreiben?
Warum denn links? Warum denn rechts?
Um Gottes willen, laßt uns mäßig bleiben,
Nicht männlichen, nicht weiblichen Geschlechts.
Hübsch angepaßt und jede Reibung meiden!
Nicht hart, nicht weich! Nicht Ja, nicht Nein!
Auf alles hören und sich nie entscheiden.
Wer weiß, wie's kommt. Man muß gewappnet sein.
Denn golden ist der goldne Weg der Mitte.
Man ißt und zeugt und schläft schön ungestört,
Regt sich nicht auf um "danke" oder "bitte
Und weiß und lebt und stirbt, wie sich's gehört.
Joachim Ringelnatz
Ein bettelarmer, braver Mann,
Der Tag und Nacht nur Gutes sann
Und gar nichts mehr zu essen hatte
Als eine halbverweste Ratte,
Der auch kein Bett besass zum Schlafen,
Der ging in seiner höchsten Not
Zu einem reichen, stolzen Grafen
Und bat ihn um ein Stückchen Brot.
Der Graf nahm das gewaltig übel
Und schlug mit dem Champagnerkübel
Den braven Bettler lächelnd tot.
Doch niemand wagte es, den Grafen
Für solche Freveltat zu strafen.
Und deshalb wurde sein Betragen
Dann mit den Jahren noch viel schlimmer. –
So manchen Leser hör’ ich sagen:
Ja, ja! – ja, ja! – So ist das immer!
Ich aber denke still für mich:
Der Leser ist ein Gänserich.
Joachim Ringelnatz .
Alter Mann spricht junges Mädchen an
Guten Tag! - Wie du dich bemühst,
Keine Antwort auszusprechen.
"Guten Tag" in die Luft gegrüßt,
Ist das wohl ein Sittlichkeitsverbrechen?
Jage mich nicht fort.
Ich will dich nicht verjagen.
Nun werde ich jedes weitere Wort
Zu meinem Spazierstock sagen:
Sprich mich nicht an und sieh mich nicht,
Du Schlankes.
Ich hatte auch einmal ein so blankes,
Junges Gesicht.
Wie viele hatten,
Was du noch hast.
Schenke mir nur deinen Schatten
Für eine kurze Rast.
Joachim Ringelnatz
Der Mann, der ...
Der Mann, der meine Schuhe putzt
Am Bahnhofsplatz,
Hat abends, wenn er die Trambahn benutzt,
Neben sich einen Schatz.
Wie gern würde ich diesem Kind
Auch mal die Schuhe reinigen.
Jedoch sie sagt: „Baron, Sie sind
Ein dickes Schweinigen.“
Weil mir das Titelchen „Baron“
Nicht zukommt, noch mir nutzt,
Gab ich heute Extralohn
Dem Mann, der meine Schuhe putzt.
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