27. Oktober
Schloßhalde. N. A. Kirchberger an Lavater
Nikolaus Anton Kirchberger, Baron von Liebisdorf (1739-1800) war Landvogt zu Gottsadt bei Biel und Ratsherr von Bern
Goethe verursachte mir viel Vergnügen. Beim Anlaß meiner herzlichen Abneigung gegen die Berliner haben wir von Religion gesprochen. Er ist über die gewöhnlichen Vorurteile so weit hinweggesetzt, daß er sogar eine besondere Hochachtung für Personen trägt, die vom gemeinen Haufen der Gelehrten und Ungelehrten verachtet sind und die ich äußerst hochschätze.
Wir sprachen auch von der Macht der menschlichen Seelen, nicht nur in Rücksicht ihrer Größe, sondern infolg eines wirklichen Ausflusses, der in die Umstehenden, auch ohne ein Wort zu sprechen, wirkt. Hierüber war er zu meiner Verwunderung auch meiner Meinung, so daß [ich] bei dieser Übereinstimmung, die ich wirklich in seinem Innersten antraf, ihm alle meine Gedanken aufschließen konnte.
Er war auch so gefällig, mir seine Art mitzuteilen, wie er an einem Gegenstand arbeitet — wie außerordentlich lang er solchen in seinem Busen wärmt, bis er ihn der Welt darstellt. Dies ist auch das Mittel, um sein ganzes Zeitalter mit sich fortzureißen ...
Goethe beim Herzog ist ein ganz anderer Mann ... Dies wird noch komplizierter, wenn Fremde gegenwärtig sind.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen