Den 12. Mai 1815.
Ich kam nachmittags 4 1/2 Uhr zu ihm und traf Peucern an. Nach einigen Mystifikationen und humoristischen Ausfällen über die tragische Kunde von v. Müfflings(1) Unfall in Lüttich, lenkte sich bald das Gespräch auf die bekannte Wiener Achtserklärung gegen Napoleon vom 13. März d. J. Goethe äußerte, er hoffe, Gentz habe als ein schlauer Fuchs das Volk dadurch nur elektrisieren wollen und den kecken Aufruf zum Reizmittel gebraucht, wohl wissend übrigens, daß es mit diesem Bann ganz dieselbe Bewandtnis habe, wie mit dem vom Vatikan herabgeschleuderten. Die deutsche Hypochondrie müsse von Zeit zu Zeit durch solche Theatercoups aufgeregt werden und selbst falsche Siegesnachrichten seien oft dazu sehr dienlich, indem sie über die momentane Gefahr den Schleier der Hoffnung würfen.
Er nahm hiervon Gelegenheit, von seinen in der Kampagne 1792 und bei Mainz das Jahr darauf bestandenen Gefahren zu erzählen, insbesondere von der famosen Kanonade bei Valmy, wie da die Pferde, gleich sturmumwogten Fichten, schnaubend hin-und hergeschwankt hätten, und wie ihm insbesondere das zarte Gesichtchen des Standartjunkers von Bechtolsheim gar seltsam kontrastierend erschienen sei. Rechts und links hätten die Kanonenkugeln den Kot der Straße den Pferden zugespritzt; doch das sei alles einerlei und nichts bedeutend, wenn man sich einmal der Gefahr geweiht habe.
Die Erinnerung an seine nahe Abreise nach Wiesbaden entlockte ihm manche hübsche Darstellung seines dortigen geologisierend-politischen Lebens. Nassaus Länder und Staaten wurden hoch gepriesen, und von einem reizenden jungen Mädchen, der Tochter eines Sekretärs bei irgendeinem Departement zu Wiesbaden, erzählt, die die höchsten Anlagen zur Deklamation und zum theatralischen Spiel besitze. Sie habe ihm den Wassertaucher vordeklamiert, aber mit zu viel Malerei und Gestikulation; darauf habe er sie statt aller Kritik gebeten, es noch einmal zu tun, aber hinter einem Stuhle stehend und dessen Lehne mit beiden Händen festhaltend. Das schöne Kind habe bald Absicht und Wohltat dieser Bitte empfunden und lebhaft dafür gedankt. Verwechsle man doch nicht, fuhr er fort, epische Darstellung mit lyrischer oder dramatischer.
»Wenn Maria Stuart sich dem bezaubernden Eindruck des Naturgenusses hingibt, ›laßt mich der neuen Freiheit genießen,‹ dann« - rief er aus - »gebraucht Euere Glieder und macht damit, was Ihr wollt und könnt; aber wenn Ihr erzählt oder bloß beschreibt,dann muß das Individuum verschwinden und nur starr und ruhig das Objective sprechen, wiewohl in die Stimme aller mögliche Wechsel und Gewalt gelegt werden mag.«
Solche Anklänge brachten das Gespräch bald auf Julie v. Egloffstein, die Goethe eine incalculable Größe nannte. Er habe ihr, durch den heillosen Lavater in alle Mysterien eingeweiht, bald angesehen, daß sie sehr schön lesen müsse und daher gefürchtet, er werde verlesen sein, wenn er sie höre.
1. Landschaftsdirektor und Feldmarschall
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