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2015-09-28

J.W.v.Goethe-Urfaust-2.Szene-Studentenszene






Studentenszene 

im Urfaust ist die Szene ohne Überschrift

(Mephistopheles im Schlafrock, eine große Perücke
auf. Student.)  

STUDENT. Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
MEPHISTOPHELES.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr,
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt Ihr Euch hier schon ungetan?
STUDENT.
Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an!
Ich komm' mit allem guten Mut,
Ein'm leidlich Geld und frischem Blut,
Meine Mutter wollt mich kaum entfernen.
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.
MEPHISTOPHELES. Da seid Ihr eben recht am Ort.
STUDENT. Aufrichtig! Möcht schon wieder fort!
Sieht all so trocken ringsum aus,
Als säß Heißhunger in jedem Haus.
MEPHISTOPHELES.
Bitt Euch! Dran Euch nicht weiter kehrt,
Hier alles sich vom Studenten nährt.
Doch erst, wo werdet Ihr logieren?
Das ist ein Hauptstück!
STUDENT. Wolltet mich führen!
Bin wahrlich ganz ein irres Lamm.
Möcht gern das Gute so allzusamm,
Möcht gern das Böse mir all vom Leib,
Und Freiheit, auch wohl Zeitvertreib!
Möcht auch dabei studieren tief,
Daß mir's über Kopf und Ohren lief!
O Herr, helft, daß's meiner Seel
Am guten Wesen nimmer fehl.
MEPHISTOPHELES (kratzt sich.)
Kein Logis habt Ihr, wie Ihr sagt?
STUDENT. Hab noch nicht 'mal darnach gefragt.
Mein Wirtshaus nährt mich leidlich gut,
Feines Mägdlein drin aufwarten tut.
MEPHISTOPHELES.
Behüte Gott, das führt Euch weit!
Kaffee und Billard! Weh dem Spiel!
Die Mägdlein, ach, sie geilen viel!
Vertripplistreichelt Eure Zeit.
Dagegen sehn wirs leidlich gern,
Daß alle Studiosi nah und fern
Uns wenigstens einmal die Wochen
Kommen untern Absatz gekrochen.
Will einer an unserm Speichel sich letzen,
Den tun wir zu unsrer Rechten setzen.
STUDENT. Mir wird ganz greulich vorm Gesicht!
MEPHISTOPHELES.
Das schadt der guten Sache nicht.
Dann vordersamst mit dem Logis
Wüßt ich Euch wohl nichts Bessers hie,
Als geht zu Frau Spritzbierlein morgen;
Weiß Studiosos zu versorgen,
Hats Haus von oben bis unten voll,
Und versteht weidlich, was sie soll.
Zwar Noaes Arche war saubrer gefacht,
Doch ist's einmal so hergebracht.
Ihr zahlt, was andre vor Euch zahlten,
Die ihren Nam aufs Scheißhaus malten.
STUDENT. Wird mir fast so eng ums Herz herum
Als zu Haus im Kollegium.
MEPHISTOPHELES. Euer Logis wär nun bestellt.
Nun Euren Tisch für leidlich Geld!
STUDENT. Mich dünkt, das gäb sich alle nach,
Wer erst von Geists Erweitrung sprach!
MEPHISTHOLES. Mein Schatz! Das wird Euch wohl verziehn,
Kennt nicht den Geist der Akademien.
Der Mutter Tisch müßt Ihr vergessen,
Klar Wasser, geschiedne Butter fressen,
Statt Hopfenkeim und jung Gemüs'
Genießen mit Dank Brennesseln süß,
Sie tun einen Gänsestuhlgang treiben,
Aber eben drum nicht baß bekleiben,
Hammel und Kalb küren ohne End,
Als wie unsers Herrgotts Firmament.
Doch zahlend wird von Euch ergänzt,
Was Schwärmerian vor Euch geschwänzt.
Müßt Euren Beutel wohl versorgen,
Besonders keinem Freunde borgen,
Aber redlich zu allen Malen
Wirt, Schneider und Professor zahlen.
STUDENT. Hochwürdger Herr, das findet sich.
Aber nun bitt ich, leitet mich!
Mir steht das Feld der Weisheit offen,
Wäre gern so gradezu geloffen,
Aber sieht drin so bunt und kraus,
Auch seitwärts wüst und trocken aus.
Fern tät sich's mir vor die Sinnen stellen
Als wie ein Tempe voll frischer Quellen.
MEPHISTOPHELES.
Sagt mir erst, eh Ihr weiter geht,
Was wählt Ihr für eine Fakultät?
STUDENT. Soll zwar ein Mediziner werden,
Doch wünscht ich rings von aller Erden,
Von allem Himmel und all Natur,
Soviel mein Geist vermöcht, zu fassen.
MEPHISTOPHELES.
Ihr seid da auf der rechten Spur,
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum,
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In Spansche Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa die Kreuz und Quer
Irrlichteliere den Weg daher.
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei -
Eins, Zwei, Drei- dazu nötig sei.
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Webermeisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein 'rüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein.
Das Erst wär so, das Zweite so
Und drum das Dritt und Vierte so.
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
Sind aber keine Weber worden.
Wer will was Lebigs erkennen und beschreiben,
Muß erst den Geist heraußer treiben,
Dann hat er die Teil' in seiner Hand,
Fehlt leider nur das geistlich Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chimie!
Bohrt sich selbst einen Esel und weiß nicht wie.
STUDENT. Kann Euch nicht eben ganz verstehen.
MEPHISTOPHELES.
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn Ihr lernt alles reduzieren
Und gehörig klassifizieren.
STUDENT. Mir wird von allem dem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.
MEPHISTOPHELES.
Nachher vor allen andern Sachen
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen,
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt,
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt Euch der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden nehmt Ihr jeden Tag
Seid drinne mit dem Glockenschlag.
Habt Euch zu Hause wohl präpariert,
Paragraphos wohl einstudiert,
Damit Ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht.
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert Euch der heilig Geist!
STUDENT.
Verzeiht, ich halt Euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß Euch noch bemühn:
Wollt Ihr mir von der Medizin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
Drei Jahr ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man ein' Fingerzeig nur hat,
Läßt sich's schon ehe weiter fühlen.
MEPHISTOPHELES (vor sich.)
Bin des Professortons nun satt,
Will wieder einmal den Teufel spielen.
(Laut.) Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen.
Ihr durchstudiert die groß und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie's Gott gefällt.
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich
schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann.
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wirds Euch auch nicht fehlen,
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen!
Es ist ihr ewig Weh und Ach
So tausendfach
Aus einem Punkte zu kurieren.
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
Dann habt Ihr sie all unterm Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt,
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen
Siebensachen,

Um die ein andrer viele Jahre streicht.
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie mit feurig schlauen Blicken
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
STUDENT.
Das sieht schon besser aus als die Philosophie.
MEPHISTOPHELES.
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie
Und grün des Lebens goldner Baum.
STUDENT.
Ich schwör Euch zu, mir ist's als wie ein Traum
Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren,
Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
MEPHISTOPHELES.
Was ich vermag, soll gern geschehn.
STUDENT. Ich kann ohnmöglich wieder gehn,
Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen,
Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen.
MEPHISTOPHELES.
Sehr wohl. (Er schreibt und gibts.)
STUDENT (liest.)
Eritis sicut Deus scientes bonum et malum.

(Machts ehrbietig zu und empfiehlt sich.)

MEPHISTOPHELES.

Folg nur dem alten Spruch von meiner Muhme der
Schlange,
Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit
bange.


Goethe auf meiner Seite                                                                   zur dritten Szene

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