Der Mond und die Sonne
Der Mond sprach einstens zu der Sonne:
„Es dünket mich, dein heißer Schein
Recht wunderlich und fremd zu sein:
Strahlst du auf Wachs, gleich ist’s zerronnen,
Und strahlst du auf den weichen Ton,
So wird er spröd und hart davon;
Die graue Leinwand kannst du bleichen,
Das man sie weiß und blendend schaut,
Hingegen eine weiße Haut
Mit braunen Farben überstreichen;
Noch mehr, du wässerst Mensch und Vieh,
Wenn sie gehäufte Tropfen schwitzen,
Und leckst mit gleicher leichter Müh’
Das Wasser doch aus Bach und Pfützen.
Deswegen nun ersuch ich dich,
Das du, wo möglich, kurz erklärest,
Warum du so veränderlich
In deinen Wirkungen verfährest.“
„Wahr ist es“ , fiel ihr Wort dagegen,
„Es ist also, wie du gesagt,
Doch werd ich unrecht angeklagt,
Die Schuld ist nicht an mir gelegen.
Das meine Wirkung mancherlei,
Liegt vielmehr selber an den Dingen,
In welche meine Strahlen dringen,
Als das ich davon Ursach’ sei;
So, wie ich sie bequem befinde,
Danach riecht ich die Wirkung ein;
Drum muß weich hart und hart gelinde,
Grau weiß und weiß oft schwarzbraun sein.“
Es liegt im menschlichen Gemüte,
Wenn Gottes gleichgesinnte Güte
Nicht immer gleiche Wirkung tut;
Die Absicht zwar ist allzeit gut,
Doch wenn sich ein Erfolg erzeiget,
Den man oft nicht begreifen kann,
Ist unser Herz bloß schuld daran,
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