> Gedichte und Zitate für alle: Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 08.06.1805 (61)

2016-05-07

Briefwechsel J.W.v.Goethe und C.F.Zelter: An Goethe 08.06.1805 (61)



61. An Goethe 08.06.1805

Berlin, 8. Junius 1805. 

Ich habe Ihnen, mein unendlich geliebter Freund, so lange nicht geschrieben, daß mir angst und bange worden ist. Und so manchen Brief ich in der Zeit geschrieben habe, so wäre es mir vielleicht unmöglich gewesen, ohne besondere Veranlassung eine ordentliche Zeile an Sie zusammenzubringen. Ihr lieber Brief vom 1. Juni hat mich erweckt. Ich habe ihn soeben erhalten und antworte Ihnen sogleich, wenn auch diese Antwort erst künftigen Mittwoch den 12. von hier abgehn kann. Meine Motette erhalten Sie anbei. Ich zweifle indessen, daß Sie einen Gebrauch davon werden zu dem bewußten Zwecke machen können, indem sie achtstimmig ist und mit einem Chore von wenigstens 32 guten Chorsängern besetzt werden muß, wenn sie nicht ohne Wirkung bleiben soll. Ich habe sie am meisten deswegen gemacht, um mich selbst in einem gewissen Kunstfache zu tentieren, das in unsern Zeiten wenig gebraucht und gesucht wird; sie würde vielleicht auch nicht uneben klingen, wenn die Stimmen sämtlich durch ein Orchester (jedoch ohne Blasinstrumente) verstärkt und versichert würden. Übrigens lege ich Ihnen den Anfang meines Requiem bei, das Ihnen vielleicht auch nützlich werden könnte, indem dazu nur ein Chor von 16 bis 20 Sängern und 4 Solostimmen erforderlich sind; der Chor könnte dann auch durch das Orchester verstärkt werden. Warum aber wollen wir uns mit geborgten Gütern behelfen? Ich sollte denken, es werde Ihnen eben nicht schwer fallen, etwas Besonders zu machen oder anzuordnen, wozu ich Ihnen die Musik, so bald als es mir nur möglich ist, liefern will. Die vorerwähnten Stücke sind wirklich auf eine Kirche berechnet, und ich fürchte, daß sie außer dieser Sphäre nicht ihre volle Wirkung haben werden. Wenn dagegen wir beide, um eines Dritten willen, den wir nun wohl fortlieben werden, etwas zustande bringen, so sollte ich denken, es müßte sich sehn und hören lassen; mir wenigstens wird es nach unseres Freundes Tode die erste erfreuliche Arbeit sein. Darüber erwarte ich mit umgehender Post Ihre Meinung und Ihren Willen.

Herr Geheime Rat Jacobi, mit dem ich sehr bald bekannt und lieb geworden bin, wird Ihnen sagen können, wie ich jetzt lebe, wie ich Sie liebe, und was er sonst von mir weiß. Er wird wahrscheinlich noch diesen Monat bei Ihnen sein.

Ehlers ist jetzt in Berlin. Er ist zweimal mit Beifall aufgetreten, doch scheint er kein Günstling von Umständen zu sein, die sich nicht zu seinem Vorteile zu fügen scheinen.

»Rameaus Neffen« habe ich gestern zum ersten Male mit großem Genusse gelesen, und es hat mich nicht wenig gekränkt, daß Sie und er mehr von der Musik verstehn als ich. Ich habe niemals etwas gelesen, das mir die Augen so mit Zangen aufgerissen hätte, wie diese Schrift. Man kann über sich selbst erstaunen, dies Buch zu verstehn, und ich denke mir: Sie haben nicht widerstehn können, es zu übersetzen, wenn es übersetzt ist. Ihre Anmerkungen über die Personen, von denen im Buche die Rede ist, sind so trefflich, daß ich Sie deswegen verehren müßte, wenn Sie auch weiter nichts geschrieben hätten.

Der unvermutete Tod unseres lieben Schiller hat bei uns in Berlin eine allgemeine und starke Sensation erregt. Ifflands Betragen (obwohl man demselben keine deutlichen Zwecke noch unterlegen kann) ist ehrwürdig. Er scheint auf etwas zu sinnen oder auf einen ersonnenen Zweck mit eigentlicher Lebhaftigkeit hinzuarbeiten. Diesen Abend wurden die »Räuber« mit aller Kraft, welcher unser Personale und die Kasse fähig ist, sehr eklatant und eifrig vorgestellt. Das Haus war zum Ersticken voll. Iffland spielte den Franz mit unverkennbarer Absicht, sein Ganzes zu leisten. Die Rollen des Karl und der Amalie wurden gleichfalls von Mattausch und Madame Fleck trefflich gespielt. Unser Publikum, welches dieses Stück sehr liebt, hat es auch diesmal wieder, nur mit verdoppeltem Enthusiasmus aufgenommen. Künftigen Freitag steht »Kabale und Liebe« auf dem Repertorio, und es scheint, als wenn die Direktion durch kurz aufeinander folgende Darstellungen aller Schiller’schen Stücke teils das Publikum, das Schillern sehr liebt, fetieren und seinem Eifer Nahrung geben, teils die großen Verdienste des Verewigten auf Eine Tafel bringen wollte, um endlich dadurch etwas für Schillers Andenken zu bewirken. Auch leidet die Kasse eben dadurch nicht, denn das Haus ist bei Schiller’schen Stücken jetzt immer voll, welches in der jetzigen Jahreszeit sonst nicht der Fall ist.

Lassen Sie demnach uns auch etwas für diese Sache tun, das sich daurend an einen dauernden Gegenstand anschließt. (Versteht sich für uns.) Wenn Sie nicht zu sehr angegriffen sind, so kann es eine lindernde wohltätige Arbeit für Sie sein, und ich will mich zusammennehmen und leisten, was ich kann. Um so mehr, da eigentlich in dieser Art nichts Rechtes existiert, das sich für eine Bühne eignete. Vielleicht könnte unsere Arbeit etwas Allgemeines werden, das sich wie ein ordentliches Stück bei jeder feierlichen Gelegenheit anwenden ließe.

Nach Lauchstädt käme ich gern. Die einzige Ursache, Sie dort zu finden, sollte mir für alle gelten, allein es wird sich nicht tun lassen. Meine Frau ist mir diesen Winter so krank gewesen, daß sie das Pyrmonter trinken und an Ort und Stelle baden soll; dann bin ich allein mit meinen vielen Kindern und Arbeiten und habe keine Hülfe.

Das Requiem, welches ich Ihnen anbei sende, ist das nämliche, mit welchem ich Schillers Andenken am 21. Mai in der Singakademie im Beisein unseres Freundes Jacobi begangen habe. Mein Spaniol hat sich tapfer gehalten. Noch habe ich etwas, indem ich sehr sparsam damit bin. Für die neue Lieferung danke ich im voraus. Es wäre am besten, wenn Sie mir solchen geradezu mit der Post senden wollten, der Impost kann von keiner Bedeutung sein gegen den Wert, welchen er für mich hat. Leben Sie wohl und erfreuen Sie mich durch beruhigende Nachrichten über sich; ich verharre mit ewiger Liebe

Ihr

Geschlossen am 11. Junius 1805. Zelter.

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