2. Februar
Weimar. Knebel an HerderUm Ihnen von unserm philosophischen Wesen, wie Sie wollen, etwas zu sagen, so ist die Sache sogar unter uns zum Kriege gekommen.
Goethe hat nämlich aus Italien eine Menge eingeschränkte Begriffe mitgebracht, so: daß wir von dem allen nichts wissen; daß unser Wesen zu eingeschränkt sei, um von der Dinge Dasein und Wesen nur einigen Begriff zu fassen; daß alles absolutissime auf die individuelle Existenz eingeschränkt sei und daß uns also nichts zu denken und zu begreifen übrigbleibe als einzelne Fälle und Untersuchungen oder der Umfang der Kunst usw. Diese Sätze wurden mehr und mehr in Gesellschaft des guten Moritz, der ein sehr mikroskopisches Seelenauge hat, zubereitet und, da ich nicht ganz derselben Meinung war, auch mich wider einige Sätze und sonderlich wider die Manier des Stils und das Mystische desselben in Moritzens Schrift von der Nachbildung des Schönen einigermaßen erklärt hatte, nach und nach auf mich zugemünzt.
So lange ging alles freundschaftlich und gut. Vor acht Tagen schickt mir Goethe einen im neusten Stück des „Deutschen Merkurs“ gedruckten Brief, von ihm von Neapel datiert, zu, mit dem schriftlichen Beisatz, daß dieses die Antwort auf meine von Jena aus geäußerten Meinungen (wegen Kristallisation des Eises an den Fensterscheiben, worin ich den Hofrat Büttner für mich hatte) sei und daß er sich damit gegen alle unsere hagestolzen Meinungen verwahren wolle usw.
Eine gedruckte Antwort auf einige unbestimmte Meinungen in einem bloß freundschaftlichen Briefe mit dieser persönlichen Adresse verdroß mich. Ich sagte ihm dieses sogleich denselben Mittag bei Frau von Stein, wo wir in größerer Gesellschaft beisammen aßen. Ich sagte, ich würde auch gewiß darauf antworten usw. Dies wurde mit gewöhnlicher vornehmer Gleichgültigkeit behandelt. Unterdes schlug sich Moritz in Weg und wollte mit seiner Gutheit den kleinen Groll, den ich gefaßt hatte, besänftigen. Ich sagte ihm, Goethe habe mich auf eine ganz unschickliche Art öffentlich angegriffen, und da noch seine Argumente überdies sehr schlecht wären, so glaubte ich, er habe es bloß getan, um mir Verdruß zu machen oder mich auf diese Art demütigen zu wollen. Er leugnete dieses, und ich erhielt darauf ein Schreiben von Goethe, um die Sache zu akkommodieren, das ich aber grob von mir wies.
Nun sollte die Beleidigung auf meiner Seite sein; ich gestand es aber nicht zu und verfertigte die Antwort auf das gedruckte Schreiben, die ich Moritzen zuschickte. Goethe weigerte sich, solche zu lesen, weil ich ihn nun vorher durch meinen Brief beleidigt hätte. Ich sagte aber an Moritz, er müsse den Brief lesen, oder ich ließe ihn drucken und es fände keine Vereinigung mehr unter uns statt. Er tat’s und verlangte nun, daß der Brief mit Auslassung alles Leidenschaftlichen gedruckt werden möchte; er wolle auch wieder antworten.
So weit ist es, und wir sind nun wieder Freunde, und ich bin gestern bei ihm gewesen ... Ich habe bei diesem Streit niemand auf meiner Seite gehabt als Frau von Stein, die gar fein und richtig fühlt und lieb und brav ist... Moritz ist doch auch meinen Gründen nicht zuwider gewesen.
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