15. An Goethe 12.12.1802
Berlin, den 12. Dezember 1802.
Ein Teil von den Mitgliedern der Singakademie hatten mir gestern abend eine angenehme surprise veranstaltet, um meinen Geburtstag zu feiern. Ein kleines Schauspiel, mit vielen meiner Lieder durchwebt, wurde sehr artig aufgeführt; alle meine Kinder hatten Rollen darinne. Den Beschluß machte eine Burlette, bei der Sie sich nicht schlecht würden verwundert haben, in einer Dame der Königin Bathseba unsern Zimmermann Steffany anzutreffen, der auf die possierlichste Weise von der Welt kostümiert war und sich eine gorge angezimmert hatte, die das Gelächter meines ganzen Hauses erregte. Unter den vielen freundlichen Geschenken dieses Tages war Ihr lieber Brief, den ich an der Aufschrift erkannte und seinen Inhalt an der ungewöhnlichen Größe erriet. Ihr schönes »Hochzeitlied« soll nicht aus meinen Händen kommen, und sobald es komponiert ist, sollen Sie auch die Komposition erhalten.
Ihren Brief vom 3. November habe ich so oft gelesen, daß ich Ihnen nun auch wohl, für mich und meinen Sohn zugleich, recht warm dafür danken kann. Die Wahrheit ist so natürlich und liegt so nahe, daß man glauben sollte, man dürfe nur die Augen aufmachen, um sie zu sehn, und doch ist eine freundliche Zusprache nirgend mehr an ihrem Orte, als wo man mit sich selbst und dem Glücke seines Kreises ernsthaft beschäftigt sein muß. Ihre edeln Worte sollen auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen sein, und ich habe aufs neue recht tief empfunden, was man alles von Ihnen lernen kann.
Daß Voß jetzt in Jena wohnt, war mir noch nicht bekannt; ich freue mich, ihn dort zu wissen. Ich habe sein edles Wesen und seine Liebe zur Kunst in wenigen Stunden des Umgangs mit ihm sehr lieb gewonnen. Er hat sich eine gute Zeit still gehalten, und es läßt sich denken, daß er mit was Rechtem wieder erscheinen werde.
Die angenehme Nachricht, daß Sie im Begriff sind, der Welt von Ihren Schätzen mitzuteilen, hat mich auch wieder erweckt, und ich habe mich seitdem wieder an Ihren Gedichten versucht. Was Sie mir einst, bei Gelegenheit der »Ersten Walpurgisnacht«, von der dramatischen Form der Romanzen geschrieben, bestätigte mir eine Neigung, die ich schon im »Zauberlehrling« zu entwickeln versucht hatte. Die»Walpurgisnacht« blieb aber deswegen unfertig, weil sich mir immer die alte abgetragene Kantatenuniform aufdrängte. Nun habe ich’s mit »Der Müllerin Reue« versucht, und es kommt nun darauf an, was Sie dazu sagen. Da es einmal zwei Personen singen müssen, so wird es gut sein, wenn die eine ein Tenor ist. Das Stück ist, leider, etwas schwer zu produzieren und muß gut gelernt werden, daß weder Atem noch Zunge fehlt. Der Tenor muß sehr heftig und polternd deklamieren und der Diskant zusammenhängend, mild und herzvoll sein.
Den »Liebesgötterhandel« habe ich mir als ein kleines Intermezzo im italienischen Stil gedacht: wenn drei Mägdlein, leicht angezogen, mit netten Vogelkäfigen auf dem Rücken, freundlich und luftig in einem frohen Kreise auftreten, »Wer kauft Liebesgötter?« rufen und dann das Gedicht nach der Melodie recht leicht und schalkhaft singen, kann eine gute Wirkung nicht fehlen. Das Fortepiano, das wenigstens einen geläufigen Vortrag fordert (nur keinen leidenschaftlichen Ausdruck), könnte auch hinter einem Schirme, doch in demselben Zimmer, stehn.
Und so nehmen Sie so gern, was ich so gern gebe. Ich möchte Ihnen den Frieden der Himmlischen in Tönen nach Weimar senden, denn wo keine Götter sind, ist doch kein Himmel. Empfehlen Sie mich herzlich Schillern. Ich möchte mich gern selber mit der Freude überraschen, nach dem lieben Weimar zu kommen. Noch kann ich nichts bestimmen, besonders insofern mir das bevorstehende Karnaval, wo die königliche Familie in Berlin ist, eine Aufmerksamkeit zur Pflicht macht, die ich mir natürlich selber auflege, indem sie die Singakademie betrifft. Dieses Institut genießt eines gastfreundlichen Vorrechts in einem königlichen Hause, und es müßte mir schmerzhaft sein, wenn höhern Orts eine Nachfrage in meiner Abwesenheit geschähe, wo niemand wäre, der für zweihundert Personen
und eine unbekannte Sache das rechte Wort zu sagen wüßte, und gewiß, Mittel und Zwecke durcheinander geworfen, eine abenteuerliche Ansicht gewährte. Denn wer mag wissen, wie in unsern Zeiten eine muntere Jugend und eine edle Mannbarkeit ordnungsmäßig Zusammentritt, um ein andächtiges Kyrie zu singen.
Ich weiß nicht, wie und warum die wenigen schönen Zeilen Ihres letzten Briefes eine lebendige Sehnsucht in mir erweckt haben, die lange genug im Schoß meines tiefsten Herzens, ungeboren, aber nicht unerkannt, lag. O, es wird ein Faden bleiben, den keine Parze gesponnen und keine zerschneiden wird. Mein Herz kennt nur Eine Liebe, die das Ganze umfaßt, überall gern eingeht und noch niemals ungestärkt heimgekehrt ist; sie erschrickt nicht vor dem Gebell des Hundes, der mit seiner Kette klirrt und prangt, weil es auch Vögel gibt, die singen. Es ist die Liebe zur Kunst, die nichts Unreines leidet und jedes Einzelne sein läßt, was es kann; es ist die Liebe zu Ihrem Genius, mein hochgeliebter Freund, der ewig war und immer sein wird und sich niemals verändert, auch nicht in seiner Vergrößerung und Verewigung; [es ist die Liebe] die nichts fürchtet und wie ein Faden Leben an Leben zieht.
Zelter
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