> Gedichte und Zitate für alle: W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen....28.06.1790 Huber an Körner (534)

2015-12-06

W. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen....28.06.1790 Huber an Körner (534)



28. Juni

Mainz. Huber an Körner

Was Du am „Faust“ liebst, verkenne ich nicht. Aber ich meine nur, daß in Mephistopheles’ Plan nichts anderes zu liegen scheint, als die Sinnlichkeit zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen. Und das fällt um so mehr auf, je mehr in Faust selbst liegt. Oder meinte es Goethe so, daß der Teufel, der höhere Geist selbst, einen Menschen von Fausts Gehalt nicht faßte, missverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr verachtet, persifliert Mephistopheles alles Geistige in dem Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß alles das sich in der Materie, in den Sinnen verliert. Daß dem kraftvollen Genie das abstrakte Denken nicht genügt, gibt er ja für den Keim seines Verderbens an; jedes andere platonische, geistige Bedürfnis im Faust sieht er als maskierte Sinnlichkeit an. Und er, der Teufel, muß es doch am besten wissen.

Von der Seite scheint mir also Goethe ganz der pöbelhaften Idee vom Teufel und Menschen gefolgt zu sein, und er hat am Ende wohlgetan. Denn es kam auf Darstellung an, so gut wie bei einem Sujet aus der Mythologie oder dem heroischen Zeitalter Griechenlands, bei der man auch nur die für die poetisch-sinnliche Darstellung interessantesten Seiten auffaßt, nicht sich bemüht, den moralischen oder philosophischen Gehalt der Idee, die zum Grunde liegt, zu berichtigen. Nur sind diese Ideen uns durch Entfernung und Assoziationen schon veredelt, ehe sie der Dichter gebraucht; jene sehen wir plump und platt, und die bald edle, bald pikante und immer geistvolle Form, in die sie der Dichter kleidet, macht eine Art von Täuschung, die uns verführt, etwas andres, Tieferliegendes, darunter zu suchen. 

Mephistopheles sieht Obszönität des Menschen; der höhere Blick des bösen Geistes ist konsequente, unbestechliche Faunenweisheit. Daß Goethe darum den menschlichen hohen Wert Fausts nicht vernachlässigte, trotz der Verachtung, der er ihn im Mephistopheles aussetzte, ihn doch con amore warm und erhaben ausmalte, macht seinem Genie Ehre. Aber es ist peinlich! Das Peinliche löst sich dann freilich am Ende in höhere Bewunderung des Dichters auf. Deine beliebte erhabene Ruhe hält am Ende hier auch her: man sieht im Dichter den Herrn seines Stoffs, seiner Welt den höchsten Blick, der über dem Teufel und dem Menschen schwebt, den frei spielenden Geist, der, nirgends durch unzeitige Wahrheit (also nicht mehr Wahrheit) beschränkt, jede relative Wahrheit der Imagination ungescheut auffaßt und erschöpft.

Und gerade dies — ich wiederhole es über den „Faust“ mit verdoppelter Ehrfurcht — hat unter allen Dichtern der Welt Goethe allein ganz vermocht. Es ist die reinste, konsequenteste Imagination, ewig unvermischt mit seiner eigenen Individualität: das großmütigste, freieste, unbedingteste Opfer, das je der Muse und dem Genius gebracht wurde. 

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