Besuch
Eine treue Seele lag
still zuhaus mit krankem Leibe;
zwischen ihren Fingern staken
zwei drei blühende Weidenzweige,
und die Sonne schien aufs Bett.
Zögernd rührte sich die Hand,
tastete nach meinem Haupt,
aus den sanften Blütenfasern
fiel der gelbe Samenstaub,
wie am Morgen unsrer Liebe.
Trat ein Mädchen blaß herein,
brachte eine blasse Rose,
legte die gebeugte Blume
nieder neben meinem Schooße,
wie zum Abend unsrer Liebe.
Folgte eine hohe Frau;
rot von Nelken eingefaßt
duftete in ihrem Arme
goldgelb eine Ananas,
wie der Mittag unsrer Liebe.
Und die treue Seele sprach:
Sieh, aus allen Himmelsstrichen
bringt mir heute deine Liebe
Frucht und Blüten und Gerüche.
Und ihr stiller Aufblick stach
uns ins Herz.
Otto Ernst
Stiller Besuch
An einem Tag, da Haus und Halde schwieg,
Lag ich auf meinem Ruhebett und schaute
Verhalt’nen Atems meinem Söhnlein zu,
Das fromm aus Hölzern einen Tempel baute.
Am Fenster lag im Abendlicht ein Buch,
Versonnen beugte sich mein Weib darüber;
Im Käfig saß der Vogel auf dem Stock
Und lugte dunklen Aug’s zu ihr hinüber.
Da war’s, daß ich gewußt: das Glück ist da …
Ein Atem ist mir übers Herz gegangen …
Die Luft ist hell von einem gold’nen Blick …
Ein duftend Haar liegt weich auf meinen Wangen …
Und flüstern wollt ich: seht, das Glück ist da!
Doch hielt gebunden mich ein ahnend Bangen –
Das Vöglein sprang von seinem Stock herab –
Da war der lichte, leise Gast gegangen.


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