Sonntag, den 25. Dezember 1825
Ich ging diesen Abend um sechs Uhr zu Goethe, den ich alleine fand und mit dem ich einige schöne Stunden verlebte.
»Mein Gemüt«, sagte er, »war diese Zeit her durch vieles belästiget; es war mir von allen Seiten her so viel Gutes geschehen, daß ich vor lauter Danksagungen nicht zum eigentlichen Leben kommen konnte. Die Privilegien wegen des Verlags meiner Werke gingen nach und nach von den Höfen ein, und weil die Verhältnisse bei jedem anders waren, so verlangte auch jeder Fall eine eigene Erwiderung. Nun kamen die Anträge unzähliger Buchhändler, die auch bedacht, behandelt und beantwortet sein wollten. Dann, mein Jubiläum brachte mir so tausendfältiges Gute, daß ich mit den Danksagungsbriefen noch jetzt nicht fertig bin. Man will doch nicht hohl und allgemein sein, sondern jedem doch gerne etwas Schickliches und Gehöriges sagen. Jetzt aber werde ich nach und nach frei, und ich fühle mich wieder zu Unterhaltungen aufgelegt.
Ich habe in diesen Tagen eine Bemerkung gemacht, die ich Ihnen doch mitteilen will.
Alles, was wir tun, hat eine Folge. Aber das Kluge und Rechte bringt nicht immer etwas Günstiges, und das Verkehrte nicht immer etwas Ungünstiges hervor, vielmehr wirkt es oftmals ganz im Gegenteil.
Ich machte vor einiger Zeit, eben bei jenen Unterhandlungen mit Buchhändlern, einen Fehler, und es tat mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben sich die Umstände so geändert, daß ich einen großen Fehler begangen haben würde, wenn ich jenen nicht gemacht hätte. Dergleichen wiederholt sich im Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Dreistigkeit zu Werke gehen.«
Ich merkte mir diese Beobachtung, die mir neu war. Ich brachte sodann das Gespräch auf einige seiner Werke, und wir kamen auch auf die Elegie "Alexis und Dora".
»An diesem Gedicht«, sagte Goethe, »tadelten die Menschen den starken leidenschaftlichen Schluß und verlangten, daß die Elegie sanft und ruhig ausgehen solle, ohne jene eifersüchtige Aufwallung; allein ich konnte nicht einsehen, daß jene Menschen recht hätten. Die Eifersucht liegt hier so nahe und ist so in der Sache, daß dem Gedicht etwas fehlen würde, wenn sie nicht da wäre. Ich habe selbst einen jungen Menschen gekannt, der in leidenschaftlicher Liebe zu einem schnell gewonnenen Mädchen ausrief: Aber wird sie es nicht einem andern ebenso machen wie mir?«
Ich stimmte Goethen vollkommen bei und erwähnte sodann der eigentümlichen Zustände dieser Elegie, wo in so kleinem Raum mit wenig Zügen alles so wohl gezeichnet sei, daß man die häusliche Umgebung und das ganze Leben der handelnden Personen darin zu erblicken glaube. »Das Dargestellte erscheint so wahr,« sagte ich, »als ob Sie nach einem wirklich Erlebten gearbeitet hätten.«
»Es ist mir lieb,« antwortete Goethe, »wenn es Ihnen so erscheint. Es gibt indes wenige Menschen, die eine Phantasie für die Wahrheit des Realen besitzen, vielmehr ergehen sie sich gerne in seltsamen Ländern und Zuständen, wovon sie gar keine Begriffe haben und die ihre Phantasie ihnen wunderlich genug ausbilden mag.
Und dann gibt es wieder andere, die durchaus am Realen kleben und, weil es ihnen an aller Poesie fehlt, daran gar zu enge Forderungen machen. So verlangten z. B. einige bei dieser Elegie, daß ich dem Alexis hätte einen Bedienten beigeben sollen, um sein Bündelchen zu tragen; die Menschen bedenken aber nicht, daß alles Poetische und Idyllische jenes Zustandes dadurch wäre gestört worden.
