> Gedichte und Zitate für alle: F. Gundolf: "Goethe"- Biographie- Eckermann Seite 171

2016-04-17

F. Gundolf: "Goethe"- Biographie- Eckermann Seite 171


ECKERMANN

Die Wanderjahre sind das bezeichnendste Greisenwerk Goethes, für sein Wissen wie für seinen Willen, mehr als seine späte Lyrik und der Faust, die, um ein Scherzwort hier umzukehren, mehr den alten Goethe als den alten Goethe bekunden. Aber die eigentliche Gestalt des erhabenen Greises lebt in uns doch weniger durch diese breite und ferne, bis zur Gestaltlosigkeit unübersehbare Leistung als durch die Form die er selbst, halb willentlich halb unwillkürlich, mit Wort und Gegenwart in der Seele eines empfänglichen Jünglings eingedrückt und auf bewahrt hat: Eckermanns Gespräche mit Goethe sind das mythische Bild des alten Goethe, gleichsam von ihm selbst geformt in dem weichen Thon dieses Hörers. Von allen Gesprächen Goethes kann man nur die mit Eckermann zu seinen eigenen Werken rechnen, der Art ihrer Entstehung und Abrundung nach. Schon bald nach der Begegnung mit dem bescheidenen bildungswilligen und ehrfürchtigen jungen Mann, der geistig reif genug war um Goethes Wesen zu ahnen, untergeordnet genug um willig zu dienen, und strebsam genug um sich in Goethes Dienst zu entwickeln, hatte Goethe in ihm einen Musterjünger erkannt und ihn nicht nur zum mechanischen Hilfsarbeiter, wie er deren mehrere hatte, sondern zum verläßlichen, aber beseelten Vertrauten, um nicht zu sagen Phonographen seiner überpersönlichen Alters-Weisheit ausersehen. Er empfand Eckermann als den idealen Hörer, als leibhaftigen Repräsentanten des „idealen Publikums“ für das er seine Gedanken veröffentlichte, und das man als Schreibender so selten zu empfinden bekommt: den empfänglichen, nicht durch Eigensinn verwirrten, nicht durch Hintergedanken und Nebenzwecke abgelenkten, selbständig nachdenken den aber nicht eigensüchtig fordernden, unbefangenen aber vertrauenden, gebildeten aber ehrfurchtsfähigen Leser, der ganz Ohr ist während er liest und nur den einen Willen hat: sich zu bilden, indem er dem überlegenen Geist sich hingibt, offenbare sich ihm dieser als gedrucktes oder gesprochenes Wort, als tote Autorität oder gegenwärtige Gestalt.

Die ganze Generation welcher seine „Wanderjahre“ zugute kommen sollten sah Goethe in Eckermann als einem guten Durchschnittsexemplar, einem bildsamen Muster vor sich, und zog ihn mit der Güte und dem Selbstsinn des überschwenglich Reichen in seinen Bezirk, mit demselben Entgegenkommen und derselben Distanz, so vertrauend und so verbergend wie er sich in den Wanderjahren dem unsichtbar idealen Publikum mitgeteilt hatte. Hier hatte er einen Zögling vor sich den er förderte, wenn er ihn nutzte (einerlei ob Eckermann dies immer einsah, da er sich manchmal zu produktiv vorkam um ganz als Goethes Geschöpf sich zu genügen) und Goethe nutzte ihn nicht nur zu Privatzwecken sondern behandelte ihn als Anlaß zu einem großen Altersweisheitswerk, zu einem über seinen Tod hinausreichenden Evangelium. Und soviel beweglicher, wärmer, leichter, spontaner das an einen lebendigen Menschen gerichtete Wort ist, sei es immerhin als Kundgebung an die Ewigkeit über den Hörer hinaus gemeint, verglichen mit dem schon abstrakt und druckreif geborenen Zweck- und Lehrwort für ein nicht gegenwärtiges Publikum (1) soviel sind die Eckermann-gespräche gegenwärtiger, soviel näher an Goethe selbst, soviel seiner unverlierbaren Gestalt und Gebärde teilhaftiger als die pädagogischen und didaktischen Teile der Wanderjahre. Hier lebt der Augenblick, der Anlaß, und der weise hohe Zweck belebt sich durch die sinnliche Gegenwart, die sinnliche Gegenwart verewigt sich durch den erhaben überschauenden Sprecher. Eckermanns Gespräche gönnen uns Goethes letzte Weisheit als augenblickliche Gebärde, als unmittelbaren Ausdruck seiner atmenden Gestalt, wie wir sie sonst nirgends mehr finden, es sei denn in einigen Stellen seiner höchsten Alterslyrik und des Faust. Überall sonst ist sie durch absichtliche Distanzen, Stil, Diktat, Druck, abstrakter, ferner, starrer geworden.

Die Gespräche mit Eckermann sind kein gedrucktes Lehrbuch und keine gesammelte Weisheitsernte sondern ein Evangelium, d.h. die von der Gegenwart des Verkünders selbst unmittelbar hervorgebrachte, mit ihr durchdrungene, von ihr untrennbare Stimme einer heiligen Gestalt. Daß sie Stimme, nicht Schrift sind, und doch die Un Vergänglichkeit der Schrift mit der Spontaneität der Stimme, die Festigkeit des Buchs mit dem Atmen der Person vereinigen, bildet ihren Zauber, über ihren Inhalt hinaus. Die Gedanken die in den Gesprächen Vorkommen (mindestens die Gedankenkreise) kennen wir auch aus Goethes Altersbüchern, sie sind dort sogar zum Teil entschiedener, endgültiger formuliert: aber die Gestalt zu diesen Gedanken bewegt sich nirgends so geheimnisvoll offenbar vor unsren Sinnen wie hier, nirgends sonst war Goethe so bedacht für den gegenwärtigen Hörer und für die dahinter horchende Ewigkeit zu sprechen, und beide haben ihn vernommen wie er vernommen werden wollte. Das bleibt Eckermanns unsterbliches Verdienst daß er so reinsempfängliches Ohr für Goethes Stimme sein konnte.. und der leise Hauch von Komik über seiner Figur, der stärker wurde, als er nur noch leeres Ohr ohne die erhaben füllende Stimme war, nach Goethes Tod, sein verdrießliches Überleben, da er nur zum empfänglichen Jüngling und nicht, wie er manchmal wähnte, zum produktiven Mann geboren war, das fröstelnde Nachwandeln und Nachzehren im göttlichen Schatten des entrückten Meisters — das war der hohe Preis den er für seine Evangelisten-unsterblichkeit zahlen mußte. Aber nicht uns kommt es zu ihn wegen dieses hohen Preises zu belächeln: wir danken dieser seiner bescheidenen Tugend, seiner Beschränktheit und seiner Tragikomik eines der erhabensten Bilder.

(1) Nachteil fast aller gedruckten neueren Zweck- und Lehrrede, gegenüber der antiken marktsgeborenen, der französischen salonsgeborenen, und allenfalls der Lutherischen kanzel-geborenen.



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