Ein Hymnus auf den Bürokratismus
Der Deutsche ist im fremden Land
Meist als ein Phi-losoph bekannt;
Man weiß, wir gehn zu jeder Stund
Dem kleinsten Anlaß auf den Grund.
Zu jeder Sache brauchen wir
’ne Menge Zeit und viel Papier.
Darum sei dieses Lied geweiht
Der echten deutschen Gründlichkeit.
Herr Kunz ist Beamter mit kleinem Gehalt.
Er möcht gern etwas mehr, wenn möglich recht bald.
Er hat einen Freund in der Reichstagsfraktion,
Zu dem geht er hin mit der Petition.
»Aber lieber Freund Kunz, das ist ’ne Kleinigkeit für uns.
Gebn Sie her das Ding, das geht äußerst flink.
Bei der nächsten Sitzung kommt die Unterstützung.«
Ja , so sagt er zwar, trotzdem dauert’s ein Jahr,
Dann kommt die erste Lesung, und dann die zweite Lesung.
Bei der ersten Lesung schwankt man hier und da,
Sagt der eine »nein«, sagt der andre »ja«.
Bei der zweiten Lesung wird’s nicht besser sein,
Sagt der eine »ja « , sagt der andre »nein«.
Und nach der Diskussion, das weiß jeder schon —
Geht die Petition in die Kommission.
In der Kommission sitzt man lang im Saal,
Dann verschiebn sie ’s endlich bis aufs nächste Mal,
Und beim nächsten Mal ist’s dieselbe Qual,
Dann sagn sie wieder alle: »Bis zum nächsten Mal.«
Und so geht’s weiter indessen, es vergehn drei, vier Jahr,
Dann ist alles vergessen, es bleibt alles, wie’s war.
Es kommt die Frau Heß zu ’nem Rechtsanwalt an.
Die Frau liegt in Scheidung schon lang mit ihrm Mann.
Sie habn ’nen Sohn von sechs Jahren den beansprucht Frau Heß.
Aber er will ihn auch - und nun gibt’s ’nen Prozeß.
»Aber liebe Frau Heß, da machen wir kurzen Prozeß.
Das fangen wir fein an, wir fangen ganz klein an,
Am Sühne-Termin, da fragen Sie ihn:
>Nun, soll das Kind mein sein?< — Die Antwort wird >nein< sein.
Dann gehn wir ans Schiedsgericht und ans Justizgericht,
Und wenn wir erst soweit stehn, dann kommen die Gerichtsferien.
Dann gehn wir wieder weiter, dann ist es gescheiter,
Man nimmt sich für später noch zwei Stellvertreter.
Herr Meier II und Herr Rosenthal III,
Die kommen dann schon mit der Revision.
Dann wird wieder ein Jahr vergehn, und dann kommen die Gerichtsferien.
Dann gehn wir wieder weiter, dann ist es gescheiter,
Man geht und verschreibt sich — noch ’nen Vertreter in Leipzig,
Denn da ist das Reichsgericht, und was Höheres gibt es nicht.
Und da gewinnen wir schnell — eventuell — .«
Und bis das alles erledigt mit lauter »Aber« und »Wenn«,
Da ist’s nicht mehr nötig, da ist das Kind majorenn.
In der Straßenbahn saß die Frau Schmidt vor ’n paar Tagn,
Hat ’ne Tüte mit Äpfeln und vergißt sie im Wagn.
Das Obst kommt aufs Fundbüro, das ist doch klar.
Dort erscheint bald Frau Schmidt und erzählt alles, wie’s war.
»Aber liebe Frau Schmidt, die kriegn Sie gleich wieder mit.
Hier habn Sie ’n Papier, schreibn Sie auf, bitte sehr,
Wo sind Sie geboren, wie lang ist das her?
Bitte nicht unterbrechen, hier wird nicht geschimpft.
Wo gingen Sie zur Schule? Wann sind Sie geimpft?
Wie alt ist die Mutter, wo wohnt der Papa?
Ach, der wohnt woanders? Dann lassen sie ’n da.
Holn Sie schnell Ihren Mann, der muß mit unterschreibn.
Ach, Ihr Mann ist gestorben? Dann lassen Sie’s bleibn.
Sie habn wohl auch Kinder? Acht?? Ist ein Malheur.
Sein Sie froh, daß er tot ist, sonst kriegtn Sie noch mehr.
Aber nun gehn wir mal weiter. Das Obst, sagten Sie,
Das lag in der Tüte. - Beschreiben Sie die,
Beschreibn Sie die Äpfel, schreibn Sie ganz genau hin,
Wie sahen sie aus! Wie lagen sie drin?
Bringn Sie alle Papiere — vom Geburtsscheine an,
Und bringn Sie den Äpfelverkäufer mit ran.
Der muß unterschreiben, hier auf dem Papier:
>Die Äpfel, die Tüte sind beide von mir.<
Aber für heut ist’s zu spät, wir schließen ’s Lokal,
Und morgen ist Sonntag, komm’n Sie Montag noch mal.«
Und so kommt die Frau Montag, Dienstag, Mittwoch mit ran,
Und am Donnerstag bringn sie die Äpfel ihr an.
Sie schiebn sie ihr hin — ohne Wort, ohne Gruß —
Und sie guckt in die Tüte — und die Äpfel sind Mus.
Und wenn die Frau schimpft - sagn die Leute:
»Wir sind fleißig! Halt’s Maul!« —
Ja , gewiß sind sie fleißig, aber die Äpfel sind faul.
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