> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel Goethe mit seiner Frau Christiane: Goethe 29. 07. 1814 (229)

2015-05-30

Briefwechsel Goethe mit seiner Frau Christiane: Goethe 29. 07. 1814 (229)




1814

In jenen Jahren, als Goethe das Freigut Oberroßla besaß (1798 bis 1803), war es sonderbarerweise zum Natürlichen, Selbstverständlichen niemals gekommen: zu einem mehrwöchigen, heitern Aufenthalte der Familie auf dem Lande in der Nähe Weimars. Der Frühling 1814 brachte dieses Glück. In dem kleinen Städtchen Berka an der Ilm, das damals noch einen ganz dörflichen Charakter hatte, war seit kurzem, dank der Aufmerksamkeit, die Goethe und der Erbprinz Karl Friedrich den dort entdeckten Schwefelquellen geschenkt hatten, eine Badeanstalt eingerichtet worden. Hier, in der ländlichen Stille, gedachte Goethe einige dringende Arbeiten (darunter das Festspiel >Des Epimenides Erwachen< für Berlin) rasch zu fördern. Schon am 12. April, dann wieder am 5. Mai hatte Christiane eine gute Wohngelegenheit im >Edelhof< vorbereitet; am 12. Mai siedelt sie dorthin über, Goethe folgt am 13. und verbringt daselbst sechs Wochen in heiterster Geselligkeit und fleißiger Arbeit. Am 25. Juni trifft Freund Zelter in Berka ein, mit ihm kehrt Goethe am 28. nach Weimar zurück, während Christiane in Gesellschaft Caroline Ulrichs (die sich inzwischen mit Riemer verlobt hatte) noch einige Zeit in Berka bleibt. - Vier Wochen später, am 25. Juli, reist Goethe nach dem Rheingau, um in Wiesbaden eine Kur zu brauchen, wie die bescheidenen Heilwasser Berkas sie ihm nicht zu bieten vermochten.



218. Goethe

[Frankfurt, 29.] Juli [1814].

Also fuhr ich zu Frankfurt ein, Freitag Abends, den 28.; die Stadt war illuminiert, und ich, wie Fritz Frommann (1), nicht wenig über diese Attention betroffen. Allein meine Bescheidenheit fand einen Schlupfwinkel, indem der König von Preußen, gleichfalls incognito, angekommen war. Ich bedankte mich daher nicht und ging, auf Karlen (2) gestützt, durch die erhellte Stadt hin und her. Wo die Lampen nicht leuchteten, schien der Mond desto heller. Auf der Brücke verwunderte ich mich über die neuen Gebäude und konnte überall wohl bemerken, was sich verschlimmert hatte, was bestand, und was neu heraufgekommen war. Zuletzt ging ich an unserm alten Hause vorbei. Die Haus-Uhr schlug drinne. Es war ein sehr bekannter Ton, denn der Nachfolger im Hausbesitz (3) hatte sie in der Auction gekauft und sie am alten Platze stehen lassen (4). Gar vieles war in der Stadt unverändert geblieben.

Heut, den 29., früh ging ich zum Bockenheimer Thor hinaus und freute mich über die neu entstandene Welt. Erst ging ich links, dann rechts und ans Eschenheimer Thor. Die Anlagen sind gut und schön.

Sodann zu Schlossers, wo mich Frau Schöff, nach der Erkennung, freundlichst bewillkommnete. Christian war lieb und gut und verständig. Köstliche alte Kupfer sah ich da, und manches neuere Gute. Der ältere Bruder kam auch, und viel wurde geschwatzt.

Willemer ist auf der Mühle, Riesen könnt ich, der Hitze wegen, nicht aufsuchen. Zwei-, dreimal des Tages kleid ich mich um und weiß im Zimmer kaum wohin. Ich hoffe, diesen seltsamen Zustand gewohnt zu werden. Zur Nachtzeit will ich auf Wiesbaden, der Mondschein begünstigt mich.

Director Schlosser spedirt das Schwalbacher Wasser nach Eisenach, an Burgemeister Sältzer. Jetzt ein Lebewohl im Schweiß meines Angesichts und Körpers.

G.




1. Der am 18. August 1806 auch zufällig in Frankfurt eingetroffen war, als gerade eine festliche Beleuchtung stattfand. - 2. Stadelmann, Diener Goethes.-3. Witwe Rössing. - 4. Diese Uhr befindet sich seit Goethes Geburtstag 1828, als Geschenk des Großherzogs Georg von Mecklenburg-Strelitz, im Goethehaus zu Weimar. 

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