3. Januar
Weimar. Schiller an Karoline von Beulwitz
Moritz wird noch vier Wochen hierbleiben. Ich habe seine Schrift „Über bildende Nachahmung des Schönen“ von der Frau von Stein nach Hause genommen ... Von Schwärmerei ist er nicht darin frei, und Herderische Vorstellungsarten sind sehr darin sichtbar.
Was mir und einem jeden Schriftsteller mißfallen muß, ist die übertriebene Behauptung, daß ein Produkt aus dem Reiche des Schönen ein vollendetes rundes Ganze sein müsse; fehlte nur ein einziger Radius zu diesem Zirkel, so sinke es unter das Unnütze herunter.
Nach diesem Ausspruch haben wir kein einziges vollkommenes Werk und so bald auch keines zu gewarten.
Was er mündlich an einigen Orten hier behauptet hat, ist übertrieben und fällt ins Lächerliche. Es scheint, daß er keinen Dichter erkennt als Goethen und allenfalls noch einen. Herdern vielleicht; da doch Goethe von Herdern mag ich gar nicht reden bei diesen Foderungen sehr zu kurz kommen würde. Aber Moritz rechnet den „Egmont“ sogar unter diese vollendete Produkte, welchen Goethe selbst hoffentlich nicht für vollkommen hält.
Ich ärgere mich über jeden Sektengeist und Vergötterung anderer; aber an Moritz ist sie mir doppelt unausstehlich, weil er selbst ein vortrefflicher Kopf ist.
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