Mittwoch, den 17. Februar 1830
Wir sprachen über das Theater, und zwar über die Farben der Dekorationen und Anzüge. Das Resultat war folgendes.
Im allgemeinen sollen die Dekorationen einen für jede Farbe der Anzüge des Vordergrundes günstigen Ton haben, wie die Dekorationen von Beuther, welche mehr oder weniger ins Bräunliche fallen und die Farben der Gewänder in aller Frische heraussetzen. Ist aber der Dekorationsmaler von einem so günstigen unbestimmten Tone abzuweichen genötigt, und ist er in dem Fall, etwa ein rotes oder gelbes Zimmer, ein weißes Zelt oder einen grünen Garten darzustellen, so sollen die Schauspieler klug sein und in ihren Anzügen dergleichen Farben vermeiden. Tritt ein Schauspieler mit einer roten Uniform und grünen Beinkleidern in ein rotes Zimmer, so verschwindet der Oberkörper, und man sieht bloß die Beine; tritt er mit demselbigen Anzuge in einen grünen Garten, so verschwinden seine Beine und sein Oberkörper geht auffallend hervor. So sah ich einen Schauspieler mit weißer Uniform und ganz dunkelen Beinkleidern, dessen Oberkörper, in einem weißen Zelt, und dessen Beine, auf einem dunkelen Hintergrund, gänzlich verschwanden.
»Und selbst,« fügte Goethe hinzu, »wenn der Dekorationsmalerin dem Fall wäre, ein rotes oder gelbes Zimmer oder einen grünen Garten oder Wald zu machen, so sollen diese Farbe nimmer etwas schwach und duftig gehalten werden, damit jeder Anzug im Vordergründe sich ablöse und die gehörige Wirkung tue.«
Wir sprechen über die "Ilias", und Goethe macht mich auf das schöne Motiv aufmerksam, daß der Achill eine Zeitlang in Untätigkeit versetzt werde, damit die übrigen Helden zum Vorschein kommen und sich entwickeln mögen.
Von seinen "Wahlverwandtschaften" sagt er, daß darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden. Dasselbe von der Geschichte in Sesenheim. Nach Tisch ein Portefeuille der niederländischen Schule durchgesehen. Ein Hafenstück, wo Männer auf der einen Seite frisches Wasser einnehmen und auf der andern Würfel auf einer Tonne spielen, gab Anlaß zu schönen Betrachtungen, wie das Reale vermieden, um der Wirkung der Kunst nicht zu schaden. Der Deckel der Tonne hat das Hauptlicht; die Würfel sind geworfen, wie man an den Gebärden der Männer sieht, aber sie sind auf der Fläche des Deckels nicht gezeichnet, weil sie das Licht unterbrochen und also nachteilig gewirkt haben würden. Sodann die Studien von Ruysdael zu seinem Kirchhof betrachtet, woraus man sah, welche Mühe sich ein solcher Meister gegeben.
Sonntag, den 21. Februar 1830
Mit Goethe zu Tisch. Er zeigt mir die Luftpflanze, die ich mit großem Interesse betrachte. Ich bemerke darin ein Bestreben, ihre Existenz so lange wie möglich fortzusetzen, ehe sie einem folgenden Individuum erlaubt, sich zu manifestieren.
»Ich habe mir vorgenommen,« sagte Goethe darauf, »in vier Wochen so wenig den "Temps" als "Globe" zu lesen. Die Sachen stehen so, daß sich innerhalb dieser Periode etwas ereignen muß, und so will ich die Zeit erwarten, bis mir von außen eine solche Nachricht kommt. Meine "Klassische Walpurgisnacht" wird dabei gewinnen, und ohnehin sind jenes Interessen, wovon man nichts hat, welches in manchen Fällen nicht genug bedacht wird.«
Er gibt mir sodann einen Brief von Boisseree aus München, der ihm Freude gemacht und den ich gleichfalls mit hohem Vergnügen lese. Boisseree spricht besonders über den "Zweiten Aufenthalt in Rom" sowie über einige Punkte des letzten Heftes von "Kunst und Altertum". Er urteilt über diese Dinge sowohl wollend als gründlich, und wir finden Veranlassung, über die seltene Bildung und Tätigkeit dieses bedeutenden Mannes viel zu reden.
Goethe erzählt mir darauf von einem neuen Bilde von Cornelius als sehr brav durchdacht und ausgeführt, und es kommt zur Sprache, daß die Gelegenheit zur guten Färbung eines Bildes in der Komposition liege.
