Dritter Teil
Zwölftes Buch Seite 34
Der Wanderer war nun endlich gesünder und froher nach Hause gelangt als das erstemal, aber in seinem ganzen Wesen zeigte sich doch etwas Überspanntes, welches nicht völlig auf geistige Gesundheit deutete. Gleich zu Anfang brachte ich meine Mutter in den Fall, daß sie zwischen meines Vaters rechtlichem Ordnungsgeist und meiner vielfachen Exzentrizität die Vorfälle in ein gewisses Mittel zu richten und zu schlichten beschäftigt sein mußte. In Mainz hatte mir ein harfespielender Knabe so wohl gefallen, daß ich ihn, weil die Messe gerade vor der Türe war, nach Frankfurt einlud, ihm Wohnung zu geben und ihn zu befördern versprach. In diesem Ereignis trat wieder einmal diejenige Eigenheit hervor, die mich in meinem Leben so viel gekostet hat, daß ich nämlich gern sehe, wenn jüngere Wesen sich um mich versammeln und an mich anknüpfen, wodurch ich denn freilich zuletzt mit ihrem Schicksal belastet werde. Eine unangenehme Erfahrung nach der andern konnte mich von dem angebornen Trieb nicht zurückbringen, der noch gegenwärtig, bei der deutlichsten Überzeugung, von Zeit zu Zeit mich irre zu führen droht. Meine Mutter, klärer als ich, sah wohl voraus, wie sonderbar es meinem Vater vorkommen müsste, wenn ein musikalischer Meßläufer von einem so ansehnlichen Hause her zu Gasthöfen und Schenken ginge, sein Brot zu verdienen; daher sorgte sie in der Nachbarschaft für Herberge und Kost desselben; ich empfahl ihn meinen Freunden, und so befand sich das Kind nicht übel. Nach mehreren Jahren sah ich ihn wieder, wo er größer und tölpischer geworden war, ohne in seiner Kunst viel zugenommen zu haben. Die wackere Frau, mit dem ersten Probestück des Ausgleichens und Vertuschens wohl zufrieden, dachte nicht, daß sie diese Kunst in der nächsten Zeit durchaus nötig haben würde. Der Vater, in seinen verjährten Liebhabereien und Beschäftigungen ein zufriedenes Leben führend, war behaglich, wie einer, der trotz allen Hindernissen und Verspätungen seine Plane durchsetzt. Ich hatte nun promoviert, der erste Schritt zu dem fernem bürgerlichen, stufenweisen Lebensgange war getan. Meine Disputation hatte seinen Beifall, ihn beschäftigte die nähere Betrachtung derselben und manche Vorbereitung zu einer künftigen Herausgabe. Während meines Aufenthalts im Elsaß hatte ich viel kleine Gedichte, Aufsätze, Reisebemerkungen und manches fliegende Blatt geschrieben. Diese zu rubrizieren, zu ordnen, die Vollendung zu verlangen unterhielt ihn, und so war er froh in der Erwartung, das meine bisher unüberwundene Abneigung, etwas dieser Dinge gedruckt zu sehn, sich nächstens verlieren werde. Die Schwester hatte einen Kreis von verständigen und liebenswürdigen Frauenzimmern um sich versammelt. Ohne herrisch zu sein, herrschte sie über alle, indem ihr Verstand gar manches übersehn und ihr guter Wille vieles ausgleichen konnte, sie auch überdies in dem Fall war, eher die Vertraute als die Rivalin zu spielen. Von ältern Freunden und Bekannten fand ich an Horn den unveränderlich treuen Freund und heiteren Gesellschafter; mit Riese ward ich auch vertraut, der meinen Scharfsinn zu üben und zu prüfen nicht verfehlte, indem er, durch anhaltenden Widerspruch, einem dogmatischen Enthusiasmus, in welchen ich nur gar zu gern verfiel, Zweifel und Verneinung entgegensetzte. Andere traten nach und nach zu diesem Kreis, deren ich künftig gedenke; jedoch standen unter den Personen, die mir den neuen Aufenthalt in meiner Vaterstadt angenehm und fruchtbar machten, die Gebrüder Schlosser allerdings obenan. Der ältere, Hieronymus, ein gründlicher und eleganter Rechtsgelehrter, hatte als Sachwalter ein allgemeines Vertrauen. Unter seinen Büchern und Akten, in Zimmern, wo die größte Ordnung herrschte, war sein liebster Aufenthalt; dort hab ich ihn niemals anders als heiter und teilnehmend gefunden. Auch in größerer Gesellschaft erwies er sich angenehm und unterhaltend: denn sein Geist war, durch eine ausgebreitete Lektüre, mit allem Schönen der Vorwelt geziert. Er verschmähte nicht, bei Gelegenheit, durch geistreiche lateinische Gedichte die geselligen Freuden zu vermehren; wie ich denn noch verschiedene scherzhafte Distichen von ihm besitze, die er unter einige von mir gezeichnete Porträte seltsamer, allgemein bekannter Frankfurter Karikaturen geschrieben hatte. Öfters beriet ich mich mit ihm über meinen einzuleitenden Lebens- und Geschäftsgang, und hätten mich nicht hundertfältige Neigungen, Leidenschaften und Zerstreuungen von diesem Wege fortgerissen, er würde mir der sicherste Führer geworden sein.
