
AN SCHILLER
Frankfurt, den 14. August 1797
Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabei vorzüglich die Freude gehabt einen Teil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Dekorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bei der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der echten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Dasein ausdrücken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum auf’s Anmutige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmutige Erscheinung sein. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig sein, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Dekorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableau’s machen; der Dekorateur muß noch einen Schritt weiter tun als der Landschaftsmaler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfnis zu modifizieren weiß. Die Dekorationen zu Palmira geben Beispiele woraus man die Lehre der Theatermalerei abstrahieren könnte; es sind sechs Dekorationen die auf einander in zwei Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt; sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt; selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bei, und alle seine Konstruktionen gründen sich auf den Begriff dessen was im Wirklichen gefordert wird. Seine Zierathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und verteilt. Diesen sieht man die große Stuccaturschule an, die sich in Mailand befindet und die man aus den Kupferstichwerken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen in’s Schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls; aber die übermäßige Länge und gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Notwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert. Das Kolorit ist untadelhaft und die Art zu malen äußerst frei und bestimmt. Alle die perspektivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Direktionspunkten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werken. Die Teile sind völlig deutlich und klar, ohne hart zu sein, und das Ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail, und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht; nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.
Und so leben Sie wohl und lassen mich bald von sich hören. Ich bin oft auf Ihrer stillen Höhe bei Ihnen, und wenn’s recht regnet erinnere ich mich des Rauschens der Leutra und ihrer Gossen.
Nicht eher will ich wieder kommen als bis ich wenigstens eine Sattheit der Empirie empfinde, da wir an eine Totalität nicht denken dürfen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles.
G.

Frankfurt, den 14. August 1797
Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabei vorzüglich die Freude gehabt einen Teil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Dekorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bei der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der echten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Dasein ausdrücken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum auf’s Anmutige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmutige Erscheinung sein. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig sein, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Dekorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableau’s machen; der Dekorateur muß noch einen Schritt weiter tun als der Landschaftsmaler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfnis zu modifizieren weiß. Die Dekorationen zu Palmira geben Beispiele woraus man die Lehre der Theatermalerei abstrahieren könnte; es sind sechs Dekorationen die auf einander in zwei Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt; sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt; selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bei, und alle seine Konstruktionen gründen sich auf den Begriff dessen was im Wirklichen gefordert wird. Seine Zierathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und verteilt. Diesen sieht man die große Stuccaturschule an, die sich in Mailand befindet und die man aus den Kupferstichwerken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen in’s Schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls; aber die übermäßige Länge und gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Notwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert. Das Kolorit ist untadelhaft und die Art zu malen äußerst frei und bestimmt. Alle die perspektivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Direktionspunkten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werken. Die Teile sind völlig deutlich und klar, ohne hart zu sein, und das Ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail, und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht; nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.
Und so leben Sie wohl und lassen mich bald von sich hören. Ich bin oft auf Ihrer stillen Höhe bei Ihnen, und wenn’s recht regnet erinnere ich mich des Rauschens der Leutra und ihrer Gossen.
Nicht eher will ich wieder kommen als bis ich wenigstens eine Sattheit der Empirie empfinde, da wir an eine Totalität nicht denken dürfen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles.
G.

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