> Gedichte und Zitate für alle: Eckermann: Gespräche mit Goethe: 1.Teil- Einleitung (5)

2014-11-08

Eckermann: Gespräche mit Goethe: 1.Teil- Einleitung (5)

 

Überdies war der tägliche Umgang mit ganz vorzüglichen Köpfen unter den Studierenden und das unaufhörliche Besprechen höchster Gegenstände, auf Spaziergängen und oft bis tief in die Nacht hinein, für mich ganz unschätzbar und auf meine immer freiere Entwicklung vom günstigsten Einfluß.


Indessen war das Ende meiner pekuniären Hülfsmittel nicht mehr ferne. Dagegen hatte ich seit anderthalb Jahren täglich neue Schätze des Wissens in mich aufgenommen; ein ferneres Anhäufen ohne ein praktisches Verwenden war meiner Natur und meinem Lebensgange nicht gemäß, und es herrschte daher in mir ein leidenschaftlicher Trieb, mich durch einige schriftstellerische Produktionen wieder frei und nach ferneren Studien wieder begehrlich zu machen.


Sowohl meine dramatische Arbeit, woran ich dem Stoffe nach das Interesse nicht verloren hatte, die aber der Form und dem Gehalte nach bedeutender erscheinen sollte, als auch Ideen in bezug auf Grundsätze der Poesie, die sich besonders als Widerspruch gegen damals herrschende Ansichten entwickelt hatten, gedachte ich hintereinander auszusprechen und zu vollenden. Ich verließ daher im Herbst 1822 die Universität und bezog eine ländliche Wohnung in der Nähe von Hannover. Ich schrieb zunächst jene theoretischen Aufsätze, von denen ich hoffte, daß sie besonders bei jungen Talenten nicht allein zur Hervorbringung, sondern auch zur Beurteilung dichterischer Werke beitragen würden, und gab ihnen den Titel "Beiträge zur Poesie" Im Mai 1823 war ich mit dieser Arbeit zustande. Es kam mir nun in meiner Lage nicht allein darauf an, einen guten Verleger, sondern auch ein gutes Honorar zu erhalten, und so entschloß ich mich kurz und schickte das Manuskript an Goethe und bat ihn um einige empfehlende Worte an Herrn von Cotta.


Goethe war nach wie vor derjenige unter den Dichtern, zu dem ich täglich als meinem untrüglichen Leitstern hinaufblickte, dessen Aussprüche mit meiner Denkungsweise in Harmonie standen und mich auf einen immer höheren Punkt der Ansicht stellten, dessen hohe Kunst in Behandlung der verschiedensten Gegenstände ich immer mehr zu ergründen und ihr nachzustreben suchte, und gegen den meine innige Liebe und Verehrung fast leidenschaftlicher Natur war. Bald nach meiner Ankunft in Göttingen hatte ich ihm, neben einer kleinen Skizze meines Lebens- und Bildungsganges, ein Exemplar meiner Gedichte zugesendet, worauf ich denn die große Freude erlebte, nicht allein von ihm einige schriftliche Worte zu erhalten, sondern auch von Reisenden zu hören, daß er von mir eine gute Meinung habe und in den Heften von "Kunst und Altertum" meiner gedenken wolle.


Dieses zu wissen war für mich in meiner damaligen Lage von großer Bedeutung, sowie es mir auch jetzt den Mut gab, das soeben vollendete Manuskript vertrauensvoll an ihn zu senden. Es lebte nun in mir kein anderer Trieb, als ihm einmal einige Augenblicke persönlich nahe zu sein; und so machte ich mich denn zur Erreichung dieses Wunsches gegen Ende des Monats Mai auf und wanderte zu Fuß über Göttingen und das Werratal nach Weimar . 


Auf diesem wegen großer Hitze oft mühsamen Wege hatte ich in meinem Innern wiederholt den tröstlichen Eindruck, als stehe ich unter der besonderen Leitung gütiger Wesen und als möchte dieser Gang für mein ferneres Leben von wichtigen Folgen sein.

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