Näher an Alter stand mir sein Bruder Georg, der sich von Treptow, aus den Diensten des Herzogs Eugen von Würtemberg, wieder zurückgezogen hatte. An Weltkenntnis, an praktischem Geschick vorgeschritten, war er in seiner Übersicht der deutschen und auswärtigen Literatur auch nicht zurückgeblieben. Er schrieb, wie vormals, gern in allen Sprachen, regte mich aber dadurch nicht weiter an, da ich, mich dem Deutschen ausschließlich widmend, die übrigen nur insoweit kultivierte, daß ich die besten Autoren im Original einigermaßen zu lesen imstande war. Seine Rechtschaffenheit zeigte sich immer als dieselbe, ja die Bekanntschaft mit der Welt mochte ihn veranlasst haben, strenger, sogar starrer auf seinen wohlmeinenden Gesinnungen zu beharren.
Durch diese beiden Freunde ward ich denn auch gar bald mit Merck bekannt, dem ich durch Herdern, von Straßburg aus, nicht ungünstig angekündigt war. Dieser eigne Mann, der auf mein Leben den größten Einfluß gehabt, war von Geburt ein Darmstädter. Von seiner früheren Bildung wüßte ich wenig zu sagen. Nach vollendeten Studien führte er einen Jüngling nach der Schweiz, wo er eine Zeitlang blieb, und beweiht zurückkam. Als ich ihn kennen lernte, war er Kriegszahlmeister in Darmstadt. Mit Verstand und Geist geboren, hatte er sich sehr schöne Kenntnisse, besonders der neueren Literaturen, erworben, und sich in der Welt- und Menschengeschichte nach allen Zeiten und Gegenden umgesehn. Treffend und scharf zu urteilen war ihm gegeben. Man schätzte ihn als einen wackern entschlossenen Geschäftsmann und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit trat er überall ein, als ein sehr angenehmer Gesellschafter für die, denen er sich durch beißende Züge nicht furchtbar gemacht hatte. Er war lang und hager von Gestalt, eine hervordringende spitze Nase zeichnete sich aus, hellblaue, vielleicht graue Augen gaben seinem Blick, der aufmerkend hin und wider ging, etwas Tigerartiges. Lavaters »Physiognomik« hat uns sein Profil aufbewahrt. In seinem Charakter lag ein wunderbares Missverhältnis: von Natur ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die Welt erbittert, und ließ diesen grillenkranken Zug dergestalt in sich walten, daß er eine unüberwindliche Neigung fühlte, vorsätzlich ein Schalk, ja ein Schelm zu sein. Verständig, ruhig, gut in einem Augenblick, konnte es ihm in dem andern einfallen, wie die Schnecke ihre Hörner hervorstreckt, irgend etwas zu tun, was einen andern kränkte, verletzte, ja was ihm schädlich ward. Doch wie man gern mit etwas Gefährlichem umgeht, wenn man selber davor sicher zu sein glaubt, so hatte ich eine desto größere Neigung, mit ihm zu leben und seiner guten Eigenschaften zu genießen, da ein zuversichtliches Gefühl mich ahnden ließ, daß er seine schlimme Seite nicht gegen mich kehren werde. Wie er sich nun, durch diesen sittlich unruhigen Geist, durch dieses Bedürfnis, die Menschen hämisch und tückisch zu behandeln, von einer Seite das gesellige Leben verdarb, so widersprach eine andere Unruhe, die er auch recht sorgfältig in sich nährte, seinem innern Behagen. Er fühlte nämlich einen gewissen dilettantischen Produktionstrieb, dem er um so mehr nachhing, als er sich in Prosa und Versen leicht und glücklich ausdrückte, und unter den schönen Geistern jener Zeit eine Rolle zu spielen gar wohl wagen durfte. Ich besitze selbst noch poetische Episteln von ungemeiner Kühnheit, Derbheit und Swiftischer Galle, die sich durch originelle Ansichten der Personen und Sachen höchlich auszeichnen, aber zugleich mit so verletzender Kraft geschrieben sind, daß ich sie nicht einmal gegenwärtig publizieren möchte, sondern sie entweder vertilgen, oder als auffallende Dokumente des geheimen Zwiespalts in unserer Literatur der Nachwelt aufbewahren muß. Das er jedoch bei allen seinen Arbeiten verneinend und zerstörend zu Werke ging, war ihm selbst unangenehm, und er sprach es oft aus, er beneide mich um meine unschuldige Darstellungslust, welche aus der Freude an dem Vorbild und dem Nachgebildeten entspringe.
