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2013-12-18

Fabeln d. Aufklärung-T3-Der unbesonnene Rabe v.D. W. Triller (50)





Der unbesonnene Rabe

Ein Rabe fand ein totes Huhn
Nicht weit von einem Dorfe liegen,
Und schrie darüber vor Vergnügen,
Wie diese Vögel meistens tun.

Hierauf kam eine große Schar
Von andern Raben angeflogen,
Die sein Geschrei herzu gezogen;
Und weil er nicht vermögend war,
Dem ganzen Schwarm zu widerstreben,
Musst er sich auf die Flucht begeben;
Doch rief er noch, indem er wich:
»O hätte ich mich nicht selbst verraten,
Dann hätt ich jetzt noch meinen Braten,
Den mir das Glück beschert, für mich;
So muss ich nun mit leerem Magen,
Mein törichtes Geschrei beklagen,
Das andern Speis und Vorteil bringt,
Mich aber selbst zum Fasten zwingt:
Hätt ich vielmehr in Ruh gesessen,
So dürft ich jetzt nicht essen sehen,
Ich wär mein eigner Gast und Wirt,
Und niemand hätte mich geirrt.«

Wem sich ein holdes Glück zeigt,
Der tut am besten, wenn er schweigt,
Sonst lockt er nur durch sein Geschrei
Viele Neider mit Gefahr, herbei,
Die ihn um den Besitz bringen.
Wer etwas hat, mag es still genießen,
Und mach davon kein groß Geräusch:
Wenn Raben ihr Geschrei ließen,
Behielten sie allein ihr Fleisch,
Und würden, wie das Sprichwort sagt,
Von andern nicht davongejagt.





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