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2014-12-16

Tagebücher Goethe 1786: Zweites Stück. 10-14 September 1786 Italienische Reise


1786





Reise Tagebuch zweytes Stück.
vom Brenner in Tyrol bis Verona.

Stationen vom Brenner in Tyrol

bis Verona zurückgelegt vom 9. S. bis d. 14. S.

Es erfolgt eine neue Aufstellung der genauen Ankunfts-bzw. Abfahrtszeiten. Diese Tabellen sind hier nicht aufgeführt.


10. 09. Abends 8. Trient.

Nun bin ich völlige 50 Stunden am Leben und in steter Beschäftigung und Bewegung. Wenn ich mich gehn ließe; schrieb ich dir auch noch wie es mir ergangen ist. Um des morgenden Tags willen ist es aber besser daß ich ruhe und so sollst du Morgen von mir hören. Heute Gute Nacht.

11 . 09. früh. Trient.

Ich fahre in meiner Erzählung fort. Am 9. Abends als ich mein erstes Stück an dich geschlossen hatte, wollte ich noch die Herberge zeichnen aber es ging nicht, ich verfehlte die Formen und ging halb missmutig nach Hause.

Mein Wirt fragte mich ob ich nicht fortwollte ? es sey Mondschein pp. und ob ich wohl wußte daß er die Pferde morgen früh brauchte und sie also bis dahin gerne wieder zu Hause gehabt hätte, sein Rat also eigennützig war; so nahm ich doch weil es mit meinem innern Trieb übereinstimmte ihn als gut an, die Sonne lies sich wieder blicken, und es war eine sehr leidliche Luft.

Ich packte ein und um sieben fuhr ich vom Brenner weg. Wie ich gehofft hatte, ward die Atmosphäre Herr der Wolken und der Abend gar schön.

Der Postillon schlief ein und die Pferde liefen den schnellsten Trab bergunter immer auf dem bekannten Wege fort, kamen sie an ein eben Fleck ging’s desto langsamer, er erwachte und trieb und so kam ich sehr geschwind zwischen hohen Felsen, an den reißenden Etsch Fluß hinunter. Der Mond ging auf und beleuchtete ungeheure Gegenstände. Einige Mühlen über dem reißenden Strom waren völlige Everdingen. Wenn ich dir sie nur vor die Augen hätte stellen können.

Um 9 kam ich nach Sterzing und man gab mir zu verstehen daß man mich gleich wieder weg wünschte, um 12 in Mittewald war alles im tiefen Schlafe außer den Postillons, um halb 3 in Brixen eben so, daß ich mit dem Tage in Kollmann ankam. So leid es mir tat, diese interessanten Gegenden, mit der entsetzlichen Schnelle, (die Postillon fuhren daß einem oft Hören und Sehen verging) und bey Nacht wie der Schuhu zu durchreisen; so freute mich’s doch, daß wie ein Wind hinter mir her blies und mich meinen Wünschen zu jagte.

Mit Tags Anbruch erblickt ich die ersten Rebhügel, eine Frau mit Bim und Pfirschen begegnete mir, so gings auf Deutschen, wo ich um 7 Uhr ankam und endlich erblickt ich bey hohem Sonnenschein, nachdem ich eine Weile Nordwärts gefahren war, das Tal worin Bozen liegt.

Von steilen bis auf eine ziemliche Höhe bebauten Bergen umgeben, ist es gegen Mittag offen, gegen Norden von den Tiroler Bergen bedeckt, eine milde sanfte Luft füllte die Gegend, der Etsch Fluß wendet sich hier gegen Mittag wieder. Die Hügel am Fuß der Berge sind mit Wein bebaut. Über lange niedrige Lauben sind die Stöcke gezogen und die blauen Trauben hängen gar zierlich und reich von der Decke herunter. Auch in der Fläche des Tals, wo sonst nordwärts Wiesen sind, wird der Wein in solchen eng aneinander stehenden Reihen von Lauben gebaut, dazwischen das Türkische Korn, Italiänisch Fromentass oder weiter hin Fromentone genannt, das nun immer höher wächst. Ich habe es oft zu 9-10 Fuß hoch gesehn. Die zaseliche männliche Blüte ist noch nicht abgeschnitten, wie es geschieht wenn die Befruchtung eine Zeitlang vorbey ist.

