Diese
Sammlung von Unterhaltungen und Gesprächen mit Goethe ist
größtenteils aus dem mir inwohnenden Naturtriebe entstanden,
irgendein Erlebtes, das mir wert oder merkwürdig erscheint,
durch schriftliche Auffassung mir anzueignen.
Zudem war ich
immerfort der Belehrung bedürftig, sowohl als ich zuerst
mit jenem außerordentlichen Manne zusammentraf, als auch
nachdem ich bereits jahrelang mit ihm gelebt hatte, und ich
ergriff gerne den Inhalt seiner Worte und notierte ihn mir,
um ihn für mein ferneres Leben zu besitzen.
Wenn ich aber
die reiche Fülle seiner Äußerungen bedenke, die während
eines Zeitraumes von neun Jahren mich beglückten, und nun
das Wenige betrachte, das mir davon schriftlich aufzufassen
gelungen ist, so komme ich mir vor wie ein Kind, das den
erquicklichen Frühlingsregen in offenen Händen aufzufangen
bemüht ist, dem aber das meiste durch die Finger
läuft. Doch wie man zu sagen pflegt, daß Bücher ihre
Schicksale haben, und wie dieses Wort ebensowohl auf ihr
Entstehen als auf ihr späteres Hinaustreten in die weite
und breite Welt anzuwenden ist, so dürfte es auch von der
Entstehung des gegenwärtigen Buches gelten. Monate
vergingen oft, wo die Gestirne ungünstig standen, und wo
Unbefinden, Geschäfte und mancherlei Bemühungen um die
tägliche Existenz keine Zeile aufkommen ließen; dann aber
traten wieder günstige Sterne ein, und es vereinigten sich
Wohlsein, Muße und Lust zu schreiben, um wieder einen
erfreulichen Schritt vorwärts zu tun. Und dann, wo tritt
bei einem längeren Zusammenleben nicht mitunter einige
Gleichgültigkeit ein, und wo wäre derjenige, der die
Gegenwart immer so zu schätzen wüßte, wie sie es
verdiente!
Dieses alles erwähne ich besonders aus dem Grunde, um
die manchen bedeutenden Lücken zu entschuldigen, die
der Leser finden wird, im Fall er etwa so geneigt sein
sollte, das Datum zu verfolgen. In solche Lücken fällt
manches unterlassene Gute sowie besonders manches günstige
Wort, was Goethe über seine weitverbreiteten Freunde sowie über
die Werke dieses oder jenes lebenden deutschen Autors gesagt hat,
während sich anderes ähnlicher Art notiert findet. Doch wie
gesagt: Bücher haben ihre Schicksale schon während
sie entstehen.
Übrigens erkenne ich dasjenige, was in diesen
Bänden mir gelungen ist zu meinem Eigentum zu machen, und was
ich gewissermaßen als den Schmuck meines Lebens zu
betrachten habe, mit innigem Dank gegen eine höhere Fügung;
ja ich habe sogar eine gewisse Zuversicht, daß auch die Welt mir
diese Mitteilung danken werde.
Ich halte dafür, daß diese
Gespräche für Leben, Kunst und Wissenschaft nicht allein manche
Aufklärung und manche unschätzbare Lehre enthalten, sondern daß
diese unmittelbaren Skizzen nach dem Leben auch ganz besonders
dazu beitragen werden, das Bild zu vollenden, was man von
Goethe aus seinen mannigfaltigen Werken bereits in sich
tragen mag.
Weit entfernt aber bin ich auch wiederum, zu
glauben, daß hiemit nun der ganze innere Goethe gezeichnet sei.
Man kann diesen außerordentlichen Geist und Menschen mit Recht
einem vielseitigen Diamanten vergleichen, der nach jeder Richtung
hin eine andere Farbe spiegelt. Und wie er nun in verschiedenen
Verhältnissen und zu verschiedenen Personen ein anderer war, so
kann ich auch in meinem Falle nur in ganz bescheidenem Sinne
sagen: dies ist mein Goethe.
