> Gedichte und Zitate für alle: K.v.Müller-Unterhaltungen m. Goethe: Montag den 1.Mai (119)

2015-08-02

K.v.Müller-Unterhaltungen m. Goethe: Montag den 1.Mai (119)




Montag den, 1. Mai.

Abends war ich einige Stunden bei Goethe, der noch unpaß, doch schon besser war. Später kam Coudray hinzu, dann Huschke. Goethe sprach über den Gebrauch des Thees. »Er wirkt stets wie Gift auf mich,« sagte er, »und doch was sollten die Frauen ohne ihn anfangen? Das Thee machen ist eine Ar tFunction, eine eingebildete Thätigkeit, besonders in England. Und da sitzen sie gar behaglich umher, und sind weiß, und sind schön, und sind lang, und da müssen wir sie schon sitzen lassen.«

Ich frug, ob er Seidel's literarisches Geschenk»Charinomos« (1) gelesen habe? »Keineswegs, nichts ist mir hohler und fataler wie ästhetische Theorien. Ich bin zu alt, um noch neue Theorien in meinen Kopf zu bringen. Ein Lied, eine Erzählung irgend etwas Producirtes - das lese ich wohl und gerne, wenn es gut ist; das beseelt um mich herum. Auch Urtheile sind etwas Geschaffenes, Thätiges und vor allen lobe ich mir meine Globisten, aber was ein Anderer denkt, wie kann mich das kümmern? Ich kann doch nicht wie er denken, weil ich Ich und nicht Er bin. Wie können sich nur die Leute einbilden, daß mich ihr Denken interessiren könnte, z.B. Cousin?«

Wir sprachen von Knebel's Engelerscheinung und von dem jungen Kupferstecher Schütz. (2)Bei Schwerdgeburth könne er schon etwas lernen, meinte Goethe. Schwerdgeburth's erste Composition in Öl zum Jubiläo sei total verunglückt, obwohl gut gemeint, und im einzelnen sogar trefflich. - »Ich kann oft gar nicht begreifen, wenn ich die vielen schlechten dramatischen Productionen sehe, was die Verfasser, wenn sie auch nur Ifflandische oder Kotzebue'sche Stücke vor Augen hatten, sich dabei gedacht oder was und wie sie solche angeschaut haben mögen, wie es ihnen nur irgend möglich vorkommen kann, daß ihre eignen Erzeugnisse den geringsten Werth hätten.« Im Ganzen war er heut sehr mild und freundlich.

1. Seidel, Beiträge zur allgemeinen Theorie und Geschichte der schönen Künste. Magdb. 1825

2. Hermann Schütz lebt in München





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