Bey heißem Sonnenschein nach Bozen, wo alles von der Messe lebte. Die vielen Kaufmannsgesichter freuten mich beysammen, ihr absichtliches wohlbehägliches Daseyn druckt sich recht lebhaft aus.

Auf dem Platze saßen Obstweiber mit Körben 4 bis 41/2 Fuß im Durchschnitt, flach, worin die Pfirschen neben einander lagen, eben so die Birn. Hier fiel mir ein was ich in Regensburg am Fenster des Wirtshauses geschrieben fand

Comme les peches et les Melons
Sont pour la bouche d’un Baron
Ainsi les verges et les batons
Sont pour les fous dit Salomon.

Daß ein nordischer Baron dieses geschrieben, ist offenbar und daß er in diesen Gegenden seine Begriffe verändern würde ist auch natürlich.

Die Messe zu Bozen ist stark an Seidenvertrieb, auch Tücher pp. werden dahin gebracht und was sonst an Leder pp. aus den Gebürgen und der Gegend zusammengebracht wird. Auch kommen die Kaufleute vorzüglich dahin ihr Geld einzukassieren. Ich eilte fort damit mich nicht irgend einer erkennte, und hatte ohne dies nichts da zu tun - Zwar wenn ich es recht gestehe; so ist es der Trieb und die Unruhe die hinter mir ist; denn ich hätte gern mich ein wenig umgesehen und alle die Produckte beleuchtet die sie hierher zusammenschleppen. Doch ist das mein Trost, alles das ist gewiß schon gedruckt. In unsern statistischen Zeiten braucht man sich um diese Dinge wenig zu bekümmern, ein andrer hat schon die Sorge übernommen, mir ists nur jetzt um die sinnlichen Eindrücke zu tun, die mir kein Buch und kein Bild geben kann, daß ich wieder Interesse an der Welt nehme und daß ich meinen Beobachtungsgeist versuche, und auch sehe wie weit es mit meinen Wissenschafften und Kenntnissen geht, ob und wie mein Augelicht, rein und hell ist, was ich in der Geschwindigkeit fassen kann und ob die Falten, dies ich in mein Gemüt geschlagen und gedruckt haben, wieder auszutilgen sind.
Komm ich weiter; so sag ich dir mehr.

Schon jetzt daß ich mich selbst bediene, immer aufmerksam, immer gegenwärtig seyn muß, gibt mir diese wenige Tage hereine ganz andre Elastizität des Geistes. Ich muß mich um den Geldkurs bekümmern wechseln bezahlen, notieren, dir schreiben anstatt daß ich sonst nur dachte, wollte, sann, befahl und diktierte. Von Botzen auf Trient (die Stationen siehe fol. 2) gehts in einem immer fruchtbaren und fruchtbarern Tal hin. Alles was höher hinauf nur zu vegetieren anfängt hat nun hier schon alles mehr Kraft und Leben, man glaubt wieder einmal an einen Gott.

Die Etsch fließt sanfter, macht an vielen Orten breite Kiese, auf dem Lande nah am Fluß und an den Hügeln ist alles so ineinander gepflanzt daß man denkt es müßte eins das andre ersticken. Weingeländer, Mais, Haidekorn, Maulbeerbäume, Fruchtbäume Nuß und Quittenbäume. Über die Mauern wirft sich der Attich lebhaft herüber, der Efeu wächst in starken Stämmen die Felsen hinauf und verbreitet sich weit über sie und die Eidechse schlüpft über die Steine weg.

Könnt ich nur mit dir dieser Gegend und Luft genießen in der du dich gewiß gesund fühlen würdest.

