5. Februar
Weimar. Schiller an Karoline von Beulwitz
Über Goethen möchte ich wohl einmal im Vertrauen gegen Sie ein Urteil von mir geben; aber ich könnte mich sehr leicht übereilen, weil ich ihn so äußerst selten sehe und mich nur an das halten kann, was sich mir in seiner Handlungsart überhaupt aufdringt.
Goethe ist noch gegen keinen Menschen, soviel ich weiß, sehe und gehört habe, zur Ergießung gekommen — er hat sich durch seinen Geist und tausend Verbindlichkeiten Freunde, Verehrer und Vergötterung erworben, aber sich selbst hat er immer behalten, sich selbst hat er nie gegeben. Ich fürchte, er hat sich aus dem höchsten Genuß der Eigenliebe ein Ideal von Glück geschaffen, bei dem er nicht glücklich ist. Dieser Charakter gefällt mir nicht— ich würde mir ihn nicht wünschen, und in der Nähe eines solchen Menschen wäre mir nicht wohl. (Legen Sie dieses Urteil beiseite. Vielleicht entwickelt ihn uns die Zukunft, oder noch besser, wenn sie ihn widerlegt.)
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