Übrigens hätte ihm sein literarischer Dilettantismus eher Nutzen als Schaden gebracht, wenn er nicht den unwiderstehlichen Trieb gefühlt hätte, auch im technischen und merkantilischen Fach aufzutreten. Denn wenn er einmal seine Fähigkeiten zu verwünschen anfing, und außer sich war, die Ansprüche an ein ausübendes Talent nicht genialisch genug befriedigen zu können, So ließ er bald die bildende, bald die Dichtkunst fahren und sann auf fabrikmäßige kaufmännische Unternehmungen, welche Geld einbringen sollten, indem sie ihm Spaß machten.
In Darmstadt befand sich übrigens eine Gesellschaft von sehr gebildeten Männern. Geheimerat von Hesse, Minister des Landgrafen, Professor Petersen, Rektor Wenck und andere waren die Einheimischen, zu deren Wert sich manche fremde Benachbarte und viele Durchreisende abwechselnd gesellten. Die Geheimerätin von Hesse und ihre Schwester, Demoiselle Flachsland, waren Frauenzimmer von seltenen Verdiensten und Anlagen, die letztre, Herders Braut, doppelt interessant durch ihre Eigenschaften und ihre Neigung zu einem so vortrefflichen Manne.
Wie sehr dieser Kreis mich belebte und förderte, wäre nicht auszusprechen. Man hörte gern die Vorlesung meiner gefertigten oder angefangenen Arbeiten, man munterte mich auf, wenn ich offen und umständlich erzählte, was ich eben vorhatte, und schalt mich, wenn ich bei jedem neuen Anlass das Früherbegonnene zurücksetzte. »Faust« war schon vorgeruckt, »Götz von Berlichingen« baute sich nach und nach so in meinem Geiste zusammen, das Studium des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts beschäftigte mich, und jenes Münstergebäude hatte einen sehr ernsten Eindruck in mir zurückgelassen, der als Hintergrund zu solchen Dichtungen gar wohl dastehn konnte.
Was ich über jene Baukunst gedacht und gewähnt hatte, schrieb ich zusammen. Das erste, worauf ich drang, war, daß man sie deutsch und nicht gotisch nennen, nicht für ausländisch, sondern für vaterländisch halten solle; das zweite, daß man sie nicht mit der Baukunst der Griechen und Römer vergleichen dürfe, weil sie aus einem ganz anderen Prinzip entsprungen sei. Wenn jene, unter einem glücklicheren Himmel, ihr Dach auf Säulen ruhen ließen, so entstand ja schon an und für sich eine durchbrochene Wand. Wir aber, die wir uns durchaus gegen die Witterung schützen, und mit Mauern überall umgeben müssen, haben den Genius zu verehren, der Mittel fand, massiven Wänden Mannigfaltigkeit zu geben, sie dem Scheine nach zu durchbrechen und das Auge würdig und erfreulich auf der großen Fläche zu beschäftigen. Dasselbe galt von den Türmen, welche nicht, wie die Kuppeln, nach innen einen Himmel bilden, Sondern außen gen Himmel streben, und das Dasein des Heiligtums, das sich an ihre Base gelagert, weit umher den Ländern verkünden sollten. Das Innere dieser würdigen Gebäude wagte ich nur durch poetisches Anschauen und durch fromme Stimmung zu berühren.
Hätte ich diese Ansichten, denen ich ihren Wert nicht absprechen will, klar und deutlich, in vernehmlichem Stil abzufassen beliebt, so hätte der Druckbogen »Von deutscher Baukunst, D. M. Ervini a Steinbach« schon damals, als ich ihn herausgab, mehr Wirkung getan und die vaterländischen Freunde der Kunst früher aufmerksam gemacht; so aber verhüllte ich, durch Hamanns und Herders Beispiel verführt, diese ganz einfachen Gedanken und Betrachtungen in eine Staubwolke von seltsamen Worten und Phrasen, und verfinsterte das Licht, das mir aufgegangen war, für mich und andere. Demungeachtet wurden diese Blätter gut aufgenommen und in dem Herderschen Heft »Von deutscher Art und Kunst« nochmals abgedruckt.
Wenn ich mich nun, teils aus Neigung, teils zu dichterischen und andern Zwecken, mit vaterländischen Altertümern sehr gern beschäftigte und sie mir zu vergegenwärtigen suchte; so ward ich durch die biblischen Studien und durch religiöse Anklänge von Zeit zu Zeit wieder abgelenkt, da ja Luthers Leben und Taten, die in dem sechzehnten Jahrhundert so herrlich hervorglänzen, mich immer wieder zu den Heiligen Schriften und zu Betrachtung religiöser Gefühle und Meinungen hinleiten mußten. Die Bibel als ein zusammengetragenes, nach und nach entstandenes, zu verschiedenen Zeiten überarbeitetes Werk anzusehn, schmeichelte meinem kleinen Dünkel, indem diese Vorstellungsart noch keineswegs herrschend, viel weniger in dem Kreis aufgenommen war, in welchem ich lebte. Was den Hauptsinn betraf, hielt ich mich an Luthers Ausdruck, im einzelnen ging ich wohl zur Schmidischen wörtlichen Übersetzung, und suchte mein weniges Hebräisch dabei so gut als möglich zu benutzen. Daß in der Bibel sich Widersprüche finden, wird jetzt niemand in Abrede sein. Diese suchte man dadurch auszugleichen, daß man die deutlichere Stelle zum Grunde legte, und die widersprechende, weniger klare jener anzuähnlichen bemüht war. Ich dagegen wollte durch Prüfung herausfinden,
welche Stelle den Sinn der Sache am meisten ausspräche; an diese hielt ich mich und verwarf die anderen als untergeschoben.
