> Gedichte und Zitate für alle: W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen... 14.11.1788 Karoline Herder an ihren Mann (455)

2015-11-19

W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen... 14.11.1788 Karoline Herder an ihren Mann (455)



14. November

Weimar. Karoline Herder an ihren Mann

 [Goethe] ist jetzt gerade in Jena und hört bei Loder Collegia mit den Studenten. Er ist seit Sonntag dort ... Goethe hatte mir’s längst gesagt, daß er auf sechs Wochen nach Jena gehen wollte. Es sind dies lauter Vorbereitungen zum Charakterstudium des menschlichen Körpers. Er tut sehr wohl daran, und ich wollte, daß er den ganzen Winter drüben bliebe. 

Sein Betragen ist gar sonderbar. Vorigen Sonnabend wurden wir endlich zur Ansicht der Zeichnungen bei ihm eingeladen: die Stein, Schardt, Imhoff und ich. Wir hofften auf diesen engen Zirkel, weil es das erste Mal war. Aber siehe, die Frau von Oertel, ihr Mann und alle Kinder waren dazu geladen, auch Voigt. Die Kalbin kam nicht, da er ihr noch nicht einmal einen Besuch gemacht hat. Es war uns allen höchst unwohl, und ein jedes ging vor 7 Uhr mit Vergnügen weg. Die Schardt erzählte mir hernach, daß er den Tag vorher auf dem tanzenden Picknick mit keiner gescheiten Frau ein Wort beinah geredet, sondern den Fräuleins nach der Reihe die Hände geküßt, ihnen schöne Sachen gesagt und viel getanzt hätte. Die Kalbin findet das nun abscheulich, daß er die jungen Mädchen auf diese Weise reizt usw. 

Kurz, er will durchaus nichts mehr für seine Freunde sein. Ich vermute, daß er nach Weihnachten bald zu Euch [nach Rom] kommt, und dies wäre sehr gut. Für Weimar taugt er nicht mehr. Im Gegenteil glaube ich, daß das Gelecke an den jungen Mädchen dem Herzog, der dabei war, nicht eben die besten Eindrücke gibt. Der Herzog kam den Sonnabend auch zu Goethe ...

Mein Gott, wie unteilnehmend hat doch Goethe in allem geraten! ... In einem geistlichen Staat gilt doch der Geistliche am meisten, wie in dem militärischen der Soldat... Es war ein törichter Gedanke, daß Du dort nicht als Geistlicher erscheinen mögest ...

Goethe gedeiht am besten in Rom. Sein ganzes Wesen ist mir noch ein Rätsel. Ich weiß nicht, wie ich ihn entziffern soll. Vor mehreren Wochen sagte er mir einmal, er für seine Person hätte viel Glück; ja, es strömte ihm von allen Seiten zu, aber nur für andre habe er kein Glück. Ich fühlte diese Wahrheit sehr tief. Sogar sein Petschaft, mit dem Du mir siegeltest, hat mir nichts Gutes gebracht ... Knebel ... bleibt in Jena ... Goethe wird’s auch wohler in Jena; er fühlt sich dort zu Hause und hier fremd, das sagte er mir selbst.

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