Später, auf einem Spaziergange, kommt mir die Luftpflanze wieder vor die Seele, und ich habe den Gedanken, daß ein Wesen seine Existenz fortsetzt, solange es geht, dann aber sich zusammennimmt, um wieder seinesgleichen hervorzubringen. Es erinnert mich dieses Naturgesetz an jene Legende, wo wir uns die Gottheit im Urbeginn der Dinge alleine denken, so dann aber den Sohn erschaffend, welcher ihr gleich ist. So auch haben gute Meister nichts Angelegentlicheres zu tun, als sich gute Schüler zu bilden, in denen sie ihre Grundsätze und Tätigkeiten fortgesetzt sehen. Nicht weniger ist jedes Werk eines Künstlers oder Dichters als seinesgleichen zu betrachten, und in demselbigen Grade wie ein solches Werk vortrefflich ist, wird der Künstler oder Dichter vortrefflich gewesen sein, da er es machte. Ein treffliches Werk eines andern soll daher niemals Neid in mir erregen, indem es mich auf einen vortrefflichen Menschen zurückschließen läßt, der es zu machen wert war.
Mittwoch, den 24. Februar 1830
Mit Goethe zu Tisch. Wir sprechen über den Homer. Ich bemerke, daß sich die Einwirkung der Götter unmittelbar ans Reale anschließe. - »Es ist unendlich zart und menschlich,«sagte Goethe, »und ich danke Gott, daß wir aus den Zeiten heraus sind, wo die Franzosen diese Einwirkung der Götter Maschinerie nannten. Aber freilich, so ungeheuere Verdienste nachzuempfinden, bedurfte einiger Zeit, denn es erforderte eine gänzliche Umwandlung ihrer Kultur.«
Goethe sagte mir sodann, daß er in die Erscheinung der Helena noch einen Zug hineingebracht, um ihre Schönheit zu erhöhen, welches durch eine Bemerkung von mir veranlaßt worden und meinem Gefühl zur Ehre gereiche.
Nach Tisch zeigte Goethe mir den Umriß eines Bildes von Cornelius, den Orpheus vor Plutos Throne darstellend, um die Eurydice zu befreien. Das Bild erschien uns wohl überlegt und das einzelne vortrefflich gemacht, doch wollte es nicht recht befriedigen und dem Gemüt kein rechtes Behagen geben. Vielleicht, dachten wir, bringt die Färbung eine größere Harmonie hinein; vielleicht auch wäre der folgende Moment günstiger gewesen, wo Orpheus über das Herz des Pluto bereits gesiegt hat und ihm die Eurydice zurückgegeben wird. Die Situation hätte sodann nicht mehr das Gespannte, Erwartungsvolle, vielmehr würde sie vollkommene Befriedigung gewähren.
Montag, den 1. März 1830
Bei Goethe zu Tisch mit Hofrat Voigt aus Jena. Die Unterhaltung geht um lauter naturhistorische Gegenstände, wobei Hofrat Voigt die vielseitigsten Kenntnisse entwickelt. Goethe erzählt, daß er einen Brief erhalten mit der Einwendung, daß die Kotyledonen keine Blätter seien, und zwar, weil sie kein Auge hinter sich hätten. Wir überzeugen uns aber an verschiedenen Pflanzen, daß die Kotyledonen allerdings Augen hinter sich haben, so gut wie jedes folgende Blatt. Voigt sagt, daß das Apercu von der Metamorphose der Pflanze eine der fruchtbarsten Entdeckungen sei, welche die neuere Zeit im Fache der Naturforschung erfahren.
Wir reden über Sammlungen ausgestopfter Vögel, wobei Goethe erzählt, daß ein Engländer mehrere Hunderte lebendiger Vögel in großen Behältern gefüttert habe. Von diesen seien einige gestorben, und er habe sie ausstopfen lassen. Diese ausgestopften hätten ihm nun so gefallen, daß ihm der Gedanke gekommen, ob es nicht besser sei, sie alle totschlagen und ausstopfen zu lassen; welchen Gedanken er denn auch alsobald ausgeführt habe.
Hofrat Voigt erzählt, daß er im Begriff sei, Cuviers "Naturgeschichte" in fünf Bänden zu übersetzen und mit Ergänzungen und Erweiterungen herauszugeben.
Nach Tische, als Voigt gegangen war, zeigt Goethe mir das Manuskript seiner "Walpurgisnacht", und ich bin erstaunt über die Stärke, zu der es in den wenigen Wochen herangewachsen.
Mittwoch, den 3. März 1830
Mit Goethe vor Tisch spazieren gefahren. Er spricht günstig über mein Gedicht in bezug auf den König von Bayern, indem er bemerkt, daß Lord Byron vorteilhaft auf mich gewirkt. Mir fehle jedoch noch dasjenige, was man Konvenienz heiße, worin Voltaire so groß gewesen. Diesen wolle er mir zum Muster vorschlagen
Darauf bei Tisch reden wir viel über Wieland, besonders über den "Oberon", und Goethe ist der Meinung, daß das Fundament schwach sei und der Plan vor der Ausführung nicht gehörig gegründet worden. Daß zur Herbeischaffung der Barthaare und Backenzähne ein Geist benutzt werde, sei gar nicht wohl erfunden, besonders weil der Held sich dabei ganz untätig verhalte. Die anmutige, sinnliche und geistreiche Ausführung des großen Dichters aber mache das Buch dem Leser so angenehm, daß er an das eigentliche Fundament nicht weiterdenke und darüber hinauslese.
