> Gedichte und Zitate für alle: R. Dehmel: Zwei Menschen: Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach (106)

2014-11-22

R. Dehmel: Zwei Menschen: Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach (106)



30.

Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach,
und leise summt die Glut in den Kaminen.
Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach;
breit vom Morgenglanz beschienen
sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder.
Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder.
Leise naht sie ihm in heller Freude,
weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide:

Lukas – mir war so fröhlich eben:
ich saß und dachte in dich hinein:
der Name, den wir unserm Kind bald geben,
soll auch der Name deines Bergwerks sein.

Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel fiel:
nimm all dein Schicksal als Kinderspiel!
Denn gelt: den reichen Seelen
darf das Glück nicht fehlen,
das sie Andern zeigen als ein Ziel –

Da blickt er auf – sie fühlt sich erbleichen:
seine Augen gleißen, Spott nistet drin.
Seine Hand weist auf einen Bauplan hin:
da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen.
Die Chifern wogen ihr wie ein Meer.
Rauh kommt seine Stimme zu ihr her:

Ja, ein Spiel – nenn's Schicksal, nenn's Glück, Gott, Welt –
nur: lerne verlieren, willst du gewinnen!
Ich werde mein Werk hier nicht beginnen.
Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen;
was du ahntest, hat sich eingestellt,
Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen
gnädigen Wink von »oben« verschafft:
binnen vier Wochen bin ich verhaftet
oder verbannt – auf amtsdeutsch: landesverwiesen.
Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,
damit wir vor dem Gott in uns bestehn!

Aus seinen Augen weicht aller Spott.
Zwei Menschen beugen sich vor Gott.

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