Auch was hin und her wandelt erinnert einen an die liebsten Bilder. Die aufgewundnen Zöpfe der Weiber, die blose Brust und leichten Jacken der Männer, die trefflichen Ochsen die sie vom Markte nach Hause treiben, die beladnen Eselgen, alles macht einen immer lebenden und sich bewegenden Heinrich Roos.

Und nun wenn es Abend wird und bey der milden Luft wenige Wolken an den Bergen ruhn, am Himmel mehr stehn als ziehn, und gleich nach Sonnen Untergang das Geschrille der Heuschrecken laut zu werden anfängt! Es ist mir als wenn ich hier gebohren und erzogen wäre und nun von einer Grönlandsfahrt Von einem Walfischfang zurückkäme. Alles ist mir willkommen, auch der Vaterländische Staub der manchmal stark auf den Straßen wird und von dem ich nun solang nichts gesehen habe. Das Glocken oder vielmehr Schellengeläute der Heuschrecken ist allerliebst durchdringend und nicht unangenehm.

Lustig klingts wenn mutwillige Buben mit einem Feld voll Heuschrecken um die Wette pfeifen. Es ist als wenn sie einander wirklich steigerten. Heute ist wieder ein herrlicher Tag, besonders die Milde der Luft kann ich dir nicht ausdrücken.

Wenn das alles jemand läse der im Mittag wohnte, vom Mittag käme, er würde mich für sehr kindisch halten. Ach was ich da schreibe hab ich lang gewußt, seitdem ich mit dir unter einem bösen Himmel leide, und jetzt mag ich gern diese Freude als Ausnahme fühlen, die wir als eine ewige Naturwohltat immer genießen sollten. Das übrige siehe in den angehängten Noten die ich der Bequemlichkeit halber fortsetzen und mit eben den Buchstaben wie beym ersten Stück bezeichnen will.

Trient. Ich bin in der Stadt herumgegangen die uralt ist und in einigen Straßen neue wohlgebaute Häuser hat. In der Kirche hängt ein Bild, wo das versammelte Concilium einer Predigt des Jesuiten Generals zuhört. Ich mögte wissen was er ihnen vorgesagt hat.

Ich trat in die Jesuiten Kirche, die sich von außen gleich durch rote Marmor Pilastres auszeichnet, ein großer Vorhang hängt nahe an der Türe herunter den Staub von außen abzuhalten, ein eisernes Gitter schließt die Kirche von einer kleinen Vorkirche, so daß man alles sehen, weiter hinein aber nicht kommen kann. Es war alles still und ausgestorben, die Türe nur auf weil zur Vesperzeit alle Kirchen geöffnet sind. 

Wie ich so dastehe und über die Bauart, die ich den bekannten Kirchen ähnlich fand nachdachte, kommt ein alter Mann mit einem schwarzen Käppgen auf dem Kopfe das er sogleich abnimmt, und in einem langen schwarzen für Alter vergrauten Rock herein, kniet vor dem Gitter nieder, und steht nach einem kurzen Gebet wieder auf. Wie er sich umkehrt sagt er halb laut für sich: da haben sie nun die Jesuiten herausgetrieben, sie hätten ihnen auch zahlen sollen was die Kirche gekostet hat, ich weis wohl was sie gekostet hat, und das Seminarium wie viele Tausende (indes war er wieder den Vorhang hinaus, ich trat an den Vorhang, sah an der Seite hinaus und hielt mich stille, er war auf der Kirchschwelle stehen geblieben) der Kaiser hats nicht getan, der Papst hats getan, fuhr er fort mit dem Gesicht nach der Straße gekehrt und ohne mich zu vermuten. Erst die Spanier, dann wir, dann die Franzosen (er nannte noch einige); Abels Blut schreyt über seinen Bruder Kain! – und so ging er die Treppe hinab immer mit sich redend die Straße hin.

