Sonntag, den 31. Januar 1830
Bei Goethe zu Tisch. Wir sprachen über Milton. »Ich habe vor nicht langer Zeit seinen "Simson" gelesen,« sagte Goethe, »der so im Sinne der Alten ist wie kein anderes Stück irgendeines neueren Dichters. Es ist sehr groß; und seine eigene Blindheit ist ihm zustatten gekommen, um den Zustand Simsons mit solcher Wahrheit darzustellen. Milton war in der Tat ein Poet, und man muß vor ihm allen Respekt haben.«
Es kommen verschiedene Zeitungen, und wir sehen in den Berliner Theaternachrichten, daß man Seeungeheuer und Walfische auf die dortige Bühne gebracht.
Goethe liest in der französischen Zeitschrift "Le Temps" einen Artikel über die enorme Besoldung der englischen Geistlichkeit, die mehr beträgt als die in der ganzen übrigen Christenheit zusammen. »Man hat behauptet,« sagte Goethe, »die Welt werde durch Zahlen regiert; das aber weiß ich, daß die Zahlen uns belehren, ob sie gut oder schlecht regiert werde.«
Mittwoch, den 3. Februar 1830
Bei Goethe zu Tisch. Wir sprachen über Mozart. »Ich habe ihn als siebenjährigen Knaben gesehen,« sagte Goethe, »wo er auf einer Durchreise ein Konzert gab. Ich selber war etwa vierzehn Jahre alt, und ich erinnere mich des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen noch ganz deutlich.« Ich machte große Augen, und es war mir ein halbes Wunder, zu hören, daß Goethe alt genug sei, um Mozart als Kind gesehen zu haben.
Sonntag, den 7. Februar 1830
Mit Goethe zu Tisch. Mancherlei Gespräche über Fürst Primas; daß er ihn an der Tafel der Kaiserin von Österreich durch eine geschickte Wendung zu verteidigen gewagt. Des Fürsten Unzulänglichkeit in der Philosophie, sein dilettantischer Trieb zur Malerei, ohne Geschmack. Bild, der Miß Gore geschenkt. Seine Gutherzigkeit und Weichheit, alles wegzugeben, so daß er zuletzt in Armut dagestanden. Gespräche über den Begriff des Desobligeanten.
Nach Tisch stellte sich der junge Goethe, mit Walter und Wolf, in seinem Maskenanzuge als Klingsor dar und fährt an Hof.
Mittwoch, den 10. Februar 1830
Mit Goethe zu Tisch. Er sprach mit wahrer Anerkennung über das Festgedicht Riemers zur Feier des 2.Februar. »Überhaupt,«fügte Goethe hinzu, »was Riemer macht, kann sich vor Meister und Gesellen sehen lassen.«
Wir sprachen sodann über die "Klassische Walpurgisnacht" und daß er dabei auf Dinge komme, die ihn selber überraschen. Auch gehe der Gegenstand mehr auseinander, als er gedacht.
»Ich habe jetzt etwas über die Hälfte,« sagte er, »aber ich will mich dazuhalten und hoffe bis Ostern fertig zu sein. Sie sollen früher nichts weiter davon sehen, aber sobald es fertig ist, gebe ich es Ihnen mit nach Hause, damit Sie es in der Stille prüfen. Wenn Sie nun den achtunddreißigsten und neununddreißigsten Band zusammenstellten, so daß wir Ostern die letzte Lieferung absenden könnten, so wäre es hübsch, und wir hätten den Sommer zu etwas Großem frei. Ich würde im "Faust" bleiben und den vierten Akt zu überwinden suchen.« Ich freute mich dazu und versprach ihm meinerseits jeden Beistand.
Goethe schickte darauf seinen Bedienten, um sich nach der Großherzogin-Mutter zu erkundigen, die sehr krank geworden und deren Zustand ihm bedenklich schien.
»Sie hätte den Maskenzug nicht sehen sollen,« sagte er, »aber fürstliche Personen sind gewohnt, ihren Willen zu haben, und so ist denn alles Protestieren des Hofes und der Ärzte vergeblich gewesen. Dieselbige Willenskraft, mit der sie Napoleon widerstand, setzt sie auch ihrer körperlichen Schwäche entgegen; und so sehe ich es schon kommen, sie wird hingehen, wie der Großherzog, in voller Kraft und Herrschaft des Geistes, wenn der Körper schon aufgehört haben wird zu gehorchen.«Goethe schien sichtbar betrübt und war eine Weile stille. Bald aber sprachen wir wieder über heitere Dinge, und er erzählte mir von einem Buch, zur Rechtfertigung von Hudson Lowe geschrieben.
»Es sind darin Züge der kostbarsten Art,« sagte er, »die nur von unmittelbaren Augenzeugen herrühren können. Sie wissen, Napoleon trug gewöhnlich eine dunkelgrüne Uniform. Von vielem Tragen und Sonne war sie zuletzt völlig unscheinbar geworden so das die Notwendigkeit gefühlt wurde, sie durch eine andere zu ersetzen. Er wünschte dieselbe dunkelgrüne Farbe, allein auf der Insel waren keine Vorräte dieser Art; es fand sich zwar ein grünes Tuch, allein die Farbe war unrein und fiel ins Gelbliche. Eine solche Farbe auf seinen Leib zu nehmen, war nun dem Herrn der Welt unmöglich, und es blieb ihm nichts übrig, als seine alte Uniform wenden zu lassen und sie so zu tragen.