«Von "Alexis und Dora" lenkte sich das Gespräch auf den "Wilhelm Meister.
»Es gibt wunderliche Kritiker«, fuhr Goethe fort. »An diesem Roman tadelten sie, daß der Held sich zuviel in schlechter Gesellschaft befinde. Dadurch aber, daß ich die sogenannte schlechte Gesellschaft als Gefäß betrachtete, um das, was ich von der guten zu sagen hatte, darin niederzulegen, gewann ich einen poetischen Körper und einen mannigfaltigen dazu. Hätte ich aber die gute Gesellschaft wieder durch sogenannte gute Gesellschaft zeichnen wollen, so hätte niemand das Buch lesen mögen.
Den anscheinenden Geringfügigkeiten des "Wilhelm Meister" liegt immer etwas Höheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkenntnis und Übersicht genug besitze, um im Kleinen das Größere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genügen.«
Goethe zeigte mir darauf ein höchst bedeutendes englisches Werk, welches in Kupfern den ganzen Shakespeare darstellte. Jede Seite umfaßt ein sechs kleinen Bildern ein besonderes Stück mit einigen untergeschriebenen Versen, so daß der Hauptbegriff und die bedeutendsten Situationen des jedesmaligen Werkes dadurch vor die Augen traten. Alle die unsterblichen Trauerspiele und Lustspiele gingen auf solche Weise, gleich Maskenzügen, dem Geiste vorüber.
»Man erschrickt,« sagte Goethe, »wenn man diese Bilderchen durchsieht. Da wird man erst gewahr, wie unendlich reich und groß Shakespeare ist! Da ist doch kein Motiv des Menschenlebens, das er nicht dargestellt und ausgesprochen hätte. Und alles mit welcher Leichtigkeit und Freiheit!
Man kann über Shakespeare gar nicht reden, es ist alles unzulänglich. Ich habe in meinem "Wilhelm Meister" an ihm herumgetupft; allein das will nicht viel heißen. Er ist kein Theaterdichter, an die Bühne hat er nie gedacht, sie war seinem großen Geiste viel zu enge; ja selbst die ganze sichtbare Welt war ihm zu enge.
Er ist gar zu reich und zu gewaltig. Eine produktive Natur darf alle Jahre nur ein Stück von ihm lesen, wenn sie nicht an ihm zugrunde gehen will. Ich tat wohl, daß ich durch meinen "Götz von Berlichingen" und "Egmont" ihn mir vom Halse schaffte, und Byron tat sehr wohl, daß er vor ihm nicht zu großen Respekt hatte und seine eigenen Wege ging. Wie viel treffliche Deutsche sind nicht an ihm zugrunde gegangen, an ihm und Calderon!
Shakespeare«, fuhr Goethe fort, »gibt uns in silbernen Schalen goldene Äpfel. Wir bekommen nun wohl durch das Studium seiner Stücke die silberne Schale, allein wir haben nur Kartoffeln hineinzutun, das ist das Schlimme!«
Ich lachte und freute mich des herrlichen Gleichnisses.
Goethe las mir darauf einen Brief von Zelter über eine Darstellung des "Macbeth" in Berlin, wo die Musik mit dem großen Geiste und Charakter des Stückes nicht hatte Schritt halten können und worüber nun Zelter sich in verschiedenen Andeutungen auslässet. Durch Goethes Vorlesen gewann der Brief sein volles Leben wieder, und Goethe hielt oft inne, um sich mit mir über das Treffende einzelner Stellen zufreuen.