Ich vermute daß es entweder selbst ein Jesuite, oder einer den sie erhalten war und der über den ungeheuren Fall des Ordens den Verstand mag verloren haben, der nun jetzt kommt in dem leeren Gefäß die alten Bewohner zu suchen und nach einem kurzen Gebet ihren Feinden den Fluch zu geben. Mein Begleiter zeigte mir mit Verwundrung ein Haus das man das Teufelshaus nennt, wozu in einer Nacht der Teufel die Steine nicht nur hergebracht sondern es auch aufgebaut haben soll. Das Teuflischte daran bemerkte er aber nicht, das ist: daß es das einzige Haus von einem guten Geschmacke ist das ich in Trient gesehn habe. Es ist aus einer alten Zeit aber gewiß von einem guten Italiener aufgeführt.

Abends um 5 Uhr ab nach Roveredo. Wieder das Schauspiel von gestern Abend und die Heuschrecken die gleich bey Sonnenuntergang zu schrillen anfingen. Man fährt wohl eine Meile von der Stadt zwischen Mauern über welche die Traubengeländer sich sehen lassen, andre die nicht hoch genug sind hat man mit Steinen, Reisig und andern Künsten erhöht um das Abrupfen der Trauben den Vorbeygehenden zu wehren, viele Besitzer besprengen die vordersten Reihen mit Kalk der die Trauben dem Essen unangenehm macht und dem Magen feind ist, dem Wein aber nicht schadet, weil er durch die Gährung wieder heraus muß. Das schöne Wetter dauert fort. Es war sehr heiß als ich um 3 Uhr vor die Stadt und auf die Brücke spazieren ging. Mir ists wie einem Kinde, das erst wieder leben lernen muß. Es macht schon hier niemand mehr die Türen zu, die Fenster stehn immer offen etc. Es hat kein Mensch Stiefeln an, kein Tuch Rock zu sehn. Ich komme recht wie ein nordischer Bär vom Gebirge. Ich will mir aber den Spaß machen mich nach und nach in die Landstracht zu kleiden.

11. 09. Abends.

Hier bin ich nun in Roveredo, hier schneidet sichs ab. Von oben herein schwankte es noch immer vom deutschen zum italienischen, nun hatt ich einen stockwälschen Postillon. Der Wirt spricht kein deutsch und ich muß nun meine Künste versuchen. Wie froh bin ich daß die Geliebte Sprache nun die Sprache des Gebrauchs wird.

12. 09. 

nach Tische. Wie sehnlich wünsch' ich dich einen Augenblick neben mich, damit du dich mit mir der Aussicht freuen könntest die vor mir liegt. Heut Abend hätt ich in Verona seyn können, aber es lag mir noch eine schöne Natur Würckung am Wege, ein schönes Schauspiel, der Lago di Garda. Den wollte ich nicht versäumen und bin herrlich belohnt.

Nach fünfen fuhr ich von Roveredo ab ein Seiten Tal hinauf, das seine Wasser in den Adige ausgießt. Wenn man hinauf kommt, Liegt ein ungeheurer Riegel hinten vor, über den man nach dem See hinunter muß. Hier waren die schönsten Kalkfelsen zu malerischen Studien. Wie man hinabkommt liegt ein Örtgen am nördlichen Ende des Sees und ist ein kleiner Hafen oder vielmehr Anfahrt da, es heißt Torbole.

Die Feigenbäume hatten mich schon den Weg her häufiger begleitet und im hinabsteigen fand ich die ersten Oelbäume, die voller Oliven hingen. Hier fand ich zum ersten mal die weiße Feigen als eine gemeine Frucht, die mir die Gräfin Lanthieri verheißen hatte. Aus dem Zimmer wo ich sitze geht eine Türe in den Hof hinunter, ich habe meinen Tisch davor geruckt und dir die Aussicht mit einigen Linien gezeichnet. Sie zeigt den See in seiner Länge dessen Ende man besonders an der Linken Seite nicht sehen kann. Nach Mitternacht bläst der Wind von Norden nach Süden, wer also den See hinab will muß vor Tage fahren, einige Stunden nach Sonnen Aufgang wendet er sich und bläst nordwärts. Jetzt nach Mittag um eins weht er sehr stark gegen mich und kühlt die heiße Sonne gar herrlich ab. Eben lehrt mich Volckmann den ich zuerst aus meinem Koffer hohle daß dieser See ehemals Benacus geheißen und zeigt mir einen Vers des Virgils an worin seiner gedacht wird:


teque Fluctibus et fremitu assurgens Benace marino.


