19. September
Eisenach. Oberthür in sein Tagebuch
Franz Oberthür aus Würzburg, 1745-1831, katholischer Geistlicher.
Warm, enthusiastisch, so wie man vom Heiligtum des Apollo kömmt, komme ich von der Wartburg, wo Goethe wohnet, nach meinem Gasthof Zum Rautenkranz zurücke ...
Fast eine halbe Stunde mußte ich wie im Vorhofe des Tempels warten, bis ich Goethen zu sehen bekam ...
Ich glaubte einen tiefdenkenden, ernsthaften, kalten Engländer dem Kleide und der Miene nach zu sehen. Ich konnte leicht den Verfasser des „Götzens von Berlichingen“, der „Leiden des jungen Werthers“, des „Clavigo“ finden, und das Bild in Lavaters „Physiognomik“ hat viel Ähnlichkeit mit dem Urbild. Aber den lustigen, launichten, auch ein wenig mutwillig... lustigen Gesellschafter, wie man mir Goethe beschrieben, hätte ich bei diesem Besuch nie erraten ...
Nach und nach merkte ich, daß der Dichter sich noch mehr in sich selbst zurückzog, stille wurde, ernsthaft und kalt wie in einem englischen Spleen dastunde. Da dachte ich: vielleicht hat sich irgendein großer Gegenstand seiner Seele bemächtiget, und Apollo heißt ihn darüber dichten, und beurlaubte mich.
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