Denn schon damals hatte sich bei mir eine Grundmeinung festgesetzt, ohne daß ich zu sagen wüsste, ob sie mir eingeflößt, ob sie bei mir angeregt worden, oder ob sie aus eignem Nachdenken entsprungen sei. Es war nämlich die: bei allem, was uns überliefert, besonders aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund, auf das Innere, den Sinn, die Richtung des Werks an; hier liege das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche, und keine Zeit, keine äußere Einwirkung noch Bedingung könne diesem innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit des Körpers einer wohlgebildeten Seele. So sei nun Sprache, Dialekt, Eigentümlichkeit, Stil und zuletzt die Schrift als Körper eines jeden geistigen Werks anzusehn; dieser, zwar nah genug mit dem Innern verwandt, sei jedoch der Verschlimmerung, dem Verderbnis ausgesetzt: wie denn überhaupt keine Überlieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben und, wenn sie auch rein gegeben würde, in der Folge jederzeit vollkommen verständlich sein könnte, jenes wegen Unzulänglichkeit der Organe, durch welche überliefert wird, dieses wegen des Unterschieds der Zeiten, der Orte, besonders aber wegen der Verschiedenheit menschlicher Fähigkeiten und Denkweisen; weshalb denn ja auch die Ausleger sich niemals vergleichen werden.
Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserm eignen Innern verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde; alles Außere hingegen, was auf uns unwirksam, oder einem Zweifel unterworfen sei, habe man der Kritik zu überlassen, welche, wenn sie auch imstande sein sollte, das Ganze zu zerstückeln und zu zersplittern, dennoch niemals dahin gelangen würde, uns den eigentlichen Grund, an dem wir festhalten, zu rauben, ja uns nicht einen Augenblick an der einmal gefassten Zuversicht irre zu machen.
Diese aus Glauben und Schauen entsprungene Überzeugung, welche in allen Fällen, die wir für die wichtigsten erkennen, anwendbar und stärkend ist, liegt zum Grunde meinem sittlichen sowohl als literarischen Lebensbau, und ist als ein wohl angelegtes und reichlich wucherndes Kapital anzusehn, ob wir gleich in einzelnen Fällen zu fehlerhafter Anwendung verleitet werden können. Durch diesen Begriff ward mir denn die Bibel erst recht zugänglich. Ich hatte sie, wie bei dem Religionsunterricht der Protestanten geschieht, mehrmals durchlaufen, ja, mich mit derselben sprungweise, von vorn nach hinten und umgekehrt, bekannt gemacht. Die derbe Natürlichkeit des Alten Testaments und die zarte Naivetät des Neuen hatte mich im einzelnen angezogen; als ein Ganzes wollte sie mir zwar niemals recht entgegentreten, aber die verschiedenen Charakter der verschiedenen Bücher machten mich nun nicht mehr irre: ich wußte mir ihre Bedeutung der Reihe nach treulich zu vergegenwärtigen und hatte überhaupt zu viel Gemüt an dieses Buch verwandt, als daß ich es jemals wieder hätte entbehren sollen. Eben von dieser gemütlichen Seite war ich gegen alle Spöttereien geschützt, weil ich deren Unredlichkeit sogleich einsah. Ich verabscheute sie nicht nur, sondern ich konnte darüber in Wut geraten, und ich erinnere mich noch genau, daß ich in kindlich fanatischem Eifer Voltairen, wenn ich ihn hätte habhaft werden können, wegen seines »Sauls« gar wohl erdrosselt hätte. Jede Art von redlicher Forschung dagegen sagte mir höchlich zu, die Aufklärungen über des Orients Lokalität und Kostüm, welche immer mehr Licht verbreiteten, nahm ich mit Freuden auf, und fuhr fort, allen meinen Scharfsinn an den so werten Überlieferungen zu üben.
