> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 07.04.-13.04.1802 (8)

2016-04-26

Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 07.04.-13.04.1802 (8)



8. An Goethe 07.04.-13.04.1802

Ihr Brief vom 1. April hat mich auf das angenehmste erschreckt. Ich erkannte ihn von außen und glaubte darinne wohlverdiente Vorwürfe über mein undankbares Schweigen zu finden, welches die Beilagen so gut vertreten mögen, als sie können.

Ihr junger Zimmermann wird uns willkommen sein, und er kann von nun an so bald herwandern, als er will, und gleich hier in Arbeit treten. Der Zimmermeister Richter hieselbst, der ein sehr geschickter und gebildeter Mechaniker ist, wird ihn sogleich in Arbeit nehmen, obgleich er auch bei jedem ändern Zimmermeister jetzt hier Unterkommen kann, indem es hier eher an tüchtigen Leuten als an Arbeit und Gelegenheit fehlt. Der geringste Lohn eines Zimmergesellen hier in Berlin ist täglich 10 Groschen und wöchentlich 2 1/2 Taler, die sich aber bei einer besondern Tätigkeit oder Brauchbarkeit in einzelnen Fällen nicht selten bis zu 3 oder 4 Taler wöchentlichen Lohn vermehren.

Ich würde ihm allenfalls raten, hier in Berlin ordentlich und nach Handwerksgebrauch auf der Zimmergesellenherberge einzuwandern. Dort wird er zuerst in die Gesellenbücher, Kranken- und Sterbekassen eingetragen. Von da kann er gerade zu mir nach der Neuen Münzstraße Nr. 1 kommen. Ich schicke ihn dann oder führe ihn selber zum Herren Bichter, mit dem ich vorher darüber reden werde, und ein honettes Quartier wird sich auch für ihn finden. Für die ersten Tage ist er durch die Herberge allenfalls gesichert, und mit dem vorher angegebenen Lohn kann er ohne Zuschuß auskommen, er müßte denn die Collegia der Bauschule besuchen wollen, die nicht wohlfeil sind. Will er nicht mit dem Strom der jungen Welt oder seiner Genossenschaft schwimmen, so steht ihm an Sonn- und Feiertagen meine Tür und mein Haus offen, wo er eine kleine gute Art beisammen findet, unter denen ich nicht übel lebe. Mein ältester Sohn ist ein Maurer und zeichnet für seine Jahre nicht eben schlecht, und was ich dem jungen Manne Liebes erweisen kann, soll ihm werden, wie jedem jungen rechtlichen Gast, der mein Haus betritt, ohne daß Sie mir dafür einen besondern Dank schuldig werden sollen, denn mit Ihnen habe ich es anders im Sinne. Lassen Sie demnach Ihren jungen Zimmergesellen kommen, sobald er Lust dazu hat, er soll sogleich Arbeit haben.

Von Ihren Gedichten habe ich nur die beiliegenden erst in Musik gesetzt. In dem »Frühzeitigen Frühling« hat es sich von selbst gemacht, daß aus dreien Strophen Eine worden ist, wie denn bei Ihren Liedern selten der Komponist seinen Willen hat, wenn er einen hat, weil sie sich immer von selbst aussprechen. Wer es gut singen wollte, müßte es recht gut auswendig können. Von der Frau Justizrätin Hufeland habe ich »Des Schäfers Klagelied« mitgenommen und es schon in Leipzig komponiert. Es darf nicht zu laut, aber so leicht als möglich gesungen werden. Zu Ihrem Freunde de Mappes habe ich schon einen Gesang gemacht, aber der Herr v. Mappes sind noch nicht damit zufrieden. Schulzens Melodie ist so gut als möglich, allein sie hat für Ihr teutsches Lied nicht Würde genug, und schlechter als Schulz wollte ich’s auch nicht gern machen. Mit Schillers »Vier Weltaltern« bin ich vielleicht glücklicher gewesen, wenigstens habe ich damit erlangt, was ich machen kann. Auch habe ich dieser Tagen wieder eine von Schillers Romanzen in Musik gesetzt: den »Kampf mit dem Drachen«, womit ich zufrieden sein muß, weil die i2zeiligen Strophen von unendlicher Schwierigkeit für die Modulation sind. Wäre das Gedicht nicht so lang, daß der Sänger beinahe dabei erliegt, so würde ich es unter meinen Arbeiten dem »Taucher« an die Seite setzen.

Über alle dem Sonnenschein und der Herrlichkeit, die ich in Ihrem Hause genossen habe, habe ich die 5 Strophen Ihrer neuen Romanze zurückgelassen, die mir unendlich Wohlgefallen haben, und ich bitte Sie auf das inständigste, mir solche zukommen zu lassen. Vielleicht animiert Sie die Komposition zu deren Vollendung, wenn es noch nicht geschehen sein sollte. Ich danke Gott stündlich auf den Knieen meines Herzens, daß ich endlich Ihr Angesicht gesehn habe. Die Erinnerung dieser Tage wird nur mit meinem Gedächtnisse aufhören. Ein neuer Geist ist in mir durch die Berührung erweckt, und wenn ich je etwas hervorgebracht oder hervorbringe, das der Musen würdig ist, so weiß ich, daß es Gabe ist und woher sie kommt. Empfehlen Sie Ihrem mir unaussprechlich teuren Hause

Ihren

Berlin, den 7. April 1802. Zelter.

Den 13. April.

Durch ein Versehen meines Boten ist mein Brief liegen blieben. Seit der Zeit habe ich den Zimmermeister Richter gesprochen, welcher bereit ist, unsern jungen Mann, sobald er hier ist, sofort in Arbeit zu stellen. Es fallen bei diesem Manne ungemeine und lehrreiche Arbeiten vor, besonders Brücken, Verbände zu Kirchtürmen und ändern seltenen Bauarten, wovon das Hofbauamt jedesmal vorher Modelle durch diesen Richter anfertigen läßt, die nicht selten natürliche Größe haben.

Für Ihre edle verehrte Prinzessin lege ich ein Exemplar meiner kleinen Lieder bei, welches Sie wohl so gütig sind, Ihr in meinem Namen zu Füßen zu legen. Ich würde sie selbst überschickt haben, wenn ich nicht dächte, daß diese kleinen Sachen durch bessere Hand als die meinige auch besser und würdiger erschienen.

Vorigen Sonnabend ward hier auf dem neuen Nationaltheater »Herkules’ Tod« von Reichardt gegeben. Das Gedicht ist, wie ich glaube, auch vom Komponisten nach dem Sophokles bearbeitet und in der Art komponiert wie Gotters »Me-dea«, nur daß Chöre dazwischen sind, die mit ihren Gruppierungen einen ungemein deutlichen und vorteilhaften Zusammenhang geben. Die Musik hat vieles, woran man Reichardts Genius besonders erkennt, der sich immer durch große und kühne Schritte verkündigt; allein ihr Bestes scheint mir in den Momenten der Ruhe zu liegen, die

ungemein rührend und mannhaft sind. Iffland spielt den Herkules so schön und edel und weiß die Übergänge zum höchsten Schmerz, dem nur der Körper endlich unterliegt, so meisterhaft zu graduieren, daß überall eine vorteilhafte Mischung von leidender Menschheit und göttlicher Kraft hervorgeht. Das Ende ist besonders schön: Herkules besteigt den Scheiterhaufen, der von einem Blitzstrahl angezündet wird; sein Haupt wird von oben herab erleuchtet und sein Tod ein sichtbarer Übergang der Verklärung zum Olymp.

Ich lege einen Brief an den Herren Hofrat Schiller bei, welchen Sie wohl so gütig sind abgeben zu lassen.

Zelter.

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