> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 22.07.-22.07.1804 (41)

2016-05-02

Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 22.07.-22.07.1804 (41)



41. An Goethe 22.07.-22.07.1804

Berlin, den 22. Julius 1804. 

Ihr herrlicher Brief vom 13. dieses hat mich erquickt wie ein Wort des Trostes aus Wolken; er hat mich nicht bloß gestärkt und erfrischt, er hat mir neue Quellen angewiesen, welche zu verfolgen ich nicht säumig sein werde. O, wie haben Sie recht! was wird die Welt dazu sagen, daß der Eine Tropfen im Strome nicht mit dem Strome fortwill? sie, die keine Eigenschaft des Stromes kennen will als ein gänges gedankenloses Fließen und seine erste Eigenschaft, das Wässern, darüber vergißt.

Ihre Vorschläge in Absicht der Wirkung auf die Opposition sind aus meiner tiefsten Seele; ja ich hatte während der Arbeit beständig den einzigen Gesichtspunkt: die Kunst und die Meisterschaft in derselben als das eigentliche Mittel zu Herstellung reiner Sittenhaftigkeit und einer solchen Religiosität, die den äußern Menschen aus dem innewohnenden Gotte moralisch, in jedem einzelnen Falle gleichsam neu konstruiert, darzustellen und so ein moralisches Weltwesen zu resultieren, das äqual wäre einer unsterblichen Originalität und in seiner unendlichen Vielfachheit wie die Strahlen der ewigen Sonne auf Eins zurückführte. Dies wollte ich sagen, wenn ich es hier recht gesagt hätte. Allein da in dem vorliegenden Falle von Kunst allein die Rede war, da die Vorschläge ausschließlich über die Kunst gefordert worden, die dem gegenwärtigen Geschlecht wie ein Leibrock könnten aufgemessen werden, so wollte ich bei den Worten der Kunst bleiben und den Sinn, der von selber erfolgen müsse, im Sinne behalten. Aber wie bin ich erschrocken, als ich nach einiger Durchlesung Ihres Briefes meinen Aufsatz wieder übersah und fand, daß er für die Personen, für welche er bestimmt war, offenbar zu dreist und derb geschrieben ist und ich dennoch nicht imstande wäre, es anders zu machen, wenn ich auch von vorne anfangen wollte, und so habe ich wirklich wenig Hoffnung, daß etwas Rechtes bei der Sache herauskommen werde. Und möchte es auch wirklich zu einem Anfang kommen, so werden sie heut über ein Jahr alten Wein trinken wollen, der heut gekeltert ist, und wenn es auch möglich wäre, die Sache reif und mannbar hinzustellen, so würden sie sie nicht erkennen.

Sie haben mir in Ihrem Briefe Hoffnung gegeben, noch ein mehreres über diese Sache mitzuteilen; tun Sie es doch ja bald: ich kann Ihnen mit keinen Worten sagen, wie unendlich ich mich daran erfreue und wie das Bedürfnis immer in mir wächst, die zerstreuten Funken meines Geistes zu Haufen zu führen, wenn ich nicht verdorren will.

Den Herrn Doktor Tralles habe ich noch nicht gesehn, obgleich mir sein Ruf zu Ohren gekommen ist. Wenn er sich finden lassen will, soll er mich bald haben, noch aber habe ich nicht gehört, daß er in Berlin sei.

Und nun, mein verehrungswürdiger Freund, von einer Sache und eine Frage, die ich nicht ohne Erröten tue. Sie haben mir vor einem Jahr ein Geschenk gemacht, dessen Wert ich nicht gleich erkannt habe. Sie sandten mir dabei einen Vorrat von spanischem Tabak, woran ich Zeit meines Lebens genug zu haben gedachte, indem mein fester Vorsatz war, von da an ein guter Wirt zu werden. Darüber entfernte ich mich von dem Gebrauche alles ändern Tabaks, und nun nach Jahr und Tag sehe ich den Boden in meiner geliebten Büchse, an der ich alle Woche mein Auge weidete und daraus meine Dose füllte. Ich kann sagen, daß dieser Spaniol meinen Kopf verbessert hat und ich seit einem Jahre von einem Schnupfen fast ganz befreit bin, der sonst mein beständiger Gefährte war. Man hat hier mehr als eine Art Spaniol zu Kauf, der aber scharf, beißig und ölicht ist, auch eine viel dunklere Farbe hat. Sie schrieben mir dabei:

»Der Spaniol des Herrn v. Knebel schmeckte Ihnen, und es fand sich noch ein Vorrat. Wo? sollen Sie erfahren, wenn er glücklich in Ihre Hände gelangt.«

O sagen Sie mir um aller Musen willen: wo ist dieses Wo? wem verdanke ich diese Wohltat? die ich dazumal nicht verstand, weil ich die Wirkung nicht kannte. Ist er etwa von Ihrer unvergleichlichen Herzogin Mutter, die ich gern zu der meinigen machen möchte, wenn zwei gute Mütter für einen Sohn nicht zu viel wären? Dann gebe ich meine Hoffnung auf; aber Herr v. Knebel weiß wahrscheinlich, wo dieser Spaniol zu haben ist, und er soll mir für keinen Tabakspreis zu teuer sein, wenn ich die Gelegenheit nur erfahren kann. Was ich überwinde, indem ich Ihnen dieses eröffne, will ich nicht sagen, denn die Not ist schlimmer wie die Notwendigkeit. Der einzige Trost, der mir dabei übrigbleibt, ist das Gefühl: wie Sie die Sünde hassen müssen, da Sie den Sünder so lieben können.

Leben Sie wohl, mein ewig geliebter Freund! könnte ich doch nur in jeder Woche zwei Stunden in Ihrer Luft leben.

Zelter.

Den 23. Juli Abends. Soeben habe ich den Herrn Doktor Tralles kennen lernen. Er ist seit wenigen Tagen hier, und ich hoffe, ihn öfterer zu sehn.

29. Julius. Da Ihr Brief heute wieder liegen bleibt, so sende ich ein Lied mit, das ich soeben gemacht. Reichardt hat das italienische Gedicht so schön in Musik gesetzt, daß ich nicht daran dachte, es zu komponieren; indessen fand ich heut Ihr Gedicht, und da ging’s mit eins drüber hin, und ich will zufrieden sein, wenn sich meine Melodie zur Reichardt’schen verhält wie die Übersetzung des Gedichts zum Original. Gestern abend habe ich Schillers »Tell« wieder gesehn: es fängt an zu gehn, aber so langsam, daß ich fürchte, sie kommen nicht damit zu Ende. Iffland spielt mehreres wirklich schön, aber was ist das unter so vielen?

alle Briefe                                                                                                                                     weiter

Keine Kommentare: