> Gedichte und Zitate für alle: W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen...21.11.1781 Gleim an Friedrich Jacobi (293)

2015-10-18

W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen...21.11.1781 Gleim an Friedrich Jacobi (293)



21. November

Halberstadt. Gleim an Friedrich Jacobi

Ich wünschte, mein Teurer, Sie hätten mich nicht zum Vertrauten Ihres Vorfalls mit Goethen gemacht. Sie wußten ohne Zweifel, was ich halte von Goethen. Bruder Johann Georg flog hin nach Weimar, Goethen kennenzulernen; kam zurück; er hätte, sagt’ er, den Engel kennengelernt. Heinse lernt’ ihn kennen, war entzückt von ihm und Lavater bis in den dritten Himmel. Alle meine Freunde waren sterblich in den Engel Goethe verliebt. In seinen Schriften aber fand ich keinen Engel. „Götter, Helden und Wieland“— Goethens Werk, er sage, was er wolle — wies ihn mir aus zweien Köpfen, den einen eines Engels, denn fast alle Menschen sagten mit Lavater, Goethe sei ein wunderschöner Mann, den andern eines bösen Geistes. 

Ich kam nach Weimar. Seitdem, mein Lieber, hör ich gern nicht reden von dem großen Goethen. Eine halbe Stunde bei dem Prinz Konstantin an der Tafel schien er mir ein guter Mann zu sein. Ich fing schon an, zu widerlegen mich selbst und andre, die mir Böses sagten von Goethen. Der Engel aber verschwand nach dieser selben Stunde. Stehend an einem Zeltpfahl, sah ich bald darauf den zweiten Goethen mit dem zweiten Kopf. Sein Auge, wenn er mich ansahe, war das Auge — kann ich doch sogleich mich nicht besinnen auf den bösen Geist der Messiade, der ein Auge hat wie Goethe. Kurz, mein Lieber, Dank sei meinem Gott, daß ich Goethen Freund nicht ward! Ich wäre mit ihm verfallen, ärger als mit Spalding und Ramler.

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