Der erste lateinische Vers dessen Gegenstand mir lebendig vorsteht und der, da der Wind immer stärker weht und der See höhere Wellen schlägt, recht wahr wird. Nun will ich schließen, wenn es kühle wird noch einen Spaziergang machen, Morgen früh um dreye von hier abfahren und dir dann wieder von Verona schreiben. Die schönsten und größen Natur Erscheinungen des festen Landes hab ich nun hinter mir, nun gehts der Kunst, dem Altertum und der Seenachbarschaft zu! Lebe wohl! Heute hab ich an der Iphigenie gearbeitet, es ist im Angesichte des Sees gut von statten gegangen. Ich muß einpacken und scheide ungern von dir, ich will noch heute zeichnend an dich denken. Die Tyroler Karte die ich Knebeln weggenommen liegt bey, ich habe meinen Weg mit einem Bleystifftstrich gezeichnet. Geschrieben den 46. Grad hinter mir.

13. 09.

Wenn man mit dem Wasser zu tun hat, kann man nicht sagen: ich werde heut da oder da seyn. Ich bin in Malsesine dem ersten Orte des Venetianischen Staats an der Morgenseite des Sees. Nun noch einiges von Torbole, so heißt der Hafen wo ich gestern blieb. Der Gasthof hat keine Schlösser an den Türen, und der Wirt sagte mir ich könnte sicher seyn, und wenn alles Diamanten wären was ich bey mir hätte.

Sodann die Zimmer keine Fenster, sondern Oelpapierne, Rahmen und es ist doch köstlich drinne seyn, drittens keinen Abtritt. Du siehst also daß man dem Naturzustande hier ziemlich nah kommt. Als ich nach meiner Ankunft den Hausknecht nach einer Bequemlichkeit fragte, deutete er in den Hof: qui abasso! puo servirsi. Ich fragte dove? er antwortete per tutto, dove vuol. Durchaus zeigt sich eine Sorglosigkeit, doch Geschäftigkeit und Leben genug und den ganzen Tag verführen die Nachbarinnen ein Geschwätz und Geschrey, haben aber immer was zu schaffen und zu tun. Ich habe noch kein müßiges Weib gesehn.

Köstliche Forellen (Trutte) werden bey Torbole gefangen, wo der Bach vom Gebürge herunter kommt und der Fisch den Weg hinauf sucht. Der Kayser erhält von diesem Fang 10/m f. Pacht. Es sind keine eigentliche Forellen, sie sind bis auf 50 Pfund schwer, über den ganzen Leib bis auf den Kopf hinauf punktiert. Der Geschmack ist zwischen Forelle und Lachs, sehr zart und trefflich. Mein eigentlich Wohlleben ist aber in Früchten; Feigen ess ich den ganzen Tag. Du kannst denken daß die Birn hier gut seyn müssen wo schon Zitronen wachsen.

