> Gedichte und Zitate für alle: W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen...08.03.1790 Huber an Körner (527)

2015-12-05

W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen...08.03.1790 Huber an Körner (527)



8. März

Mainz. Huber an Körner

Zuvörderst etwas vom „Tasso“. Mir scheint Dein letztes Urteil nicht richtig. Dieses Produkt ist in seiner Art wohl ebenso vollkommen als „Götz“, „Iphigenie“ und „Egmont“. Der Eindruck, den es das erstemal zurückläßt, ist freilich widrig; es ist eine Art von tragischer Satire, in die man sich nicht gern findet. Aber das verschwindet in der Folge immer mehr und mehr; man trifft auch mit dem Dichter eine Art von Übereinkunft über seine weitschweifige Behandlung, über seine Auseinandersetzung durch unendliche Monologe, bei denen auch nicht einmal der Anstrich von Natürlichkeit gesucht worden ist..., und dann hat man ebenso reinen Genuß als bei Goethes andern Werken. Und mit Goethen ist ja diese Übereinkunft gar bald getroffen, weil der Geist des Ganzen jedesmal von den Vorteilen der Manier und selbst der eigentümlichen Fehler jeder Manier überzeugt.

An der inneren Wahrheit der einzelnen Charaktere ist durchaus nichts auszusetzen. Tasso lebt zwiefach für uns in Rousseau und noch jemand, dessen Bild bei seiner Trennung von uns mich nicht verlassen hat, von dem Augenblick an, da Tasso nach Rom will. Antonio wäre schwerer zu finden, aber wie schön und wahr ist der Charakter! Ich gestehe Dir, daß die Prinzessin mich fast verführt, eine Untreue an Iphigenien und Klärchen zu begehen. Wie unendlich fein und doch wie lebendig ist die schöne Weiblichkeit wieder in diesem Charakter nuanciert! Alfons mit so wenigen Strichen so fürstlich edel, ohne Gepräng. Und Leonorens gutmütige Feinheit, vorzüglich in der Szene mit Antonio, die zweite Stufe von Weiblichkeit, auf welcher sie neben der Prinzessin steht.

Wenn der Dichter solche Resultate gewonnen hat, so kann ich nicht einen Augenblick mehr zweifeln, ob er sie auch auf einem andern, uns geläufigeren Wege hätte gewinnen können und sollen; und ich traue fest, daß sein Weg der einzig rechte war. Mit allem dem will ich nicht leugnen, daß der erste, verworrne, peinliche Eindruck, den dieses Stück macht, sehr wahr sein mag. Keine Theorie der ästhetischen Empfindungen reicht zu, uns zu sagen, wie diese Behandlung eines Charakters wie Tasso wirkt, und die Gattung dieses Stücks zu bestimmen. Doch schwamm in mir auch das erstemal diese Empfindung oben: freudige Bewunderung der seltsamen Kombination in der äußersten Paradoxie des Gedankens und der höchsten Simplizität der Ausführung.

Reicher an sogenannten Stellen ist dieses Stück übrigens als irgendeines von Goethe; aber jedes einzeln ist köstlich. Was hast Du gesagt zu der „goldnen Zeit“ in der Szene der Prinzessin mit Tasso im zweiten Akt und zu dem „Seidenwurm“ in der Szene des Alfons mit Tasso im fünften Akt?

"Noch Jemand": offenbar Schiller, wie er im Juli 1787 den Dresdner Freundeslreis verließ, um in Weimar sein Glück zu suchen.

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