»Macbeth«, sagte Goethe bei dieser Gelegenheit, »halte ich für Shakespeares bestes Theaterstück; es ist darin der meiste Verstand in bezug auf die Bühne. Wollen Sie aber seinen freien Geist erkennen, so lesen Sie "Troilus und Cressida", wo er den Stoff der "Ilias" auf seine Weise behandelt.«
Das Gespräch wendete sich auf Byron, und zwar wie er gegen Shakespeares unschuldige Heiterkeit im Nachteil stehe, und wie er durch sein vielfältig negatives Wirken sich so häufigen und meistenteils nicht ungerechten Tadel zugezogen habe.»Hätte Byron Gelegenheit gehabt,« sagte Goethe, »sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Äußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poet weit reiner dastehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und auszusprechen. Einen großen Teil der negativen Wirkungen Byrons möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen, und ich glaube sie dadurch nicht unpassend bezeichnet zu haben.«
Wir sprachen darauf über Platen, dessen negative Richtung gleichfalls nicht gebilliget wurde. »Es ist nicht zu leugnen,«sagte Goethe, »er besitzt manche glänzende Eigenschaften: allein ihm fehlt - die Liebe. Er liebt so wenig seine Leser und seine Mitpoeten als sich selber, und so kommt man in den Fall, auch auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: "Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." Noch in diesen Tagen habe ich Gedichte von Platen gelesen und sein reiches Talent nicht verkennen können. Allein, wie gesagt, die Liebe fehlt ihm, und so wird er auch nie so wirken, als er hätte müssen. Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer sein, die gern wie er negativ wären, aber nicht wie er das Talent haben.«
1826
Sonntagabend, den 29. Januar 1826
Der erste deutsche Improvisator, Doktor Wolff aus Hamburg, ist seit mehreren Tagen hier und hat auch bereits öffentlich Proben seines seltenen Talentes abgelegt. Freitag abend gab er ein glänzendes Improvisatorium vor sehr zahlreichen Zuhörern und in Gegenwart des weimarischen Hofes. Noch an selbigem Abend erhielt er eine Einladung zu Goethe auf nächsten Mittag.
Ich sprach Doktor Wolff gestern abend, nachdem er mittags vor Goethe improvisiert hatte. Er war sehr beglückt und äußerte, daß diese Stunde in seinem Leben Epoche machen würde, indem Goethe ihn mit wenigen Worten auf eine ganz neue Bahn gebracht und in dem, was er an ihm getadelt, den Nagel auf den Kopf getroffen hätte.
Diesen Abend nun, als ich bei Goethe war, kam das Gespräch sogleich auf Wolff. »Doktor Wolff ist sehr glücklich,« sagte ich,»daß Euer Exzellenz ihm einen guten Rat gegeben.«
»Ich bin aufrichtig gegen ihn gewesen,« sagte Goethe; »und wenn meine Worte auf ihn gewirkt und ihn angeregt haben, so ist das ein sehr gutes Zeichen. Er ist ein entschiedenes Talent, daran ist kein Zweifel, allein er leidet an der allgemeinen Krankheit der jetzigen Zeit, an der Subjektivität, und davon möchte ich ihn heilen. Ich gab ihm eine Aufgabe, um ihn zu versuchen. Schildern Sie mir, sagte ich, Ihre Rückkehr nach Hamburg. Dazu war er nun sogleich bereit und fing auf der Stelle in wohlklingenden Versen zu sprechen an. Ich mußte ihn bewundern, allein ich konnte ihn nicht loben. Nicht die Rückkehr nach Hamburg schilderte er mir, sondern nur die Empfindungen der Rückkehr eines Sohnes zu Eltern, Anverwandten und Freunden, und sein Gedicht konnte ebensogut für eine Rückkehr nach Merseburg und Jena als für eine Rückkehr nach Hamburg gelten. Was ist aber Hamburg für eine ausgezeichnete, eigenartige Stadt, und welch ein reiches Feld für die speziellsten Schilderungen bot sich ihm dar, wenn er das Objekt gehörig zu ergreifen gewußt und gewagt hätte!«
Ich bemerkte, daß das Publikum an solcher subjektiven Richtung schuld sei, indem es allen Gefühlssachen einen entschiedenen Beifall schenke.