Man weiß, wie ich schon früher mich in den Zustand der Urwelt, die uns das erste Buch Mosis schildert, einzuweihen suchte. Weil ich nun schrittweise und ordentlich zu verfahren dachte, so griff ich, nach einer langen Unterbrechung, das zweite Buch an. Allein welch ein Unterschied Gerade wie die kindliche Fülle aus meinem Leben verschwunden war, so fand ich auch das zweite Buch von dem ersten durch eine ungeheure Kluft getrennt. Das völlige Vergessen vergangener Zeit spricht sich schon aus in den wenigen bedeutenden Worten: »Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Joseph.« Aber auch das Volk, wie die Sterne des Himmels unzählbar, hatte beinah den Ahnherrn vergessen, dem Jehovah gerade dieses nunmehr erfüllte Versprechen unter dem Sternenhimmel getan hatte. Ich arbeitete mich mit unsäglicher Mühe, mit unzulänglichen Hülfsmitteln und Kräften durch die fünf Bücher und geriet dabei auf die wunderlichsten Einfälle. Ich glaubte gefunden zu haben, daß nicht unsere Zehn Gebote auf den Tafeln gestanden, daß die Israeliten keine vierzig Jahre, sondern nur kurze Zeit durch die Wüste gewandert, und ebenso bildete ich mir ein, über den Charakter Mosis ganz neue Aufschlüsse geben zu können.
Auch das Neue Testament war vor meinen Untersuchungen nicht sicher; ich verschonte es nicht mit meiner Sonderungslust, aber aus Liebe und Neigung stimmte ich doch in jenes heilsame Wort mit ein: »Die Evangelisten mögen sich widersprechen, wenn sich nur das Evangelium nicht widerspricht.« - Auch in dieser Region glaubte ich allerhand Entdeckungen zu machen. Jene Gabe der Sprachen, am Pfingstfeste in Glanz und Klarheit erteilt, deutete ich mir auf eine etwas abstruse Weise, nicht geeignet, sich viele Teilnehmer zu verschaffen. In eine der Hauptlehren des Luthertums, welche die Brüdergemeine noch geschärft hatte, das Sündhafte im Menschen als vorwaltend anzusehn, versuchte ich mich zu schicken, obgleich nicht mit sonderlichem Glück. Doch hatte ich mir die Terminologie dieser Lehre so ziemlich zu eigen gemacht, und bediente mich derselben in einem Briefe, den ich unter der Maske eines Landgeistlichen an einen neuen Amtsbruder zu erlassen beliebte. Das Hauptthema dessel-bigen Schreibens war jedoch die Losung der damaligen Zeit, sie hieß Toleranz, und galt unter den besseren Köpfen und Geistern.
Solche Dinge, die nach und nach entstanden, ließ ich, um mich an dem Publikum zu versuchen, im folgenden Jahre auf meine Kosten drucken, verschenkte sie, oder gab sie der Eichenbergischen Buchhandlung, um sie so gut als möglich zu verhöken, ohne daß mir dadurch einiger Vorteil zugewachsen wäre. Hier und da gedenkt eine Rezension derselben, bald günstig, bald ungünstig, doch gleich waren sie verschollen. Mein Vater bewahrte sie sorgfältig in seinem Archiv, sonst würde ich kein Exemplar davon besitzen. Ich werde sie, sowie einiges Ungedruckte der Art, was ich noch vorgefunden, der neuen Ausgabe meiner Werke hinzufügen.
Da ich mich nun sowohl zu dem sibyllinischen Stil solcher Blätter als zu der Herausgabe derselben eigentlich durch Hamann hatte verleiten lassen, so scheint mir hier eine schickliche Stelle, dieses würdigen einflußreichen Mannes zu gedenken, der uns damals ein ebenso großes Geheimnis war, als er es immer dem Vaterlande geblieben ist. Seine »sokratischen Denkwürdigkeiten« erregten Aufsehen, und waren solchen Personen besonders lieb, die sich mit dem blendenden Zeitgeiste nicht vertragen konnten. Man ahndete hier einen tiefdenkenden gründlichen Mann, der, mit der offenbaren Welt und Literatur genau bekannt, doch auch noch etwas Geheimes, Unerforschliches gelten ließ, und sich darüber auf eine ganz eigne Weise aussprach. Von denen, die damals die Literatur des Tags beherrschten, ward er freilich für einen abstrusen Schwärmer gehalten, eine aufstrebende Jugend aber ließ sich wohl von ihm anziehn. Sogar die Stillen im Lande, wie sie halb im Scherz, halb im Ernst genannt wurden, jene frommen Seelen, welche, ohne sich zu irgend einer Gesellschaft zu bekennen, eine unsichtbare Kirche bildeten, wendeten ihm ihre Aufmerksamkeit zu, und meiner Klettenberg, nicht weniger ihrem Freunde Moser war der »Magus aus Norden« eine willkommene Erscheinung. Man setzte sich um so mehr mit ihm in Verhältnis, als man erfahren hatte, das er, von knappen häuslichen Umständen gepeinigt, sich dennoch diese schöne und hohe Sinnesweise zu erhalten verstand. Bei dem großen Einflusse des Präsidenten von Moser wäre es leicht gewesen, einem so genügsamen Manne ein leidliches und bequemes Dasein zu verschaffen. Die Sache war auch eingeleitet, ja man hatte sich so weit schon verständigt und genähert, daß Hamann die weite Reise von Königsberg nach Darmstadt unternahm. Als aber der Präsident zufällig abwesend war, kehrte jener wunderliche Mann, aus welchem Anlass weiß man nicht, sogleich wieder zurück; man blieb jedoch in einem freundlichen Briefverhältnis. Ich besitze noch zwei Schreiben des Königsbergers an seinen Gönner, die von der wundersamen Großheit und Innigkeit ihres Verfassers Zeugnis ablegen.
