> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe-Urfaust-6.Szene-Abend

2015-10-02

J.W.v.Goethe-Urfaust-6.Szene-Abend



Abend

Ein kleines reinliches Zimmer.

MARGARETE, (ihre Zöpfe flechtend und
aufbindend.)

Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,
Wer heut der Herr gewesen ist.
Er sah gewiß recht wacker aus
Und ist aus einem edlen Haus,
Das konnt ich ihm an der Stirne lesen.
Er wär auch sonst nicht so keck gewesen. (Ab.)

(Mephistopheles. Faust.)

MEPHISTOPHELES. Herein, ganz leise nur herein!
FAUST (nach einigem Stillschweigen.)
Ich bitte dich, laß mich allein!
MEPHISTOPHELES (herumspürend.)
Nicht jedes Mädchen hält so rein. Ab.
FAUST (rings aufschauend.)
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dies Heiligtum durchwebst!
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie atmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!

(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bett.)

O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
In Freud und Schmerz in offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach, hat an diesem Väterthron
Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat dankbar für den heilgen Christ
Mein Liebchen hier mit vollen Kinderwangen
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl, o Mädchen, deinen Geist
Der Füll und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweist,
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten
heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand, so göttergleich,
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier! (Er hebt einen Bettvorhang auf.)
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
Den eingeborenen Engel aus.

Hier lag das Kind, mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwürkte sich das Götterbild.

Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl ich mich gerührt!
Was willst du hie? Was wird das Herz dir schwer?
Armselger Faust, ich kenne dich nicht mehr!

Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drangs, so grade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?

Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein,
Läg weggeschmolzen ihr zu Füßen.

MEPHISTOPHELES.
Geschwind! ich seh sie dortunten kommen.
FAUST. Komm, komm! ich kehre nimmermehr!
MEPHISTOPHELES.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anderswo genommen.
Stellt's hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör Euch, ihr vergehn die Sinnen.
Ich sag Euch, es sind Sachen drein,
Um eine Fürstin zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
FAUST. Ich weiß nicht, soll ich?
MEPHISTOPHELES. Fragt ihr viel!
Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rat ich Eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit
Und mir die weitre Müh zu sparen.
Ich hoff nicht, daß Ihr geizig seid.
Ich kratz den Kopf, reib an den Händen -

(Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt
das Schloß wieder zu.)

Nur fort geschwind -,
Um Euch das süße junge Kind
Nach Eurem Herzenswill zu wenden.
Und Ihr seht drein,
Als solltet Ihr in'n Hörsaal 'nein,
Als stünden grau leibhaftig vor Euch da
Physik und Metaphysika.
Nur fort! - (Ab.)
MARGARETE (mit einer Lampe.)
Es ist so schwül und dumpfig hie -

(Sie macht das Fenster auf.)

Und macht doch eben so warm nicht drauß.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie -
Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
Mir läuft ein Schauer am ganzen Leib,
Bin doch ein törig furchtsam Weib.

(Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.)

Es war ein König in Thule,
Einen goldnen Becher er hätt'
Empfangen von seiner Buhle
Auf ihrem Todesbett.

Der Becher war ihm lieber,
Trank draus bei jedem Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.

Und als es kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt und Reich,
Gönnt alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale
Dort auf dem Schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heil'gen Becher
Hinunter in die Flut.

Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer
Die Augen täten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.

(Sie eröffnet den Schrein, ihre Sachen einzuräumen,
und erblickt das Schmuckkästchen.)

Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Was Guckguck mag dadrinne sein?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf?
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
Ich denke wohl, ich mach es auf!
Was ist das? Gott im Himmel, schau!
So was hab ich mein Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Drin könnt eine Edelfrau
Am höchsten Feiertag gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?

(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)

Wenn nur die Ohrring meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt auch alles sein.
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles! Ach wir Armen!


Goethe auf meiner Seite                                                                zur siebenten Szene

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