30. Juni
Rom. Strack an Merck
Ludwig Philipp Strack (1761-1836) war ein Vetter von Wilhelm Tischbein und gleichfalls Maler. Er berichtet, das Tischbein auch an einem Bildnis des Herrn v. Goethe arbeite.
Dieser Lieblingsschriftsteller unserer Nation, der sich seit einem halben Jahr in Rom aufhält, schenket unserm Künstler die Freundschaft, dessen Wohnung mit ihm zu teilen und an dessen gewöhnlichem Tische vorliebzunehmen. Tischbein hatte also alle Muße, die Züge und den Charakter seines Gastfreundes zu studieren, um ein würdiges Bildnis von einem so vortrefflichen Mann zu entwerfen.
Man sieht nämlich den Dichter, eingehüllt in einen weißen Mantel, den Hut auf dem Kopf, in der Attitüde von Sitzen und Liegen, mit dem tiefdenkenden Blick über die Vergänglichkeit der Dinge, auf einem umgestürzten und in Trümmer gegangenen Obelisken ruhen. Die darauf eingehauenen Hieroglyphen geben zu erkennen, daß er aus dem höchsten Altertum der ägyptischen Kunst ist. Daneben liegt ein verstümmeltes Basrelief, woraus man aber noch die beste Zeit der griechischen Kunst wahrnimmt und das die Erkennung der Iphigenia und ihres Bruders Orestes mit Pylades vorstellt, ein Gegenstand, den unser Dichter seit mehreren Jahren bemüht war, in ein Schauspiel zu bringen, und ihm endlich auf der Stube des Künstlers seine letzte Politur gab ... Über diese Revolutionen der Natur und der menschlichen Dinge staunet das Auge des philosophischen Dichters hin, und der schauervolle Gedanke der Vergänglichkeit scheinet auf seinem Gesichte zu schweben.
Der Künstler hat sich bemüht, die Ähnlichkeit und die charakteristischen Züge seines Urbildes, soviel möglich, zu treffen. Seine Absicht war, nicht soviel das Malerische und die Farbe eines Tizians und van Dycks als die Bestimmtheit und die feinen und eignen Lineamente im Ausdruck, das wir so sehr in den Porträts eines Raffael und Holbein bewundern, nachzuahmen.
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