Aber ein so gutes Verständnis sollte nicht lange dauern. Diese frommen Menschen hatten sich jenen auch nach ihrer Weise fromm gedacht, sie hatten ihn als den Magus aus Norden mit Ehrfurcht behandelt, und glaubten, daß er sich auch so fort in ehrwürdigem Betragen darstellen würde. Allein er hatte schon durch die »Wolken, ein Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten« einigen Anstoß gegeben, und da er nun gar die »Kreuzzüge des Philologen« herausgab, auf deren Titelblatt nicht allein das Ziegenprofil eines gehörnten Pans zu sehen war, sondern auch auf einer der ersten Seiten ein großer, in Holz geschnittener Hahn, taktgebend jungen Hähnchen, die mit Noten in den Krallen vor ihm da standen, sich höchst lächerlich zeigte, wodurch gewisse Kirchenmusiken, die der Verfasser nicht billigen mochte, scherzhaft durchgezogen werden sollten: so entstand unter den Wohl-und Zartgesinnten ein Mißbehagen, welches man dem Verfasser merken ließ, der denn auch, dadurch nicht erbaut, einer engeren Vereinigung sich entzog. Unsere Aufmerksamkeit auf diesen Mann hielt jedoch Herder immer lebendig, der, mit seiner Braut und uns in Korrespondenz bleibend, alles, was von jenem merkwürdigen Geiste nur ausging, sogleich mitteilte. Darunter gehörten denn auch seine Rezensionen und Anzeigen, eingerückt in die »Königsberger Zeitung«, die alle einen höchst sonderbaren Charakter trugen. Ich besitze eine meist vollständige Sammlung seiner Schriften und einen sehr bedeutenden handschriftlichen Aufsatz über Herders Preisschrift, den Ursprung der Sprache betreffend, worin er dieses Herdersche Probestück, auf die eigenste Art, mit wunderlichen Schlaglichtern beleuchtet.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, eine Herausgabe der Hamannschen Werke entweder selbst zu besorgen, oder wenigstens zu befördern, und alsdann, wenn diese wichtigen Dokumente wieder vor den Augen des Publikums liegen, möchte es Zeit sein, über den Verfasser, dessen Natur und Wesen das Nähere zu besprechen; inzwischen will ich noch einiges hier schon beibringen, um so mehr, als noch vorzügliche Männer leben, die ihm auch ihre Neigung geschenkt, und deren Beistimmung oder Zurechtweisung mir sehr willkommen sein würde. Das Prinzip, auf welches die sämtlichen Äußerungen Hamanns sich zurückführen lassen, ist dieses: »Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich.« Eine herrliche Maxime! aber schwer zu befolgen. Von Leben und Kunst mag sie freilich gelten; bei jeder Überlieferung durchs Wort hingegen, die nicht gerade poetisch ist, findet sich eine große Schwierigkeit: denn das Wort muß sich ablösen, es muß sich vereinzeln, um etwas zu sagen, zu bedeuten. Der Mensch, indem er spricht, muß für den Augenblick einseitig werden; es gibt keine Mitteilung, keine Lehre ohne Sonderung. Da nun aber Hamann ein für allemal dieser Trennung widerstrebte, und, wie er in einer Einheit empfand, imaginierte, dachte, so auch sprechen wollte, und das gleiche von andern verlangte; so trat er mit seinem eignen Stil und mit allem, was die andern hervorbringen konnten, in Widerstreit. Um das Unmögliche zu leisten, greift er daher nach allen Elementen; die tiefsten geheimsten Anschauungen, wo sich Natur und Geist im Verborgenen begegnen, erleuchtende Verstandesblitze, die aus einem solchen Zusammentreffen hervorstrahlen, bedeutende Bilder, die in diesen Regionen schweben, andringende Sprüche der heiligen und Profanskribenten, und was sich sonst noch humoristisch hinzufügen mag, alles dieses bildet die wunderbare Gesamtheit seines Stils, seiner Mitteilungen. Kann man sich nun in der Tiefe nicht zu ihm gesellen, auf den Höhen nicht mit ihm wandeln, der Gestalten, die ihm vorschweben, sich nicht bemächtigen, aus einer unendlich ausgebreiteten Literatur nicht gerade den Sinn einer nur angedeuteten Stelle herausfinden; so wird es um uns nur trüber und dunkler, je mehr wir ihn studieren, und diese Finsternis wird mit den Jahren immer zunehmen, weil seine Anspielungen auf bestimmte, im Leben und in der Literatur augenblicklich herrschende Eigenheiten vorzüglich gerichtet waren. Unter meiner Sammlung befinden sich einige seiner gedruckten Bogen, wo er an dem Rande eigenhändig die Stellen zitiert hat, auf die sich seine Andeutungen beziehn. Schlägt man sie auf, so gibt es abermals ein zweideutiges Doppellicht, das uns höchst angenehm erscheint, nur muß man durchaus auf das Verzicht tun, was man gewöhnlich Verstehen nennt. Solche Blätter verdienen auch deswegen sibyllinisch genannt zu werden, weil man sie nicht an und für sich betrachten kann, sondern auf Gelegenheit warten muß, wo man etwa zu ihren Orakeln seine Zuflucht nähme. Jedesmal, wenn man sie aufschlägt, glaubt man etwas Neues zu finden, weil der einer jeden Stelle inwohnende Sinn uns auf eine vielfache Weise berührt und aufregt.
