Johann Wolfgang Goethe
Faust
[in ursprünglicher Gestalt, Urfaust]
Nacht
In einem hochgewölbten engen gotischen Zimmer
Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulten
FAUST. Hab nun, ach, die Philosophei,
Medizin und Juristerei,
Und leider auch die Theologie
Durchaus studiert mit heißer Müh.
Da steh ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug, als wie zuvor.
Heiße Doktor und Professor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr'
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nas' herum
Und seh, daß wir nichts wissen können,
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheuter als alle die Laffen,
Doktors, Professors, Schreiber und Pfaffen,
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürcht mich weder vor Höll noch Teufel.
Dafür ist mir auch all Freud entrissen,
Bild mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bild mir nicht ein, ich könnt was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren;
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt.
Es möcht kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis werde kund.
Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Rede von dem, was ich nicht weiß.
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau alle Würkungskraft und Samen
Und tu nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht!
Dann über Bücher und Papier,
Trübselger Freund, erschienst du mir.
Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhl' mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von all dem Wissensqualm entladen
In deinem Tau gesund mich baden!
Weh! steck ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
Beschränkt von all dem Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Und bis ans hohe Gewölb hinauf
Mit angeraucht Papier besteckt,
Mit Gläsern, Büchsen rings bestellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrat drein gestopft -
Das ist deine Welt, das heißt eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich inn in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt all der lebenden Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und Totenbein.
Flieh! Auf! hinaus ins weite Land!
Und dies geheimnisvolle Buch
Von Nostradamus' eigner Hand -
Ist dir das nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heilgen Zeichen dir erklärt.
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen
des Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen
Ich fühle junges heilges Lebensglück,
Fühl neue Glut durch Nerv und Adern rinnen
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die all das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Kräfte der Natur enthüllen?
Bin ich ein Gott? mir wird so licht!
Ich schau in diesen reinen Zügen
Die würkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen,
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot
Auf! bade, Schüler, unverdrossen
Die irdsche Brust im Morgenrot.«
(Er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern würkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! aber, ach, ein Schauspiel nur!
Wo faß ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt -
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so
vergebens?
(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das
Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders würkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl ich meine Kräfte höher,
Schon glüh ich wie vom neuen Wein.
Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,
All Erden Weh und all ihr Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
Es wölkt sich über mir -
Der Mond verbirgt sein Licht!
Die Lampe schwindet!
Es dampft! Es zucken rote Strahlen
Mir um das Haupt. Es weht
Ein Schauer vom Gewölb herab
Und faßt mich an.
Ich fühls, du schwebst um mich,
Erflehter Geist!
Enthülle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All meine Sinne sich erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt, du mußt! Und kostet' es mein Leben.
(Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des
Geists geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche
Flamme, der Geist erscheint in der Flamme in
widerlicher Gestalt.)
GEIST. Wer ruft mir?
FAUST (abwendend.)Schröckliches Gesicht!
GEIST. Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang gesogen,
Und nun -
FAUST. Weh! ich ertrag dich nicht.
GEIST. Du flehst eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn.
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn.
Da bin ich! Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf;
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,
Und trug, und hegte, und mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Du! der, den kaum mein Hauch umwittert
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm
FAUST. Soll ich dir Flammenbildung weichen?
Ich bins, bin Faust, bin deinesgleichen
GEIST. In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewges Meer,
Ein wechselnd Leben!
So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und würke der Gottheit lebendiges Kleid.
FAUST. Der du die weite Welt umschweifst
Geschäft'ger Geist, wie nah fühl' ich mich dir!
GEIST. Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir! (Verschwindet.)
FAUST (zusammenstürzend.) Nicht dir?
Wem denn?
Ich, Ebenbild der Gottheit,
Und nicht einmal dir? Es klopft
O Tod! ich kenns, das ist mein Famulus
Nun werd ich tiefer tief zunichte!
Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schwärmer stören muß!
(Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine
Lampe in der Hand.
Faust wendet sich unwillig)
WAGNER. Verzeiht, ich hört Euch deklamieren.
Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht ich was profitieren,
Denn heutzutage würkt das viel;
Ich hab es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.
FAUST. Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.
WAGNER.
Ach, wenn man in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
Man weiß nicht eigentlich, wie sie zu guten Dingen
Durch Überredung hinzubringen.
FAUST.
Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdets nicht erjagen,
Wenns Euch nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt Ihr einweil und leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus Eurem Aschenhäufchen aus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn Euch darnach der Gaumen steht!
Doch werdet Ihr sie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es Euch nicht von Herzen geht.
WAGNER. Allein der Vortrag nützt dem Redner viel.
FAUST. Was Vortrag! der ist gut im Puppenspiel.
Mein Herr Magister, hab Er Kraft!
Sei Er kein schellenlauter Tor!
Und Freundschaft, Liebe, Brüderschaft,
Trägt die sich nicht von selber vor?
Und wenns Euch Ernst ist was zu sagen,
Ist's nötig Worten nachzujagen?
Und all die Reden, die so blinkend sind,
In denen Ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt.
WAGNER. Ach Gott, die Kunst ist lang
Und kurz ist unser Leben!
Mir wird bei meinem kritischen Bestreben
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST. Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER. Verzeiht, es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit
gebracht.
FAUST. O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen.
WAGNER.
Allein die Welt! Des Menschen Herz und Geist!
Möcht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST. Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.-
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen diesmal unterbrechen.
WAGNER. Ich hätte gern bis morgen früh gewacht,
Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen. (Ab.)
FAUST.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gierger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
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