Im Sturm
Wagt' ich mich von des Lebens Strand
Zu weit hinaus? In Dunkel schwand
Des Tages letzter Schimmer;
Nur hie und da hinunter gießt
Ein Blitz, der durch die Wolken schießt,
Sein zackiges Geflimmer.
Bis auf des Meeres schwarzen Grund
Hinab reißt uns der Wogenschlund;
Dann wieder auf den Wellen
Wirft himmelwärts der Sturm das Schiff;
Ein Stoß nur, und am Felsenriff
Des Kaps muß es zerschellen.
Auch du, zu dem als Kind empor
An meines Vaterhauses Tor
Ich schon in Andacht schaute,
Verhüllst du dich in Finsternis,
O Stern, auf den ich siegsgewiß
Des Lebens Hoffnung baute?
Du hörtest meinen Seelenschwur,
Daß nicht auf Erden meine Spur
Im Wind verwehen solle,
Und gabst mir Mut auf meinem Gang
Und Kraft, wenn ich empor mich rang
Vom Staub der niedern Scholle.
Strahl auf! Ich fände Ruhe nicht
Dort unten, wenn ich Luft und Licht
Zu früh verlassen müsste!
Noch ist mein Tagwerk nicht vollbracht;
O führ zurück durch Sturm und Nacht
Mich an des Lebens Küste!
Theodor Fontane
Ein Sturm
Der Sturm will jagen: auf fährt er vom Sitz
In seinem zerklüfteten Schlosse,
Er ruft seinen Diener, den flüchtigen Blitz,
Und schwingt sich jauchzend zu Rosse;
Dann probt er die Kraft seiner nervigen Hand
Und schleudert die Tanne, die vor ihm stand,
Gleich einem Ball in die Lüfte.
Die Jagd hebt an: vom Felsenhorst
Stürzt er mit klaffender Meute
Und spürt in Schluchten und Urwaldforst
Nach tausendjähriger Beute.
Von Norden her saust er und braust er heran,
Und jetzt durch Wodstocks mächtigen Tann
Schrillt seine gellende Pfeife.
Es ächzt und stöhnt der geschüttelte Wald -
Umsonst, ihn rettet kein Jammern!
Wie fest die Eiche sich klammert und krallt,
Zerbrochen werden die Klammern.
Und was von der Hand des Sturmes nicht fällt,
Das wird vom Speere des Blitzes zerspellt -
Tot liegen die Riesen des Waldes.
Und weiter geht es auf schnaubendem Roß,
Die Hufe stampfen und schlagen,
Verhängten Zügels an Woodstock-Schloß
Will er vorüber jagen:
Sieh, da stutzt er - an Söllers Rand
Steht ein Mädchen und hebt die Hand
Und ruft: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« Er fängt es auf
Und trägt es fort in die Lüfte;
Mit Donnerstimme auf seinem Lauf
Ruft er's in Wälder und Klüfte;
Der schäumenden See jetzt schrillt er's ins Ohr,
Und die Wasser der Tiefe steigen empor
Und horchen: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« An Frankreichs Strand
Gellt es der fliegende Reiter;
Die Städte hindurch, hin über das Land
Braust er weiter und weiter;
Da flattert's wie Linnen auf offenem Feld,
Und lauter an König Heinrichs Zelt
Ruft er: »O komm, o rette!«
Der König hört's; der rüttelnde Sturm
Entriß ihn finsterem Traume:
Er sah einen nagenden Totenwurm
An einem blühenden Baume -
Er denkt des Traumes und steigt zu Schiff,
Ihn kümmert nicht Woge, ihn kümmert nicht Riff,
Er hört nur: »Rette, rette!«
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