23. März
Weimar. Karoline Herder an ihren MannEin Brief vom 7.März sei ihr wie zehntausend Dolchstiche gewesen.
Über Goethe, gestehe ich, habe ich bisher immer zu parteiisch geschrieben — ich habe geschrieben, wie ich’s jedesmal empfunden habe. Liebster Engel, Du hast über ihn ganz und vollkommen recht. Du beurteilst ihn Mann gegen Mann. War unser Gefühl nicht schon lange hierüber berichtigt? Und wenn er es eine Zeitlang durch Umstände zu mildern gewußt hat, so hat er doch seine Natur nicht abgelegt.
Seine Alleinherrschaft und hundert kleine Eitelkeiten empfinden ja Freunde und Feinde, und meine Abgötterei ist nicht so weit gediehen, daß ich sie gar für göttliche Eigenschaften ansehe. Oh, mein Einziger auf der Welt, verkenne mich doch hierinnen nicht! Meine ganze Empfindung ist ja unendlich mehr und inniger mit Deinen Eigenschaften, mit Deinem Geist und Gemüt verwebt. Deine Wirksamkeit, Dein treues, reines Gemüt und Dein Mitgefühl für alles Leidende und Gute steht bei mir auf der höchsten Stufe, und ich wollte Dich um alle Güter der Welt nicht um einen eitlen Dichter vertauschen.
Daß ich soviel Aufhebens davon gemacht habe, rührt bloß daher, weil ich vom Dichter und der Poesie, vom Künstler und der Kunst noch keinen so anschaulichen Begriff gehabt habe, und ich war eben wie ein Kind, das einen neuen Buchstaben hat kennengelernt.
Leid tut es mir beinah, daß ich Dir den „Tasso“ abgeschrieben habe. Er bestätigt, darstellend und ausführend, die ganze Vergötterung des Dichters ... O ich möchte alle die Briefe bisher über ihn und die Kunst ungeschrieben machen! Was geht mich der Dichter und die Poesie an!
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