> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe-Urfaust-10.Szene- Garten

2015-10-06

J.W.v.Goethe-Urfaust-10.Szene- Garten



Garten

Margarete an Faustens Arm. Marthe mit
Mephistopheles auf und ab spazierend.

MARGARETE.
Ich fühl es wohl, daß mich der Herr nur schont,
Herab sich läßt bis zum Beschämen.
Ein Reisender ist so gewohnt,
Aus Gütigkeit vorlieb zu nehmen,
Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
FAUST. Ein Blick von dir, ein Wort mehr unterhält
Als alle Weisheit dieser Welt. (Er küßt ihre
Hand.)
MARGARETE.
Inkommodiert Euch nicht! Wie könnt Ihr sie nur
küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh.
Was hab ich nicht schon alles schaffen müssen!
Die Mutter ist gar zu genau.

(Gehn vorüber.)

MARTHE.
Und Ihr, mein Herr, Ihr reist so immer fort?
MEPH.
Ach, daß Gewerb und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wieviel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben.
MARTHE. In raschen Jahren gehts wohl an,
So um und um frei durch die Welt zu streifen;
Doch kommt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu
schleifen,
Das hat noch keinem wohlgetan.
MEPHISTOPHELES.
Mit Grausen seh ich das von weiten.
MARTHE.
Drum, werter Herr, beratet Euch in Zeiten.

(Gehn vorüber.)

MARGARETE. Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist Euch geläufig.
Allein Ihr habt der Freunde häufig,
Und weit verständger als ich bin.
FAUST.
O Beste! Glaube, daß, was man verständig nennt,
Mehr Kurzsinn, Eigensinn und Eitelkeit ist.
MARGARETE. Wie?
FAUST. Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil'gen Wert erkennt!
Daß Demut, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
Der liebausteilenden Natur -
MARGARETE.
Denkt Ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an Euch zu denken haben.
FAUST. Ihr seid wohl viel allein?
MARGARETE. Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
Und doch will sie versehen sein.
Wir haben keine Magd, muß kochen, fegen,
stricken,
Und nähn, und laufen früh und spat.
Und meine Mutter ist in allen Stücken
So akkurat.
Nicht, daß sie just so sehr sich einzuschränken hat,
Wir könnten uns weit eh' als andre regen.
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab ich jetzt so ziemlich stille Tage;
Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist tot.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Not,
Doch übernähm ich gern noch einmal alle Plage,
So lieb war mir das Kind.
FAUST. Ein Engel, wenn dir's glich.
MARGARETE.
Ich zog es auf, und herzlich liebt' es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren,
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam nach und nach.
Da konnte sie nun nicht dran denken,
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich's ganz allein
Mit Wasser und mit Milch, und so ward's mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoß
War's freundlich, zappelig und groß.
FAUST. Du hast gewiß das reinste Glück empfunden!
MARGARETE.
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stund zu Nacht
An meinem Bett, es durfte kaum sich regen,
War ich erwacht.
Bald mußt ich's tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn's nicht schweigen wollt, vom Bett
aufstehn
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn
Und früh am Tag schon an dem Waschtrog stehn,
Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer so fort heut und morgen.
Da geht's, mein Herr, nicht immer mutig zu,
Doch schmeckt dafür das Essen und die Ruh.

(Gehn vorüber.)

MARTHE.
Sagt grad, mein Herr, habt Ihr noch nichts
gefunden,
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
MEPHISTOPHELES.
Das Sprüchwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib sind Gold und Perlen wert.
MARTHE.
Ich meine: ob Ihr niemals Lust bekommen?
MEPH.
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.
MARTHE.
Ich wollte sagen: ward's nie Ernst in Eurem
Herzen?
MEPH.
Mit Frauens soll man sich nie unterstehn zu
scherzen.
MARTHE.
Ach, Ihr versteht mich nicht.
MEPHISTOPHELES.
Das tut mir herzlich leid,
Doch ich versteh - daß Ihr sehr gütig seid.

(Gehn vorüber.)

FAUST. Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
MARGARETE.
Saht Ihr es nicht? Ich schlug die Augen nieder.
FAUST.
Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm,
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du letzt aus dem Dom gegangen?
MARGARETE.
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
Es konnte niemand von mir Übels sagen;
Ach, dacht ich, hat er in deinem Betragen
Was Freches, Unanständiges gesehn,
Daß ihm sogleich die Lust mocht wandeln,
Mit dieser Dirne gradehin zu handeln?
Gesteh ich's doch! Ich wußte nicht, was sich
Zu Euerm Vorteil hier zu regen gleich begonnte
Allein gewiß, ich war recht bös auf mich,
Daß ich auf Euch nicht böser werden konnte.
FAUST. Süß Liebchen!
MARGARETE. Laßt einmal!

(Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter
ab, eins nach dem andern.)

FAUST. Was soll das? Keinen Strauß?
MARGARETE. Nein, es soll nur ein Spiel.
FAUST. Wie?
MARGARETE. Geht, Ihr lacht mich aus.

(Sie rupft und murmelt.)

FAUST. Was murmelst du?
MARGARETE (halblaut.)
Er liebt mich - Liebt mich nicht -
FAUST. Du holdes Himmelsangesicht!
MARG. (fährt fort.)
Liebt mich - nicht - liebt mich - nicht -

(Das letzte Blatt ausrupfend mit holder Freude.)

Er liebt mich!
FAUST. Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
Dir Götterausspruch sein: Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt: Er liebt dich!
(Er faßt ihr beide Hände.)
MARGARETE. Mich überläufts!
FAUST. O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig sein muß!
Ewig! - Ihr Ende würde Verzweiflung sein.
Nein, kein Ende! Kein Ende!

(Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los
und läuft weg.
Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt
er ihr.)

MARTHE. Die Nacht bricht an.
MEPHISTOPHELES. Ja, und wir wollen fort.
MARTHE. Ich bät' Euch länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist, als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt ins Gespräch, wie man sich
immer stellt.
Und unser Pärchen?
MEPHISTOPHELES. Ist den Gang dort aufgeflogen.
Mutwillge Sommervögel!
MARTHE. Er scheint ihr gewogen.
MEPHISTOPHELES.
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.


Goethe auf meiner Seite                                                                   zur elften Szene

Keine Kommentare: