Tennstedt, den 28. August 1816.
Gestern kam Dein lieber Brief zu rechter Zeit, damit ich mich heute daran erfreuen und mich mit Dir unterhalten sollte. Diesen meinen Tag feire ich in besonderer Einsamkeit. Hofrat Meyer, der vier Wochen bei mir verweilte, und Geheimerat Wolf, der auf anderthalb Tage einsprach, gingen heute früh weg, und so bin ich mir selbst überlassen.
Beide genannte Männer, jeder von großen Vorzügen, sind im Umgang die verschiedensten. Der erste, obgleich seiner Sache ebenso gewiß wie der andere, wird niemals eine Gesellschaft verderben, weil er zu schweigen und zu lenken weiß; der zweite dagegen hat sich auf die seltsamste Weise dem Widerspruch ergeben, daß er alles, was man sagen kann, ja alles, was dasteht, hartnäckig verneint und einen, ob man gleich darauf gefaßt ist, doch endlich zur Verzweiflung bringt. Eine solche Unart wächst von Jahr zu Jahr und macht seinen Umgang, der so belehrend und förderlich sein könnte, unnütz und unerträglich; ja man wird zuletzt von gleicher Tollheit angesteckt, daß man ein Vergnügen findet, das Umgekehrte zu sagen von dem, was man denkt.
Man kann sich vorstellen, was dieser Mann als Lehrer in früherer Zeit trefflich muß gewirkt haben, da es ihm Freude machte, tüchtig positiv zu sein.
Deine schöne Erfahrungen und Genüsse gönne ich Dir; Du verdienst, die Welt zu sehen und Dich ihrer zu erfreuen, da Du sie verstehst und billigen Teil an ihr nimmst.
Deinen Aufsatz über die Catalani, Milder und Mara habe mit Freuden gelesen. Die Menschen begreifen niemals, daß schöne Stunden sowie schöne Talente müssen im Fluge genossen werden.
Wie absurd sich die Leipziger bei dieser Gelegenheit benehmen, haben Dir die Zeitungen schon verkündiget. Es täte Not, daß man solchem verfluchten Volke die Gaben Gottes in Spiritus aufhübe, damit sie solche bei Gelegenheit vergleichen und eine der ändern unterordnen könnten.
Die alte niederländische Kunst, wie Du sie in Heidelberg geschaut hast, wird Dir großer Gewinn sein, eben weil Du damit nicht fertig werden willst. Lies mein Heft wieder und immer noch einmal, eben weil Du die Sache selbst gesehen hast. Ich wollte diese Angelegenheit nicht abtun: denn wer kann und darf das? Ich weiß auch, daß niemand recht mit mir zufrieden ist; aber das weiß ich auch, daß der Verstand hier einen Weg ins Holz finden kann.
Ich bin in diesen Tagen veranlaßt, einige Blicke ins Deutschtum zu lenken, und nach meiner Art kann ich nicht lassen, sogleich einige Schritte zu tun. Kann ich Dir dabei etwelche Balladen erhaschen, so soll es mein größter Gewinn sein. Der Angelegenheit selbst will ich auch gerne dienen, nur ist mir das Betrübtste, daß die Deutschen nicht immer deutlich wissen, ob sie volle Weizengarben oder Strohbündel einfahren.
»Sankt Rochus’ Fest« ist in dieser meiner Reisekanzlei endlich auch zu einer dritten, recht reinlichen Abschrift gediehen. Gedruckt möchte es drei Bogen ausmachen. Ich wiederhole, daß ich Dir das Manuskript vorlegen möchte. Es ist zwar keine eigentlich stumpfe Stelle drinnen, aber manches könnte ausführlicher sein, ob ich gleich zufrieden bin, daß meine produktive Sinnlichkeit noch so weit reichen konnte.
Deshalb vermelde, daß, wenn die Dämonen nicht wieder grillenhafte Streiche spielen, ich den eilften September hoffe in Weimar zu sein, wo Du denn einkehren und nach Belieben verweilen könntest: denn das Leben wird immer kürzer und nimmt die Art an sibyllinischer Blätter.
Soviel für diesmal. Der lange Bursche, den Du kennst, hat sich in diesen sechs Wochen auch im Schreiben recht artig herangebildet. Tausend Lebewohl! G.
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