Heute früh fuhr ich um drey Uhr von Torbole ab mit zwey Ruderern, einigemal ward der Wind günstig daß sie das Seegel brauchen konnten, aber wir kamen nicht weit unter Malsesine als der Wind sich völlig umkehrte seinen gewöhnlichen Tag weg nahm und nach Norden zog. Das Rudern half wenig gegen die übermächtige Gewalt und wir mussten in den Hafen von Malsesine einlaufen. Der Morgen war herrlich wolkig und bey der Dämmrung still. Ich habe einige Linien gezogen. Wir fuhren bei Limone vorbey, dem die Berggärten, die terassenweis angelegt sind und worin die Zitronenbäume stehen ein reinliches und reiches Ansehn geben. Der ganze Garten besteht aus reihen von weißen viereckten Pfeilern, die in einer gewissen Entfernung von einander stehn und deren Reihen hinter einander den Berg hinauf rucken. Über diese Pfeiler sind starke Stangen gelegt um im Winter die Bäume zu decken die dazwischen gepflanzt sind, sonst würden sie in diesem Klima noch leiden. Hier in Malsesine ist auch so ein Garten, ich will ein Stück zeichnen. Wie auch das Schloß das am Wasser liegt und ein schöner Gegenstand ist

Heute im Vorbeyfahren nahm ich eine Idee davon mit. Ich betrübte mich heute früh daß ich nicht mehr zeichnen kann und freute mich, daß ich so viel kann. Wie mir auch Mineralogie und das bißchen botanischer Begriff unsäglich viel aufschließen und mir der eigentlichste Nutzen der Reise bis jetzt sind. Gestern hab ich meinen Mantel in den Koffer getan, in Verona muß ich mir was leichtes auf den Leib schaffen; es ist zwar nicht heiß aber so recht innerlich warm, wovon ich seit so langer Zeit keinen Begriff gehabt habe.

Abends.

Die Lust dir das Schloß zu zeichnen, das ein echter Pendant zu dem böhmischen ist, hätte mir übel bekommen können. Die Einwohner fanden es verdächtig, weil hier die Kränze ist und sich alles vorm Kayser fürchtet. Sie taten einen Anfall auf mich, ich habe aber den Treufreund köstlich gespielt, sie haranguirt und sie bezaubert. Das Detail davon mündlich.

14. 09.


Nachts vor 1 Uhr von Malsesine ab, wegen des guten Windes, doch erst um 10 Uhr in Bardolino. Weil ich der kleinen schlechten Wirtshäuser und ihrer Teuerung satt hatte eilt ich fort und, mein Gepäck auf ein Maulthier geladen, mich auf ein andres, kam ich gegen 1 Uhr d. 14. Sept. in gewaltiger Hitze hier in Verona an, wo ich dir dieses noch schreibe, das zweyte Stück schliese, hefte und dann gehe das Amphitheater zu sehen.

Von der Gegend kann man durch Worte keinen Begriff machen, es ist Ein Garten eine Meile lang und breit (ich sage zu wenig), der am Fuß der hohen Gebürge und Felsen ganz flach in der größten Reinlichkeit daliegt. Nähere Beschreibung im folgenden Stück. Noch ein Wort von meiner Seefahrt, sie endete glücklich und die Herrlichkeit des Wasserspiegels und des daran liegenden, besonders des Brescianischen Ufers freute mich recht im Herzen. Da wo an der Abendseite das Gebürg aufhört steil zu seyn und die Landschaft flächer nach dem See fällt, liegen an Einer Reihe in einer länge von ohngefähr anderthalb Stunden: Gargnano, Bogliacco, Cecina, Toscolan, Maderno, Verdom, Saló. Alle auch meist wieder in die Länge gezogen. Ich endigte nicht von dieser Schönheit zu reden.

Von Bardolino macht ich den Weg über einen Rücken der das Tal worin der Adige fließt und die Vertiefung worin der See liegt scheidet. Die Wasser von beyden Seiten scheinen ehemals hier gegeneinander gewürckt und diesen ungeheueren Kiesel Haufen hier aufgetürmt zu haben. Es ist fruchtbares Erdreich darüber geschlemmt, aber der Ackersmann ist doch von denen immer wieder vordringenden Kieseln geplagt. Sie haben eine gute art sie in die Höhe zu bauen und davon am Wege hin gleichsam sehr dicke Mauern anzulegen. Auch sehen die Maulbeerbäume wegen Mangel an Feuchtigkeit nicht so fröhlig auf dieser Höhe. An Quellen ist nicht zu denken, von Zeit zu Zeit trift man Pfützen von zusammengeleitetem Regenwasser woraus die Maultiere, auch ihre Treiber, den Durst löschen. Unten am Flusse sind Schöpfräder angebracht um die in der Tiefe liegenden Pflanzungen nach Gefallen zu wässern.