Persönlich habe ich ihn nie gesehn, auch kein unmittelbares Verhältnis zu ihm durch Briefe gehabt. Mir scheint er in Lebens- und Freundschaftsverhältnissen höchst klar gewesen zu sein und die Bezüge der Menschen untereinander und auf ihn sehr richtig gefühlt zu haben. Alle Briefe, die ich von ihm sah, waren vortrefflich und viel deutlicher als seine Schriften, weil hier der Bezug auf Zeit und Umstände sowie auf persönliche Verhältnisse klarer hervortrat. Soviel glaubte ich jedoch durchaus zu ersehn, daß er, die Überlegenheit seiner Geistesgaben aufs naivste fühlend, sich jederzeit für etwas weiser und klüger gehalten als seine Korrespondenten, denen er mehr ironisch als herzlich begegnete. Gälte dies auch nur von einzelnen Fällen, so war es für mich doch die Mehrzahl, und Ursache, daß ich mich ihm zu nähern niemals Verlangen trug. Zwischen Herder und uns waltete dagegen ein gemütlich literarischer Verkehr höchst lebhaft fort, nur schade, das er sich niemals ruhig und rein erhalten konnte. Aber Herder unterließ sein Necken und Schelten nicht; Mercken brauchte man nicht viel zu reizen, der mich denn auch zur Ungeduld aufzuregen wußte. Weil nun Herder unter allen Schriftstellern und Menschen Swiften am meisten zu ehren schien, so hieß er unter uns gleichfalls der Dechant, und dieses gab abermals zu mancherlei Irrungen und Verdrießlichkeiten Anlaß.
Dessen ungeachtet freuten wir uns höchlich, als wir vernahmen, daß er in Bückeburg sollte angestellt werden, welches ihm doppelt Ehre brachte: denn sein neuer Patron hatte den höchsten Ruf als ein einsichtiger, tapferer, obwohl sonderbarer Mann gewonnen. Thomas Abbt war in diesen Diensten bekannt und berühmt geworden, dem Verstorbenen klagte das Vaterland nach und freute sich an dem Denkmal, das ihm sein Gönner gestiftet. Nun sollte Herder an der Stelle des zu früh Verblichenen alle diejenigen Hoffnungen erfüllen, welche sein Vorgänger so würdig erregt hatte.
Die Epoche, worin dieses geschah, gab einer solchen Anstellung doppelten Glanz und Wert; denn mehrere deutsche Fürsten folgten schon dem Beispiel des Grafen von der Lippe, daß sie nicht bloß gelehrte und eigentlich geschäftsfähige, sondern auch geistreiche und vielversprechende Männer in ihre Dienste aufnahmen. Es hieß: Klopstock sei von dem Markgrafen Karl von Baden berufen worden, nicht zu
eigentlichem Geschäftsdienst, sondern um, durch seine Gegenwart, Anmut und Nutzen der höheren Gesellschaft mitzuteilen. So wie nun hierdurch das Ansehn auch dieses vortrefflichen Fürsten wuchs, der allem Nützlichen und Schönen seine Aufmerksamkeit schenkte, so mußte die Verehrung für Klopstock gleichfalls nicht wenig zunehmen. Lieb und wert war alles, was von ihm ausging; sorgfältig schrieben wir die Oden ab und die Elegien, wie sie ein jeder habhaft werden konnte. Höchst vergnügt waren wir daher, als die große Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt eine Sammlung derselben veranstaltete, und eins der wenigen Exemplare in unsere Hände kam, das uns instand setzte, die eignen handschriftlichen Sammlungen zu vervollzähligen. Daher sind uns jene ersten Lesarten lange Zeit die liebsten geblieben, ja wir haben uns noch oft an Gedichten, die der Verfasser nachher verworfen, erquickt und erfreut. So wahr ist, daß das aus einer schönen Seele hervordringende Leben nur um desto freier wirkt, je weniger es durch Kritik in das Kunstfach herübergezogen erscheint.