Wir reden fort über viele Dinge, und so kommen wir auch wieder auf die Entelechie. »Die Hartnäckigkeit des Individuums, und daß der Mensch abschüttelt, was ihm nicht gemäß ist,«sagte Goethe, »ist mir ein Beweis, daß so etwas existiere.« Ich hatte seit einigen Minuten dasselbige gedacht und sagen wollen, und so war es mir doppelt lieb, daß Goethe es aussprach.»Leibniz«, fuhr er fort, »hat ähnliche Gedanken über solche selbständige Wesen gehabt, und zwar, was wir mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nannte er Monaden.«
Ich nahm mir vor, das Weitere darüber in Leibniz an Ort und Stelle nachzulesen.
Sonntag, den 7. März 1830
Um zwölf Uhr zu Goethe, den ich heute besonders frisch und kräftig fand. Er eröffnete mir, daß er seine "Klassische Walpurgisnacht" habe zurücklegen müssen, um die letzte Lieferung fertigzumachen. »Hiebei aber«, sagte er, »bin ich klug gewesen, daß ich aufgehört habe, wo ich noch in gutem Zuge war und noch viel bereits Erfundenes zu sagen hatte. Auf diese Weise läßt sich viel leichter wieder anknüpfen, als wenn ich solange fortgeschrieben hätte, bis es stockte.« Ich merkte mir dieses als eine gute Lehre.
Es war die Absicht gewesen, vor Tisch eine Spazierfahrt zumachen; allein wir fanden es beiderseits so angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbestellt wurden.
Unterdessen hatte der Bediente Friedrich eine große von Paris angekommene Kiste ausgepackt. Es war eine Sendung vom Bildhauer David, in Gips abgegossene Porträts, Basreliefs, von siebenundfunfzig berühmten Personen. Friedrich trug die Abgüsse in verschiedenen Schiebläden herein, und es gab große Unterhaltung, alle die interessanten Persönlichkeiten zu betrachten. Besonders erwartungsvoll war ich auf Merimee; der Kopf erschien so kräftig und verwegen wie sein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Humoristisches habe. Victor Hugo, Alfred de Vigny, Emile Deschamps zeigten sich als reine, freie, heitere Köpfe. Auch erfreuten uns die Porträts der Demoiselle Gay, der Madame Tastu und anderer junger Schriftstellerinnen. Das kräftige Bild von Fabvier erinnerte an Menschen früherer Jahrhunderte, und wir hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen wir von einer bedeutenden Person zur andern, und Goethe konnte nicht umhin, wiederholt zu äußern, daß er durch diese Sendung von David einen Schatz besitze, wofür er dem trefflichen Künstler nicht genug danken könne. Er werde nicht unterlassen, diese Sammlung Durchreisenden vorzuzeigen und sich mündlich über einzelne ihm noch unbekannte Personen unterrichten zu lassen.
Auch Bücher waren in der Kiste verpackt gewesen, die er in die vorderen Zimmer tragen ließ, wohin wir folgten und uns zu Tisch setzten. Wir waren heiter und sprachen von Arbeiten und Vorsätzen hin und her. »Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei,« sagte Goethe, »und besonders nicht, daß er alleine arbeite; vielmehr bedarf er der Teilnahme und Anregung, wenn etwas gelingen soll. Ich verdanke Schillern die "Achilleis"und viele meiner Balladen, wozu er mich getrieben, und Sie können es sich zurechnen, wenn ich den zweiten Teil des "Faust" zustande bringe. Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, aber ich muß es wiederholen, damit Sie es wissen.« Ich freute mich dieser Worte, im Gefühl, daß daran viel Wahres sein möge. Beim Nachtisch öffnete Goethe eins der Pakete. Es waren die Gedichte von Emile Deschamps, begleitet von einem Brief, den Goethe mir zu lesen gab. Hier sah ich nun zu meiner Freude, welcher Einfluß Goethen auf das neue Leben der französischen Literatur zugestanden wird, und wie die jungen Dichter ihn als ihr geistiges Oberhaupt verehren und lieben. So hatte in Goethes Jugend Shakespeare gewirkt. Von Voltaire läßt sich nicht sagen, daß er auf junge Poeten des Auslandes einen Einfluß der Art gehabt, daß sie sich in seinem Geist versammelten und ihn als ihren Herrn und Meister erkannten. Überall war der Brief von Emile Deschamps mit sehr liebenswürdiger herzlicher Freiheit geschrieben. »Man blickt in den Frühling eines schönen Gemüts«, sagte Goethe.
Ferner befand sich unter der Sendung von David ein Blatt mit dem Hute Napoleons in den verschiedensten Stellungen. »Das ist etwas für meinen Sohn«, sagte Goethe, und sendete das Blatt schnell hinauf. Es verfehlte auch seine Wirkung nicht, indem der junge Goethe sehr bald herunterkam und voller Freude diese Hüte seines Helden für das Nonplusultra seiner Sammlung erklärte. Ehe fünf Minuten vergingen, befand sich das Bild unter Glas und Rahmen und an seinem Ort, unter den übrigen Attributen und Denkmälern des Helden.
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