Note a.

Witterung.

Diesen Punkt behandle ich so ausführlich weil ich eben glaube in der Gegend zu seyn, von der unser trauriges nördliches Schicksal abhängt. Wie ich schon im vorigen Stück gesagt habe. Ja es gibt mich nun nicht so sehr wunder, daß wir so schlimme Sommer haben, vielmehr weis ich nicht wie wir gute haben können. Die Nacht vom 9. auf den 10ten war abwechselnd helle und bedeckt, der Mond behielt immer einen Schein um sich. Morgens gegen 5 Uhr der ganze Himmel bedeckt mit grauen nicht schwer hängenden Wolken. Die obere Luft war noch immer elastisch genug. wie der Tag wuchs, teilten sich die Wolken, nach meiner Theorie: sie wurden aufgezehrt und ie tiefer ich hinab kam desto schöner war das Wetter.

Wie nun gar in Botzen der große Stock der Gebirge mitternächtlich blieb, ward die Luft immer reiner. Zwar muß ich das genauer ausdrücken. Die Luft wie man an den verschiedenen Landschaftsgründen sah war Voller Dünste, aber die Atmosphäre elastisch genug sie zu tragen. Wie ich weiter hinab kam konnt ich deutlich sehn daß alle Dünste aus dem Botzner Tal und alle Wolken, die von den Bergen die noch mittägiger liegen aufstiegen, nach dem Gebirge zu zögen und es nicht verdeckten aber in eine Art von Höherauch einhüllten. Ja ich habe in der weitsten Ferne über dem Gebirge eine Wassergalle (den einen undeutlichen Fuß eines Regenbogens) gesehen.

Aus allem diesem schließe ich, ihr werdet jetzt gemischte doch mehr gut als böse Tage haben, denn obgleich die Atmosphäre wie ich oft wiederhole elastisch genug zu seyn scheint; so muß doch immer soviel von den Dünsten nach Norden kommen, was dort nicht gleich aufgelöst und in einer niedrern Atmosphäre schwebend als Regen herunter fallen muß. Von Botzen südwärts haben sie den ganzen Sommer das schönste Wetter gehabt. Von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser (Aqua statt gelindem Regen) und dann wieder Sonnenschein, selbst gestern fielen von Zeit zu Zeit einige Tropfen, und die Sonne schien immer dazu. Eben sagt mir die Wirtstochter: sie hätten lange kein so gutes Jahr gehabt, es gerate alles. Und ich glaube eben weil wir so ein übles gehabt haben.

Note d.

Gebirge und Bergarten.

Eine viertelstunde vom Brenner ist ein Marmorbruch, es war schon dämmrich. Er mag und muß wie der von mir schon bemerkte Kalkstein der andern Seite aus dem Glimmerschiefer aufliegen. Wahrscheinlich folgt nun immer Glimmerschiefer mit Kalk an der Seite (abwechselnd mögt ich nicht sagen).

Bey Collman als es Tag ward fand ich Glimmer Schiefer, auch in dem Fluße sah ich keinen Kalk (es ist möglich daß ich ihn übersehen habe, auch zerreibt er sich leichter, vielleicht ist auch dessen nur wenig). Unter Collman gingen die Porphyre an deren ich eine Sammlung mitbringe und sie also nicht beschreibe. Die Felsen waren so prächtig und am Wege die Hausen so appetitlich zerschlagen, daß man gleich hätte Voigtische Cabinetchen daraus bilden und verpacken können. Auch kann ich ohne Beschwerde von jedem Gestein ein Stück mitnehmen, wenn ich nur mein Auge und meine Begierde an ein kleineres Maß gewöhnen kann. Bald unter Collman fand sich auch ein Porphyr Fels der sich in sehr regelmäßige Platten spaltete. Vor Botzen ein Porphyr mit grünen Speckstein Flecken und einer Speckstein Ablösung. Unter Botzen Porphyre, endlich zwischen Brandsol und Neumarck der Porphyr der sich auch in regelmäßige Platten und wenn man will, in Säulen spaltet, die eine Parallelepipedische Base haben. Ferber hielt sie für Vulkanische Produkte, das war aber vor 14 Jahren, wo die ganze Wissenschaft viel neuer war. Hacquet macht sich deshalb über ihn her.

