
1813
217. Goethe
[Ilmenau.] Am 28. August 1813.
Ich wachte zeitig auf, ohne mich des Tags zu erinnern. Ein Kranz mit Glück auf! von Bergrath Voigt, den mir Dienemann ans Bett brachte, erinnert mich erst (s. No. 1); ich war noch nicht angezogen, als ich Durchlaucht den Herzog, den Prinzen (1) und Gefolge herankommen sah, und eilte auf der Straße entgegen. Da gab es freundliche Begrüßungen, und kaum waren sie auf meinem Zimmer, als drei kleine Mädchen mit Sträußen und Goldpapier-Bogen auf Tellern hereintraten. Das Gedicht (No. 3) von Screnissimo (2) entdeckt ich zuletzt. (No. 3) vom Grafen Edling. (No. 4) noch unbekannt. (No. 5) von Fritsch. Kaum hatte man sich damit bekannt gemacht, so traten drei hübschc Mädchen herein, jede einen Kranzhaltend; sie recitirten ihre Gcdichtc (No. 6.7.8) (3) gar hübsch, und als die letzte mir den Kranz aufsetzte, küßte ich sie gar behaglich und holte es bei den andern nach.
Bald hierauf kamen die Mütter und Großmütter mit den Enkeln und kleinsten Kindern und brachten eine bekränzte Kartoffel-Torte. Welche, so heiß sie war, dem Prinzen Bernhard fürtrefflich schmeckte. Und so war unerwartet ein sehr artiges, mannigfaltiges, wohlgemeintes, ja rührendes Fest entstanden, wo ich im Sürtout und ohne Halsbinde figurirte. So viel für dießmal. Ich siegle, damit es bei nächster Gelegenheit abgehe. Das war also auch wieder ein guter Rath, der mich nach Ilmenau hinwies. Daß ich unterwegs heiter war, saht ihr aus den Verslein (4). Gestern war ich sechs Stunden zu Pferde, welches mir sehr wohl bekam. Meine überraschende Ankunft machte viel Spaß. - Möget ihr dergleichen genießen!
G.
[Beilagen]
Glückauf, zu dem heutigen festlichen No.1
Tage!
dem 28.August 1813.
Ilmenau No.2
28. August 1813.
Wer mal vom Weibe geboren ist,
Der spare füran keine List,
Den Lebensfaden lang zu spinnen
Und täglich nur darauf zu sinnen,
Wie Wohlsein, Lust und Fröhlichkeit
Ihn bei dem Spinnen stets geleit.
Dieß Künstchen hast du wohl verstanden,
Du spannest gut in fremden Landen,
Sowie zu Haus; dein Faden zwirnte fest.
Nun drehe fort, und halte steif den Rest.
Mein Rath ist, wünsch an diesem Tage:
Entfernt von dir sei alle Plage.
An No.3
Herrn Geheimen Rath von Goethe.
Sagt, wo bin ich hingerathen?
Lacht doch hier kein blauer Himmel,
Tragen Berge nur Kartoffeln,
Wehen gar zu rauhe Lüfte,
Ach! wo bin ich hingerathen? -
Halt! ich sehe, den ich suche,
Den der Sonnengott erzogen,
Mit der Lyra, reich besaitet,
In den feuchten Wäldern sitzen.
Nun, so soll sein Blick mir lachen,
Und sein feurig Wort mich wärmen;
Ja, er soll den deutschen Wald
Zum Orangenhaine zaubern. -
Heißt das aber Kunst zu leben,
Wenn ich fodre, statt zu geben? -
Ei! die ausgelassne Freude
Kümmert kein Decorum heute.
Heute schenkt’ er uns sich selber,
Laßt die Schenkung fest uns halten,
Und die Parzen kniend flehen,
Daß sie lang und rosenhell
Ihm das seidne Fädchen drehen.
Wandl er tief in Norden ein,
Doch will ich sein Schatte sein.
Wenn ihn seine Deutschen ehren,
Soll es meine Roma hören.