»Mag sein,« sagte Goethe; »allein wenn man dem Publikum das Bessere gibt, so ist es noch zufriedener. Ich bin gewiß, wenn es einem improvisierenden Talent wie Wolff gelänge, das Leben großer Städte wie Rom, Neapel, Wien, Hamburg und London mit aller treffenden Wahrheit zu schildern und so lebendig, daß sie glaubten, es mit eigenen Augen zu sehen, er würde alles entzücken und hinreißen. Wenn er zum Objektiven durchbricht, so ist er geborgen: es liegt in ihm, denn er ist nicht ohne Phantasie. Nur muß er sich schnell entschließen und es zu ergreifen wagen.«
»Ich fürchte«, sagte ich, »daß dieses schwerer ist, als man glaubt, denn es erfordert eine Umwandlung der ganzen Denkweise. Gelingt es ihm, so wird auf jeden Fall ein augenblicklicher Stillstand in der Produktion eintreten, und es wird eine lange Übung erfordern, bis ihm auch das Objektive geläufig und zur zweiten Natur werde.«
»Freilich«, erwiderte Goethe, »ist dieser Überschritt ungeheuer; aber er muß nur Mut haben und sich schnell entschließen. Es ist damit wie beim Baden die Scheu vor dem Wasser, man muß nur rasch hineinspringen und das Element wird unser sein.
Wenn einer singen lernen will,« fuhr Goethe fort, »sind ihm alle diejenigen Töne, die in seiner Kehle liegen, natürlich und leicht; die andern aber, die nicht in seiner Kehle liegen, sind ihm anfänglich äußerst schwer. Um aber ein Sänger zu werden, muß er sie überwinden, denn sie müssen ihm alle zu Gebote stehen. Ebenso ist es mit einem Dichter. Solange er bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht, ist er noch keiner zu nennen; aber sobald er die Welt sich anzueignen und auszusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann immer neu sein, wogegen aber eine subjektive Natur ihr bißchen Inneres bald ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zugrunde geht.
Man spricht immer vom Studium der Alten; allein was will das anders sagen als: richte dich auf die wirkliche Welt und suche sie auszusprechen; denn das taten die Alten auch, da sie lebten.«Goethe stand auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich, wie er es gerne hat, auf meinem Stuhle am Tische sitzen blieb. Er stand einen Augenblick am Ofen, dann aber, wie einer, der etwas bedacht hat, trat er zu mir heran, und den Finger an den Mund gelegt, sagte er folgendes:
»Ich will Ihnen etwas entdecken, und Sie werden es in Ihrem Leben vielfach bestätiget finden. Alle im Rückschreiten und in der Auflösung begriffenen Epochen sind subjektiv, dagegen aber haben alle vorschreitenden Epochen eine objektive Richtung. Unsere ganze jetzige Zeit ist eine rückschreitende, denn sie ist eine subjektive. Dieses sehen Sie nicht bloß an der Poesie, sondern auch an der Malerei und vielem anderen. Jedes tüchtige Bestreben dagegen wendet sich aus dem Inneren hinaus auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen sehen, die wirklich im Streben und Vorschreiten begriffen und alle objektiver Natur waren.«
Die ausgesprochenen Worte gaben Anlaß zu der geistreichsten Unterhaltung, wobei besonders der großen Zeit des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts gedacht wurde.