Note e.

Menschen.

Sobald nur der Tag aufging vom Brenner herunter bemerkte ich eine sonderbare Veränderung der Gestalt. Besonders die Weiber hatten eine bräunlich bleiche Farbe, elende Gesichtszüge und die Kinder eben so und erbärmlich anzusehn. Die Männer waren ein wenig besser, die Bildung übrigens regelmäßig und gut. ich suchte die Ursache und glaubte sie im Gebrauch des Mais und des Haiden zu finden. In diesen Gedanken bin ich immer mehr bestärkt geworden. Der Mais den sie auch gelbe Blende nennen, weil seine Körner gelb sind, und die schwarze Blende werden gemahlen, das Mehl in Wasser gekocht daß es ein dicker Brey wird und so gegessen.

Die Deutschen, das heißt die überm Berge, rupfen den Teig wieder auseinander und braten ihn in Butter auf; aber der Wälsche Tyroler isst ihn so weg, manchmal Käse drauf gerieben und das ganze Jahr kein Fleisch, notwendig muß das alle Gefäße verkleben und verstopfen, besonders bey Kindern und Frauen, und die ganz kachecktische Farbe kommt daher. Ich fragte ob es nicht auch reiche Bauern gebe? – Ja freylich – Tun sie sich nichts zu gute? essen sie nicht besser? – Nein, sie sind es einmal gewohnt – Wo kommen sie denn mit ihrem Gelde hin? Was machen sie sonst für Aufwand? – O die haben schon ihre Herren die es ihnen wieder abnehmen! –Das war die Summe des Gesprächs mit meiner Wirtstochter einem recht guten Geschöpfe.

Sonst essen sie auch noch Früchte und grüne Bohnen die sie in Wasser absieden und mit Knoblauch und Oel anmachen. Die Leute die mir aus der Stadt begegneten sahen wohler aus und hübsche volle Mädgen Gesichter, auf dem Lande und in kleinen Städten fehlte es auch nicht ganz, doch machten sie eine Ausnahme. Wenn es viel Wein gibt kaufen die Städter und andre Verleger den Bauern den Wein um ein Spottgeld ab und handlen damit. etc. Pauper ubique jacet. Und der Unterbesitzer liegt überall unten. Ich habe in Trent die Leute genau angesehn, sie sehn durchaus besser aus als auf dem Lande. Die Frauen sind meist für ihre Stärke und die größe der Köpfe etwas zu klein aber mitunter recht hübsche entgegenkommende Gesichter. Die Mannsgesichter kennen wir, doch sehn sie hier weniger frisch aus als die Weiber wahrscheinlich weil die Weiber mehr körperliche Arbeit, mehr Bewegung haben, die Männer mehr als Handelsleute oder Handwerker sitzen. Am Lago di Garda fand ich die Leute sehr braun und ohne einen rötlichen Schein von Farbe; aber doch nicht ungesund aussehend sondern ganz frisch und behäglich.
                                                 


                             



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Fußnote

Sie sprechen es Formentass aus und Formenton ist die Blende deren ich oben gedacht.

NB. arme Frau die mich ihr Kind in den Wagen zu nehmen weil ihm der heise Boden die Füße brenne. Sonderbarer Putz des Kindes. Ich redete es Italiänisch an, es sagte das es kein Deutsch verstehe.

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