O, wer weiß, sieht er mich gerne,
Denket, ach! der milden Ferne,
Wo ihm Amor schalkhaft lachte
Und, um stille Mitternacht,
Brauner Mädchen Küsse brachte.
Ilmenau, den 28. August 1813. G.v.E
Dem No.4
Hochbetrauten Beschützer
und Patrono
der
magnifiquen Academiae Jenensis
überreicht
diese sich so nennende Gratulation,
ein ungenannter,
doch wohlgekannter
Musensohn.
Ilmenau
am Thüringer Walde,
den 28. August 1813.
Mich sendet Academia
Zu ihrem Mäcenaten,
Ich soll in bester Formula -
Obgleich ganz unberathen -
Begratuliren diesen Tag;
Ach, helfe doch, wer helfen mag.
Ich ging oft ins Collegium,
Wie Professores wissen;
Die Weisheit hab ich, ohne Ruhm,
An Schuhen abgerissen;
Doch Verse machen lernt ich nie,
Ich trieb Natur-Philosophie.
Ich steh in Jena, dacht ichs schon,
Wie Butter an der Sonne,
Es stockt die Gratulation
An diesem Tag der Wonne;
Doch hab ich Ehre gnug daran,
Daß ich mit dir nur reden kann.
Erdenk dir selber, großer Geist!
Was Professor es wollten,
Als sie - darob ich hergereist -
Dir Wünsche multum zollten.
Denn ich, der Bruder Studio,
Ich sage nur:
Leb lang und froh! X.Y.Z.
No.5
Gegrüßet seist Du im Bergland!
oft erfreute Dich die Felswand,
einst geborsten am schroffen Rand,
treue Freunde umgeben Dich
heut recht innig und freuen sich
einer wie alle! glaubs sicherlich.
No.6
Erste Jungfrau.
Dich suchten wir, geehrter Mann!
Und zittern, Dich zu finden.
Wiss, es gebot ein hoher Geist,
Die Kränze Dir zu winden.
Und wir - wir dachten nur des Glücks
Und nicht an unsre Schwächen;
Was wir gewünscht und nie gehofft -
Kann, wer das fühlt, wohl sprechen? -
Auch hörst du keinen Wunsch von mir,
Du schaffst Dir selbst die Welten,
Und zauberst Alle mit hinein -
O! laß mich schweigend dieß vergelten.
(Übergibt den Kranz von Vergißmeinnicht.)
No.7
Zweite Jungfrau
Der Liebe Wort gilt überall,
Du wirst es freundlich hören;
Drum, was die Schwester nicht gewagt,
Wag ich, Dir zu beschwören.
Dein Geist, der in das Tiefste blickt,
Zum Höchsten Brücken bauet,
Bedarf doch zu des Lebens Glück
Des Herzens, dem er trauet;
Drum nimm im Kranz das stille Pfand
Der herzlichen Verehrung.
Vergiß nicht, die Dir alles weihn;
Gib allen oft Belehrung.
(Übergibt den Rosenkranz.)
No.8
Dritte Jungfrau.
Ihr Schwestern, laßt auch mich zum Wort!
Zwar weiß ichs kaum zu sagen,
Doch hier in unserm freien Wald,
Hier läßt sein Blick michs wagen.
Was hölfe Geist und Kraft und Glück,
Will Dich die Freude fliehen?
Sie jagt ich von den Bergen auf,
Um bei Dir einzuziehen.
Daß sie nun gleich, zu unsrer Lust,
Auf Deiner Stirne throne! -
Für dich trug längst der ewge Wald
Die helle Eichenkrone.
(Übergibt einen Eichenkranz.)
1. Bernhard.-2. Eine späte Gegengabe für Goethes Gedicht an den Herzog>llmenau, am 3. September I783<. - 3. Verfaßt vom Ilmenauer Justizamtmann Ackermann. - 4. Außer dem Gedicht an Christiane hatte Goethe für Riemer das Rätsel auf die Herbstzeitlose (>Da sind sie wieder<) geschickt.
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