> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 05.03.1804 (36)

2016-05-02

Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 05.03.1804 (36)



36. An Goethe 05.03.1804

Ich hätte Ihnen schon längst schreiben sollen, wenn ich Ihnen auch nicht jetzt zwei Antworten schuldig wäre, und durch Ihre Selbstanklage beschämen Sie mich doppelt.

Daß Sie uns den Herrn v. Müller geschickt haben, daran haben Sie einmal wohlgetan; ich kann Sie zur Belohnung dagegen ganz frisch mit der Nachricht erfreuen, daß Müller der Unsere ist, mit einem Gehalt von 3000 rh. Für das Siegel danke ich herzlich, indem ich herzlich auf das kleine hoffe, welches letztere mir bald notwendig werden dürfte, indem sich meine Singakademie jetzt mehr als je aufgenommen hat. Am 3. Januar ist unsere schöne Königin bei uns gewesen und am 14. Februar der König mit seinem ganzen Hofe, welches mir eine ganz ungeheure Freude gemacht hat. Ich habe den König mit einem 8stimmigen und zweichörigen Tedeum bewirtet, welches ich vor zwei Jahren zu seinem Geburtstage komponiert habe. Er hat darüber seine Zufriedenheit bezeugt und mir persönlich viele angenehme Dinge gesagt, die ich von ihm gern gehört habe.

Mit dem Ringe, den sie mir zudenken, warte ich gerne; alles, was mir von Ihnen kommt, ist mir teuer und auch das Warten. Da Sie mich einmal über Verdienst halten, so mögen Sie es auch verantworten. Wenn ich mich selbst auch nicht für zu klein halte, so sollten Sie mich auch nicht verwöhnen, sonst werden sie’s mir hier wieder abgewöhnen, daß mir die Ohren klingen; sie sagen hier so, daß, seitdem ich von Weimar zurücksei, nicht mehr mit mir auszukommen wäre.

Ihre schöne Relation über Ihre Winterbeschäftigungen gefällt mir so sehr, daß ich Ihnen die meinige dagegen austausche, Sie mögen solche brauchen können oder nicht. Fast den ganzen Winter habe ich an einer Abhandlung gearbeitet, die den Zustand des Kunstwesens in unsern Staaten betrifft. Der neue Kurator der Königlichen Akademie der Künste, Freiherr v. Hardenberg, hatte bei der Bestätigung zu seinem neuen Amte den sämtlichen Mitgliedern der Königlichen Akademie die Auflage gemacht: ein jeder einzeln seine Vorschläge und Gutachten zur Verbesserung der einzelnen Kunstzweige und der Akademie selber schriftlich beim Curatorio einzureichen. Dies erfuhr ich zufällig und spät, nachdem schon alle Mitglieder ihre Schriften eingegeben hatten. Da ich nun einmal verdammt bin, alles, wozu ich Beruf habe, unberufen zu tun, und mir einbildete, daß nicht leicht jemand hier meine Ansicht der Sache lautmachen werde, erdreistete ich mich, auch meine Meinung zutage zu bringen und der Behörde einzureichen. Meine Pointe, worauf ich den Blick des Curatoris richten wollte, war: den Begriff einer Akademie, wie sie bei uns sein muß und kann, festzustellen und den aktuellen Zustand der Akademie und des gesamten Kunstwesens dagegenzusetzen, damit ein Kurator, der kein Künstler ist, eher ein Auge für die Sache erhielte als durch die Menge verschiedener Ansichten der einzelnen Zweige, deren jeder allen Vorteil und besonders alles Geld für sich allein behalten möchte, wodurch die Künste nie zu einem Ganzen, Unteilbaren und Einzigen werden und wirken können und so bei dem tätigsten Betrieb höchstens eine Einrichtung erscheint, die den englischen Uhrfabriken nicht unähnlich ist. Das Kuratorium hat meine Abhandlung gnädig aufgenommen und lehrreich gefunden; der Minister hat mir sogar geschrieben, daß er bestimmt sei, darauf zu reflektieren. Anbei habe ich dem Minister meine unendlich geliebte Singakademie empfohlen und den
Wunsch beigebracht, solche zu sanktionieren und unter das Kuratorium der schönen Künste zu stellen. Diese Singakademie ist jetzt 200 Personen stark und wird mir nebenher zu einer unendlich schweren Last, weil ich Tag und Nacht dafür arbeiten muß. Ich habe sie jetzt so weit gebracht, daß sie sich selbst, auf fortwährende Zeiten, vollkommen anständig und kunstwürdig erhalten kann und muß, wenn der König ihr den Raum im Gebäude der Akademie nach wie vor gestattet, und dies war eben nichts Leichtes, weil die bloße Unterhaltung derselben jährlich gegen 1000 Taler kostet und ich dabei meinen Dienst ganz unentgeltlich verrichte.

Den ganzen Winter habe ich auf Sie gehofft wie auf das Heil meiner Seele. Man glaubte, der Herzog von Weimar würde zu den Vermählungsfeierlichkeiten hier sein, und ich wollte meine Gäste nicht schlecht traktieren. Ich selbst bin nicht faul gewesen und habe einige neue Sachen gemacht, die länger leben werden als ich; aber die Leute kommen und gehn, und selten ist einer drunter, der des Willkommens wert ist; ja sie würden drüber räsonieren, wenn sie’s nicht umsonst hätten und ich ihnen nicht wie ein Teufel auf dem Dache säße. Und das ist die einzige weltliche Satisfaktion, die ich von der Sache habe, daß mir keiner mucksen darf, indem sie dem Totaleindrucke nicht widerstehn und doch auch nicht begreifen können, wie ich’s mache; indem sie alles wissen, nur nicht, wie man etwas macht.

Der Hauptgrund aber, weswegen ich jetzo Sie hier wünschte, ist rein idealisch. Unser Chor ist anjetzo immer noch nichts weiter als ein großes Organon, das ich mit meiner Hand spielen lassen und stellen kann wie einen Telegraphen, große Sachen andeuten und klarmachen kann. Sähen und hörten Sie ihn nur ein einziges Mal, es würde Ihnen ein Licht aufgehn, was noch keinem aufgegangen ist, auch nicht mir. Eine Orgel, in der jede Pfeife ein vernunftfähiges, willig-lenkbares Wesen ist, kann das Allerhöchste
werden, aber es verlangt auch den allerhöchsten Geist, der es beherrscht. Er findet die schönste und beste Jugend einer nicht ganz verderbten großen Residenz beisammen, die jedes gute Wort gern faßt und stillschweigend darauf ausgeht, eine Schule der Weisheit zu stiften; ihre Mittel sind endlich Poesie, Harmonie und Gesang. Ich sage es noch einmal: Sie würden finden, was niemand noch gefunden; wollen Sie noch nicht kommen?

Mein Papier ist zu Ende. Künftig mehr. Ihre Frau v. Stael soll in Ihrem Briefe doppelt willkommen sein. An eine Rezension des letzten Jahrganges der »Musikalischen Zeitung« denke ich in diesen Tagen kommen zu können. 

Ewig Ihr Berlin, 5. März 1804.                          Zelter.

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