Und dieses Wort dürfte nicht bloß
davon gelten, wie er sich mir darbot, sondern besonders auch
davon, wie ich ihn aufzufassen und wiederzugeben fähig war. Es
geht in solchen Fällen eine Spiegelung vor, und es ist sehr
selten, daß bei dem Durchgänge durch ein anderes Individuum
nichts Eigentümliches verloren gehe und nichts Fremdartiges sich
bei mische. Die körperlichen Bildnisse Goethes von
Rauch, Dawe, Stieler und David sind alle in hohem Grade wahr,
und doch tragen sie alle mehr oder weniger das Gepräge
der Individualität, die sie hervorbrachte. Und wie nun ein
solches schon von körperlichen Dingen zu sagen ist, um wie
vielmehr wird es von flüchtigen, untastbaren Dingen des
Geistes gelten! Wie dem nun aber in meinem Falle auch sei,
so werden alle diejenigen, denen aus geistiger Macht oder
aus persönlichem Umgange mit Goethe ein Urteil dieses
Gegenstandes zusteht, mein Streben nach möglichster
Treue hoffentlich nicht verkennen.
Nach diesen größtenteils
die Auffassung des Gegenstandes betreffenden Andeutungen bleibt
mir über des Werkes Inhalt selber noch folgendes zu
sagen.
Dasjenige, was man das Wahre nennt, selbst in betreff
eines einzigen Gegenstandes, ist keineswegs etwas Kleines,
Enges, Beschränktes; vielmehr ist es, wenn auch etwas
Einfaches, doch zugleich etwas Umfangreiches, das, gleich den
mannigfaltigen Offenbarungen eines weit- und tiefgreifenden
Naturgesetzes, nicht so leicht zu sagen ist. Es ist nicht
abzutun durch Spruch, auch nicht durch Spruch und Spruch,
auch nicht durch Spruch und Widerspruch, sondern man gelangt durch
alles dieses zusammen erst zu Approximationen, geschweige zum
Ziele selber.
So, um nur ein Beispiel anzuführen, tragen Goethes
einzelne Äußerungen über Poesie oft den Schein der
Einseitigkeit und oft sogar den Schein offenbarer Widersprüche.
Bald legt er alles Gewicht auf den Stoff, welchen die Welt gibt,
bald alles auf das Innere des Dichters; bald soll alles Heil im
Gegenstände liegen, bald alles in der Behandlung; bald soll es
von einer vollendeten Form kommen, bald, mit
Vernachlässigung aller Form, alles vom Geiste.
Alle diese Aus-
und Widersprüche aber sind sämtlich einzelne Seiten des Wahren
und bezeichnen zusammen das Wesen und führen zur Annäherung der
Wahrheit selber, und ich habe mich daher sowohl in diesen als
ähnlichen Fällen wohl gehütet, dergleichen scheinbare
Widersprüche, wie sie durch verschiedenartige Anlässe und den
Verlauf ungleicher Jahre und Stunden hervorgerufen worden, bei
dieser Herausgabe zu unterdrücken. Ich vertraue dabei auf die
Einsicht und Übersicht des gebildeten Lesers, der sich durch
etwas Einzelnes nicht irren lassen, sondern das Ganze im Auge
halten und alles gehörig zurechtlegen und vereinigen
werde. Ebenso wird man vielleicht auf manches stoßen, was
beim ersten Anblick den Schein des Unbedeutenden hat. Sollte man
aber tiefer blickend bemerken, daß solche unbedeutende Anlässe
oft Träger von etwas Bedeutendem sind, auch oft etwas
Später vorkommendes begründen, oder auch dazu beitragen irgendeinen
kleinen Zug zur Charakterzeichnung hinzuzutun, so dürften sie,
als eine Art von Notwendigkeit, wo nicht geheiliget, doch
entschuldiget werden. Und somit sage ich nun diesem lange gehegten
Buche zu seinem Hinaustritt in die Welt das beste Lebewohl,
und wünsche ihm das Glück, angenehm zu sein und mancherlei Gutes
anzuregen und zu verbreiten.
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