19. September
Gotha. v.Ramdohr in seinem Tagebuch
Ich hatte mir fest vorgenommen, gestern morgen zu Ihnen zu kommen. Um 8 Uhr war ich zu Krause bestellt, um 10 Uhr zu Goethe, um 11 Uhr zur Gräfin Bernstorff. Wohl! sagte ich mir: um 1 Uhr fährst du erst weg, also findest du gewiß eine Stunde für den lieben Böttiger. Inzwischen l’homme propose, mais Dieu dispose.
Ich komme zu Goethe, finde ihn erst gesprächig, bald darauf interessant von seiten des Kopfs und endlich gar zutraulich und herzlich. — Das böse Gewissen wird bei mir wach! Du hast dem Manne unrecht getan, sag ich mir. Er spielt nicht den Minister, nicht den Sonderling: es ist Folge der ersten Erziehung, es ist Mißtrauen gegen sich und andere, die ihm anfangs das kalte, stolze Ansehen geben.
Wir sehen schöne Zeichnungen, Gemälde, Überbleibsel des Altertums. Zu ihrem innern Werte gesellt sich das Andenken an Italien. Ich werde warm, entzückt, begeistert.
Die Glocke schlägt 11 Uhr; ich muß zur Gräfin Bernstorff. „So ungern ich mich losreiße, ich muß zur Gräfin Bernstorff, Herr Geheimer Rat.“ — „Da gehen Sie und kommen wieder; ich habe noch einige Sachen, die Sie interessieren werden.“
Ich expediere meine Gräfin Bernstorff in zehn Minuten — und wieder hin zu Goethe. Ich war in der festen Meinung, als ich Abschied von ihm genommen hatte, es sei 12 Uhr - es war 1 Uhr vorbei.
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