> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 02.07.1805 (64)

2016-05-07

Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 02.07.1805 (64)



64. An Goethe 02.07.1805

Berlin, 2. Julius 1805. 

Jawohl! Man pausiert sich ins ewige Leben hinein. Und so fange ich einen neuen Brief sogleich an, indem mein letzter Brief vom heutigen Dato erst seit 4 Stunden auf der Post ist. Die letzten Worte Ihres lieben Briefes haben so ernsthafte Betrachtungen in mir erweckt, daß ich weinen möchte, wie sie eben auf mich Eindruck machen. Es kann vielleicht eben dahin kommen, daß ich meine unendlich geliebte Singakademie, die Frucht eines unablässigen Fleißes von sechszehn sauern Jahren, aufgebe und aufhebe, mitten in ihrer schönsten Blüte und in einer Aussicht von Hoffnungen für Kunst und wahren Gehalt, die ich immer redlich in mir verschlossen habe, um nur immer mit Tat und getaner Arbeit erscheinen zu können.

Noch kann ich nichts, mag ich nichts weiteres hierüber sagen, indem mir diese Äußerung im größten Unmute da her aufs Papier gefahren ist, worüber ich mich nun ärgere. Allein auf den ersten Hieb sollen sie mich nicht klein hauen, ich will sie ruhig erwarten und mich wehren, wie ich kann.

Die Winckelmannischen Briefe haben mir einen Genuß gegeben, den ich Ihnen tausendmal danke. Ihren Anteil an diesem köstlichen Werke segne Ihnen der Gott des Lichts, der in seiner hohen Unverdrossenheit diese dumme Welt erleuchtet, die man zugleich lieben und verachten muß, um bei Ehren zu bleiben. Die intime Kennerschaft des Höchsten, Wahren, verbunden mit Ihrer absolut truglosen historischen und praktischen Kenntnis des gesamten Kunstwesens, hat noch niemals so brüderlich nebeneinander gestanden. Wie würde sich der edle Winckelmann freuen, wenn er sähe, welch einen königlich prächtigen Grundriß Sie hier niedergelegt haben, die Geschichte der Kunst eines ganzen Jahrhunderts zu sichern, worin das Fundament jeder Säule so aus einem Stücke gelegt ist, daß nur ein solcher Arm es von seiner Stelle rücken könnte, der zugleich fähig wäre, ein ganz neues Gebäude auf seine Art zu konstruieren. Aber wer, mein göttlicher Freund, wird es verstehn, was Sie hier dem Charakter des Antiken, Heidnischen, der Freundschaft, Schönheit und so weiter so tief und kräftig untergelegt haben? Soll ich stolz sagen: Keiner! indem ich es ahnde? Man sieht hier so recht, wenn man will, den Unterschied zwischen einem wahren Menschen und einem, der aussieht wie ein Mensch, und andererseits: wie die Leute recht haben, von Hause aus an allem zu verzweifeln, wohin ihnen kein Trieb geworden, und unterweilen mit dem vorliebzunehmen, was vor ihnen liegt, und am Ende den Triumph davonzutragen, sie hätten das Rechte gefaßt.

Ich denke jetzt auf nichts, als wie ich nach Italien kommen soll, um wenigstens zwei Jahre dort zu sein; denn ein Jahr würde draufgehn, zu verschnaufen, den gewohnten Menschen abzulegen und mich an die neue Luft zu gewöhnen. Meine Zwecke würde ich an Ort und Stelle erst signalisieren können, indem solche verschieden sind von ändern mir bekannten Zwecken. Ich fühle es im Innersten, ja ich sehe es ein, daß ich hier nichts leisten kann, wo in allem Überfluß und Mangel zugleich ist, in dessen Anschaun mein Wesen verdorrt. Wenn ein Fremder aus diesem Lande in meine Nähe kommt, denke ich immer: das wird ein Bote sein, der dich ruft. Dann schmiege ich mich an ihn, bewirte ihn wie einen Gesandten der Götter und horche seinen Worten, und dann kommt es heraus, daß die Wege schlecht, die Armut groß und das Essen teuer ist, und so weiter.

Jacobi wird jetzt bei Ihnen sein, den ich deswegen beneide. Lassen Sie sich doch ja nicht abhalten, Ihr Schema zu verfolgen, damit ich etwas zu tun bekomme; ich denke die Zeit, da meine Frau in Pyrmont sein wird, recht einsam zuzubringen. Wollten sie mir gelegentlich wohl Auskunft geben: was unter dem heroischen Stil in der Landschaftsmalerei verstanden wird? Ich dachte es durch Nachdenken zu finden, kann aber auf nichts Rechtes kommen.

Über die lieben Frankfurter habe ich herzlich gelacht, indem es deren auch hier in Berlin eine ziemliche Anzahl gibt. Wenn solche Leute einmal in den Schuß kommen, etwas der Würde eines großen Gegenstandes Gemäßes zu tun, so vergessen sie darüber ihre eigne Würde und es kommt ordinär etwas so Dummes heraus, daß sie am Ende selber über sich lachen müssen. Ich habe darüber seit manchen Jahren hier Erfahrungen gemacht, die keiner besser als Rameaus Neffe würde der Geschichte einverleiben können. Dieser Mensch hat mich durch seine allgemeine Einsicht in alles Weltwesen bis zum Erstaunen entzückt; ich kann ihn mir denken, wie er leibt und lebt.

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