> Gedichte und Zitate für alle: F. Gundolf: "Goethe"- Biographie- Tasso Seite 73

2015-10-05

F. Gundolf: "Goethe"- Biographie- Tasso Seite 73




Tasso, die Prinzessin, und Antonio, zwischen denen die eigentliche Tragödie sich abspielt, geraten dadurch in Aktion, Widerstreit und Schicksal daß sie sich, jeder auf seine Art, durch gesteigertes Menschentum, von dieser Atmosphäre, von diesem Niveau abheben, obwohl jeder auf seine Art daran teil hat, und — außer Tasso — innerlich darin verhaftet ist. Die Prinzessin überragt durch ihre eigene Seele, Tasso durch sein Genie und seine Leidenschaft, Antonio durch seine Tätigkeit und Erfahrung den neutralen Boden, und alle drei leiden durch diese ihre menschliche Besonderheit nicht nur aneinander, sondern auch an ihrer bedingten Welt, Tasso aber am meisten: denn ihm ist, als dem eigentlich allein ganz Gelösten, ganz Unhöfischen, auch der Kampf mit dieser ganzen gebundenen und bindenden Hofwelt auferlegt, mit der die andren, entsagend, aber willig sich abfinden können. Und so sieht er alle die sich abfinden können, die den Hof vertreten, die dem Hof dienen, zuletzt als seine Gegner und Verderber: nicht nur Antonio, der ihm als der Hofmann aktiv entgegentritt, auch den Herzog der dem Dichter nicht Recht geben will, und die Prinzessin die es nicht darf. Er ist an diesen Hof aufgenommen gewesen zur Verklärung und Erhöhung des höfischen Daseins, und er hat diese Aufnahme gedeutet als einen Triumph seiner freien Menschlichkeit über gebildete und bildungswillige Menschen. Als er die Wahrheit erkennt, daß man nicht sein Menschtum sondern nur seine Leistung bedarf, nicht seine Liebe sondern seinen Dienst, bricht ihm der Zauber dieser Welt zusammen, und seine Enttäuschung wandelt sich in Haß. Er sieht sich auf einmal allem Verehrten oder Geachteten feindlich gegenüber gestellt, und seine Gönner um den Gegner geschart, um Antonio, der zuerst und am entschiedensten ihm die Schranken gewiesen hatte. Die ganze Qual des enttäuschten und mißbrauchten Herzens entlädt sich in den Schlußmonolog des vierten Aufzugs, und die noch tiefere Qual einer Liebe die man als aussichtslos, ja als unwürdig erkennt und von der man doch nicht zu lassen vermag. Denn dies ist jetzt Tassos Stellung zur Prinzessin: er sieht sie auf der Seite seiner Gegner und vermag doch nicht von ihrem schönen Bilde sich zu trennen. Er sieht sich von ihr verworfen und kann doch sie nicht verwerfen. So wächst aus dem Kampf zwischen Menschtum und Gesellschaft, zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Leidenschaft und Schranke,Traum und Tat, auch noch jener letzte und innerste zwischen Freiheit und Liebe.

Der unerschöpfliche Seelengehalt dieses einfachen und gradlinigen Werkes läßt sich nur andeuten. Es steckt hier in jedem ausgesprochenen Konflikt noch ein andrer, und jede Gestalt, ja jeder Satz ragt gleichsam durch mehrere Schichten Goethischer Tragik hindurch: aber auch hier gibt es, wie in der Iphigenie, Stellen wo diese Tragik transparent wird und sich unmittelbar ausspricht in eine Rede zusammengedrängt. Wie in dem Parzenlieds monolog innerhalb der Heldin selbst gegeneinander wirkt was sonst auf Spiel und Gegenspiel, Rede und Gegenrede verteilt ist, so umgreift auch der Schlußmonolog des IV. Akts die Elemente von Tassos, d.h. Goethes Tragik (in solchen Monologen wird diese gleichsam lyrisch deutlicher). In dieser Hinsicht, als Brennpunkt von Tassos eigentlichem Leiden, ist er die wichtigste Rede des Dramas, in ähnlichem Sinn wie der Parzenliedmonolog in der Iphigenie die langgesparte Energie der Handlung im Selbstgespräch entlädt, voraus-und zurückdeutet. Solche Aussprachen, in dramatischer Hinsicht scheinbar die Folgen der vorausgegangnen Handlung, sind in seelischer Hinsicht meist der Keim aus dem die Handlung stammt. Denn der Dichter gestaltet umgekehrt wie er erlebt: was zunächst seinem Erlebnis liegt liegt in seinem Drama zu innerst, hier muß als Zweck, als Kern, als Problem erscheinen was ihn am meisten anging, was ihn zu dem Stoff hinzog. Wir werden fast immer an der größeren Ergriffenheit der Verse erkennen, wann wir das Herz der Dichtung berühren, und insbesondere Goethe wird lyrischer, durchbricht die dialektische Ruhe die auch seine bewegtesten Zwiegespräche bewahren, sobald er auf das Leid zu sprechen kommt aus dem sein Drama geboren wurde. Manche seiner Monologe könnte man in seine lyrischen Werke ohne Zwang einreihen, nur daß sie durch eine Reihe zarter Bezüge mit der Handlung verknüpft bleiben und die dramatische Distanz nie ganz verleugnen.

So zwingt das Leben uns zu scheinen, ja,
Zu sein wie jene, die wir kühn und stolz . 
Verachten konnten. Deutlich seh ich nun
Die ganze Kunst des höfischen Gewebes!