Klopstock hatte sich und andern talentvollen Männern, durch seinen Charakter und sein Betragen, Ansehn und Würde zu verschaffen gewußt; nun sollten sie ihm aber auch wo möglich die Sicherung und Verbesserung ihres häuslichen Bestandes verdanken. Der Buchhandel nämlich bezog sich in früherer Zeit mehr auf bedeutende, wissenschaftliche Fakultätswerke, auf stehende Verlagsartikel, welche mäßig honoriert wurden. Die Produktion von poetischen Schriften aber wurde als etwas Heiliges angesehn, und man hielt es beinah für Simonie, ein Honorar zu nehmen oder zu steigern. Autoren und Verleger standen in dem wunderlichsten Wechselverhältnis. Beide erschienen, wie man es nehmen wollte, als Patrone und als Klienten. Jene, die, neben ihrem Talent, gewöhnlich als höchst sittliche Menschen vom Publikum betrachtet und verehrt wurden, hatten einen geistigen Rang und fühlten sich durch das Glück der Arbeit belohnt; diese begnügten sich gern mit der zweiten Stelle und genossen eines ansehnlichen Vorteils: nun aber setzte die Wohlhabenheit den reichen Buchhändler wieder über den armen Poeten, und so stand alles in dem schönsten Gleichgewicht. Wechselseitige Großmut und Dankbarkeit war nicht selten: Breitkopf und Gottsched blieben lebenslang Hausgenossen; Knickerei und Niederträchtigkeit, besonders der Nachdrucker, waren noch nicht im Schwange.
Demungeachtet war unter den deutschen Autoren eine allgemeine Bewegung entstanden. Sie verglichen ihren eignen, sehr mäßigen, wo nicht ärmlichen Zustand mit dem Reichtum der angesehenen Buchhändler, sie betrachteten, wie groß der Ruhm eines Gellert, eines Rabener sei, und in welcher häuslichen Enge ein
allgemein beliebter deutscher Schriftsteller sich behelfen müsse, wenn er sich nicht durch sonst irgend einen Erwerb das Leben erleichterte. Auch die mittleren und geringern Geister fühlten ein lebhaftes Verlangen, ihre Lage verbessert zu sehn, sich von Verlegern unabhängig zu machen. Nun trat Klopstock hervor und bot seine »Gelehrtenrepublik« auf Subskription an. Obgleich die spätern Gesänge des »Messias«, teils ihres Inhalts, teils der Behandlung wegen, nicht die Wirkung tun konnten wie die frühem, die, selbst rein und unschuldig, in eine reine und unschuldige Zeit kamen; so blieb doch die Achtung gegen den Dichter immer gleich, der sich, durch die Herausgabe seiner Oden, die Herzen, Geister und Gemüter vieler Menschen zugewendet hatte. Viele wohldenkende Männer, darunter mehrere von großem Einfluß, erboten sich, Vorausbezahlung anzunehmen, die auf einen Louisdor gesetzt war, weil es hieß, daß man nicht sowohl das Buch bezahlen, als den Verfasser, bei dieser Gelegenheit, für seine Verdienste um das Vaterland belohnen sollte. Hier drängte sich nun jedermann hinzu, selbst Jünglinge und Mädchen, die nicht viel aufzuwenden hatten, eröffne-ten ihre Sparbüchsen; Männer und Frauen, der obere, der mittlere Stand trugen zu dieser heiligen Spende bei, und es kamen vielleicht tausend Pränumeranten zusammen. Die Erwartung war aufs höchste gespannt, das Zutrauen so groß als möglich.
Hiernach musste das Werk, bei seiner Erscheinung, den seltsamsten Erfolg von der Welt haben; zwar immer von bedeutendem Wert, aber nichts weniger als allgemein ansprechend. Wie Klopstock über Poesie und Literatur dachte, war in Form einer alten deutschen Druidenrepublik dargestellt, seine Maximen über das Echte und Falsche in lakonischen Kernsprüchen angedeutet, wobei jedoch manches Lehrreiche der seltsamen Form aufgeopfert wurde. Für Schriftsteller und Literatoren war und ist das Buch unschätzbar, konnte aber auch nur in diesem Kreise wirksam und nützlich sein. Wer selbst gedacht hatte, folgte dem Denker, wer das Echte zu suchen und zu schätzen wusste, fand sich durch den gründlichen braven Mann belehrt; aber der Liebhaber, der Leser ward nicht aufgeklärt, ihm blieb das Buch versiegelt, und doch hatte man es in alle Hände gegeben, und indem jedermann ein vollkommen brauchbares Werk erwartete, erhielten die meisten ein solches, dem sie auch nicht den mindesten Geschmack abgewinnen konnten. Die Bestürzung war allgemein, die Achtung gegen den Mann aber so groß, daß kein Murren, kaum ein leises Murmeln entstand. Die junge schöne Welt verschmerzte den Verlust und verschenkte nun scherzend die teuer erworbenen Exemplare. Ich erhielt selbst mehrere von guten Freundinnen, deren keines aber mir geblieben ist.
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