Was sagen Sie dazu? Ist es nicht ein vollkommen tragischer Zug? Ist es nicht rührend, den Herrn der Könige zuletzt soweit reduziert zu sehen, daß er eine gewendete Uniform tragen muß ? Und doch, wenn man bedenkt, daß ein solches Ende einen Mann traf, der das Leben und Glück von Millionen mit Füßen getreten hatte, so ist das Schicksal, das ihm widerfuhr, immer noch sehr milde; es ist eine Nemesis, die nicht umhin kann, in Erwägung der Größe des Helden, immer noch ein wenig galant zu sein. Napoleon gibt uns ein Beispiel, wie gefährlich es sei, sich ins Absolute zu erheben und alles der Ausführung einer Idee zu opfern.«
Wir sprachen noch manches dahin Bezügliche, und ich ging darauf ins Theater, um den "Stern von Sevilla" zu sehen.
Sonntag, den 14. Februar 1830
Diesen Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der mich zu Tisch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht von dem soeben erfolgten Tode der Großherzogin-Mutter. Wie wird das bei seinem hohen Alter auf Goethe wirken! war mein erster Gedanke, und so betrat ich mit einiger Apprehension das Haus. Die Dienerschaft sagte mir, daß seine Schwiegertochter soeben zu ihm gegangen sei, um ihm die betrübende Botschaft mitzuteilen. Seit länger als fünfzig Jahren, sagte ich mir, ist er dieser Fürstin verbunden gewesen, er hat ihrer besonderen Huld und Gnade sich zu erfreuen gehabt, ihr Tod muß ihn tief berühren. Mit solchen Gedanken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war nicht wenig überrascht, ihn vollkommen heiter und kräftig mit seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln am Tisch sitzen und seine Suppe essen zu sehen, als ob eben nichts passiert wäre. Wir sprachen ganz heiter fort über gleichgültige Dinge. Nun fingen alle Glocken der Stadt an zu läuten; Frau von Goethe blickte mich an, und wir redeten lauter, damit die Töne der Todesglocken sein Inneres nicht berühren und erschüttern möchten; denn wir dachten, er empfände wie wir. Er empfand aber nicht wie wir, es stand in seinem Innern gänzlich anders. Er saß vor uns, gleich einem Wesen höherer Art, von irdischen Leiden unberührbar. Hofrat Vogel ließ sich melden; er setzte»ich zu uns und erzählte die einzelnen Umstände von dem Hinscheiden der hohen Verewigten, welches Goethe in seiner bisherigen vollkommensten Ruhe und Fassung aufnahm. Vogel ging wieder, und wir setzten unser Mittagessen und Gespräche fort. Auch vom "Chaos" war viel die Rede, und Goethe pries die "Betrachtungen über das Spiel" in der letzten Nummer als ganz vorzüglich. Als Frau von Goethe mit ihren Söhnen hinaufgegangen war, blieb ich mit Goethe allein. Er erzählte mir von seiner "Klassischen Walpurgisnacht" daß er damit jeden Tag weiter komme und daß ihm wunderbare Dinge über die Erwartung gelängen. Dann zeigte er mir einen Brief des Königs von Bayern, den er heute erhalten und den ich mit großem Interesse las. Die edle treue Gesinnung des Königs sprach sich in jeder Zeile aus, und Goethen schien es besonders wohl zutun, daß der König gegen ihn sich fortwährend so gleich bleibe. Hofrat Soret ließ sich melden und setzte sich zu uns. Er kam mit beruhigenden Trostesworten der kaiserlichen Hoheit an Goethe, die dazu beitrugen, dessen heiter gefaßte Stimmung noch zu erhöhen. Goethe setzt seine Gespräche fort; er erwähnt die berühmte Ninon de Lenclos, die in ihrem sechzehnten Jahre bei großer Schönheit dem Tode nahe gewesen und die Umstehenden in völliger Fassung mit den Worten getröstet habe:"Was ists denn weiter ? Lasse ich doch lauter Sterbliche zurück" Übrigens habe sie fortgelebt und sei neunzig Jahr alt geworden, nachdem sie bis in ihr achtzigstes Hunderte von Liebhabern beglückt und zur Verzweiflung gebracht.
Goethe spricht darauf über Gozzi und dessen Theater zu Venedig, wobei die improvisierenden Schauspieler bloß die Sujets erhielten. Gozzi habe die Meinung gehabt, es gebe nur sechsunddreißig tragische Situationen; Schiller habe geglaubt, es gebe mehr, allein es sei ihm nicht einmal gelungen, nur so viele zu finden. Sodann manches Interessante über Grimm, dessen Geist undCharakter und sehr geringes Vertrauen zum Papiergelde.
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