Dies ist die klassische Formel für die Erniedrigung die der freie Mensch durch Abhängigkeit von einem ihm fremden Bereich fühlen muß. In den folgenden Zeilen ist das Bild gezeichnet das ein solcher Mensch für die höfische Gesellschaft bietet:

Habe doch
Ein schön Verdienst mir die Natur geschenkt;
Doch leider habe sie mit manchen Schwächen 
Die hohe Gabe wieder schlimm begleitet,
Mit ungebundnem Stolz, mit übertriebner 
Empfindlichkeit und eignem düstrem Sinn.
Es sei nicht anders, einmal habe nun 
Den einen Mann das Schicksal so gebildet;
Nun müsse man ihn nehmen, wie er sei,
Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm,
Was Freude bringen kann, am guten Tage 
Als unerwarteten Gewinst genießen.

Das ist die Bitterkeit: nicht nach seinem eignen Wert, sondern nach seinem Nutzwert geachtet zu sein. Der Genius macht den Anspruch sein Gesetz in sich selbst zu finden . . sein Leid und sein Wahn beginnt mit dem Moment da er die Anerkennung dieses ihm selbstverständlichen Anspruchs von der Gesellschaft fordert. Die Enttäuschung darüber liegt in den Worten: 

Das ist mein Schicksal, daß nur gegen mich 
Sich jeglicher verändert, der für andre fest 
Und treu und sicher bleibt.

Und so, unfähig die Bedingungen der Außenwelt zu sondern von den Forderungen und den gesteigerten Bildern seiner Seele, verkennt er auch sein Ideal und verzweifelt, weil seine falschen Präsumptionen nicht bestätigt werden.

Geliebte Fürstin, du entziehst dich mir! . . .
Hab ichs um sie verdient? — Du armes Herz 
Dem so natürlich war sie zu verehren! . . .
Auch Sie, auch Sie! Entschuldige sie ganz,
Allein verbirg dirs nicht: auch Siel auch Sie ....
Ja dieses Wort, es gräbt sich wie ein Schluß 
Des Schicksals noch zuletzt am ehmen Rande 
Der vollgeschriebnen Qualentafel ein.
Nun sind erst meine Feinde stark, nun bin ich 
Auf ewig einer jeden Kraft beraubt. .
Wie soll ich streiten, wenn Sie gegenüber 
Im Heere steht?

Hier wo Tasso aus dem Wahn herausredet ist schon der Zusammenbruch nach der wirklichen Zurückweisung am Schluß des V. Aktes vorbereitet: und der Wahn des Schwärmers der die Wirklichkeit verkennt ist nur die innere Vorbereitung für die Qual des Schwärmers der sein Ideal nicht verwirklichen kann. Die Prinzessin ist eine Forderung von Tassos Seele, die ihm deshalb nicht genügt, weil er selbst dieser Forderung nicht genügen kann. Hier mag allerdings in Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein ein Anlaß zu tragischen Konflikten gelegen haben, die Goethe nur im Drama ausgestaltet, im Leben ausgeglichen hat, da in ihm nicht nur ein Tasso sondern auch ein Antonio war. In seiner Darstellung von Tassos Ansprüchen an die Prinzessin hat er ein ähnlich strenges Gericht über sich abgehalten wie in der Gestalt des Weislingen oder Clavigo, nach der Opferung der Friederike. Das Gefühl daß er durch dichterisches Unmaß, durch Mißtrauen oder Verkennung der notwendigen beiderseitigen Schranken die geliebte Frau belästigt, verletzt und gequält habe, hat an der Schlußszene zwischen Tasso und der Prinzessin ebenso mitgedichtet, wie an seinem Schlußmonolog die Bitterkeit des Abschieds und der Gram über die Unmöglichkeit einer unbedingten Erfüllung in dem nun gezogenen bedingten Kreis.

Auch innerhalb seiner Liebe war ihm begegnetwas ihm innerhalb seines Genies begegnete: die Wahl zwischen tödlicher Unbedingtheit oder verarmender Entsagung. Auch über dem Tasso könnte wie über den Wanderjahren der Untertitel stehen: die Entsagenden. Denn unter drei Gestalten hat er das Schicksal der Entsagung verteilt, unter drei Aspekten dies sein eignes Schicksal gesehen: die Prinzessin, deren Charakter, wie der Iphigeniens, Entsagung ist, nach dem Gesetz noblesse oblige, Antonio, dessen Stellung und Amt auf Entsagung, auf bewußter Selbstbeschränkung beruht, und Tasso, dessen Natur hemmungslose Fülle und Freiheit ist, und dessen Tragik daher kommt daß sein Schicksal ihn zwischen lauter Entsagende stellt und eine Entsagung von ihm fordert die für seine Natur den Untergang bedeutet. Alle drei Phasen der Entsagung hat Goethe durch-oder wenigstens vorgelebt. Es war das Problem seiner Übergangsjahre vom Titanentum zur Humanität wie weit er entsagen dürfe, wodurch er es lerne und ob er es könne. Iphigenie ist eine vertrauende bejahende, Tasso eine verzweifelnde Antwort auf diese Fragen. Der vollendete Wilhelm Meister, ja noch die Wahlverwandtschaften enthalten Nachklänge und Variationen dieses Themas. Die Weimarer Jahre vor der italienischen Reise sind erfüllt von Versuchen durch Selbstbeschränkung Meister seiner selbst und der Dinge zu werden. Sie haben ihm gezeigt daß er es nur durch Selbstgestaltung werden könne, und um der Selbstgestaltung willen ertrug er zahllose Beschränkungen, ja schien nicht nur kleiner als er war, sondern machte sich selbst kleiner . . was er z. B. für den Weimarer Kreis bis 1786 dichterisch geleistet ist nur als Mittel zum Zweck gerechtfertigt, oft unter seinem Genie.

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