Das Gespräch lenkte sich sodann auf das Theater und das Schwache, Empfindsame und Trübselige der neueren Erscheinungen. »Ich tröste und stärke mich jetzt an Moliere«, sagte ich.»Seinen "Geizigen" habe ich übersetzt und beschäftige mich nun mit seinem "Arzt wider Willen". Was ist doch Moliere für ein großer, reiner Mensch!«- »Ja,« sagte Goethe, »reiner Mensch, das ist das eigentliche Wort, was man von ihm sagen kann; es ist an ihm nichts verbogen und verbildet. Und nun diese Großheit! Er beherrschte die Sitten seiner Zeit, wogegen aber unsere Iffland und Kotzebue sich von den Sitten der ihrigen beherrschen ließen und darin beschränkt und befangen waren. Moliere züchtigte die Menschen, indem er sie in ihrer Wahrheit zeichnete.«
»Ich möchte etwas darum geben,« sagte ich, »wenn ich die Moliereschen Stücke in ihrer ganzen Reinheit auf der Bühne sehen könnte; allein dem Publikum, wie ich es kenne, muß dergleichen viel zu stark und natürlich sein. Sollte diese Überverfeinerung nicht von der sogenannten idealen Literatur gewisser Autoren herrühren ?«
»Nein,« sagte Goethe, »sie kommt aus der Gesellschaft selbst. Und dann, was tun unsere jungen Mädchen im Theater ? Sie gehören gar nicht hinein, sie gehören ins Kloster, und das Theater ist bloß für Männer und Frauen, die mit menschlichen Dingen bekannt sind. Als Moliere schrieb, waren die Mädchen im Kloster, und er hatte auf sie gar keine Rücksicht zu nehmen.
Da wir nun aber unsere jungen Mädchen schwerlich hinausbringen und man nicht aufhören wird, Stücke zu geben, die schwach und eben darum diesen recht sind, so seid klug und macht es wie ich und geht nicht hinein.
Ich habe am Theater nur so lange ein wahrhaftes Interesse gehabt, als ich dabei praktisch einwirken konnte. Es war meine Freude, die Anstalt auf eine höhere Stufe zu bringen, und ich nahm bei den Vorstellungen weniger Anteil an den Stücken, als daß ich darauf sah, ob die Schauspieler ihre Sachen recht machten oder nicht. Was ich zu tadeln hatte, schickte ich am andern Morgen dem Regisseur auf einem Zettel, und ich konnte gewiß sein, bei der nächsten Vorstellung die Fehler vermieden zu sehen. Nun aber, wo ich beim Theater nicht mehr praktisch einwirken kann, habe ich auch keinen Beruf mehr hineinzugehen. Ich müßte das Mangelhafte geschehen lassen, ohne es verbessern zu können, und das ist nicht meine Sache.
Mit dem Lesen von Stücken geht es mir nicht besser. Die jungen deutschen Dichter schicken mir immerfort Trauerspiele; allein was soll ich damit ? Ich habe die deutschen Stücke immer nur in der Absicht gelesen, ob ich sie könnte spielen lassen; übrigens waren sie mir gleichgültig. Und was soll ich nun in meiner jetzigen Lage mit den Stücken dieser jungen Leute ? Für mich selbst gewinne ich nichts, indem ich lese, wie man es nicht hätte machen sollen, und den jungen Dichtern kann ich nicht nützen bei einer Sache, die schon getan ist. Schickten sie mir statt ihrer gedruckten Stücke den Plan zu einem Stück, so könnte ich wenigstens sagen: mache es, oder mache es nicht, oder mache es so, oder mache es anders; und dabei wäre doch einiger Sinn und Nutzen.
Das ganze Unheil entsteht daher, daß die poetische Kultur in Deutschland sich so sehr verbreitet hat, daß niemand mehr einen schlechten Vers macht. Die jungen Dichter, die mir ihre Werke senden, sind nicht geringer als ihre Vorgänger, und da sie nun jene so hoch gepriesen sehen, so begreifen sie nicht, warum man sie nicht auch preiset. Und doch darf man zu ihrer Aufmunterung nichts tun, eben weil es solcher Talente jetzt zu Hunderten gibt und man das Überflüssige nicht befördern soll, während noch so viel Nützliches zu tun ist. Wäre ein einzelner, der über alle hervorragte, so wäre es gut, denn der Welt kann nur mit dem Außerordentlichen gedient sein.«
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