Baden, 5. September 1816.
Das alte Schloß auf dem Berge hat mir gestern eine belehrende Stunde gegeben. Recht sonderbar mit, in, auf und über dem festesten Granitberg gebaut, macht es sich von allen Seiten respektabel, und da die Höhe beinah in der Wage liegt mit der ganzen Bergkette, so hat man eine Übersicht zwischen zwanzig bis dreißig Stunden.
Den alten Hofrat Jung habe ich besucht, er wohnt auf dem neuen Schlosse, und es schien ihm innig wehe zu tun, Dich nach so vielen Jahren auf sonderbare Art verfehlt zu haben. Er fing selber an, von einem Besuche zu reden, den Du ihm in Karlsruhe zugedacht hattest, und Sulpiz Boisseree, der bei mir war, konnte mir die Sache nur erklären, denn ich wußte von nichts. Ehe ich von hier gehe, denke ich ihn noch einmal zu sehen und mich länger mit ihm zu unterhalten.
Die Kammern der heiligen Vehme, welche zu sehn ich so begierig war, haben meine Erwartung nicht übertroffen. Ich weiß wohl, daß zum Hängen jeder gute Strick tauglich ist und verlange diese Gewölbe nicht besser, doch die steinernen Granittüren sind vielfältig in Kellern zu finden, um solche sicher zu verschließen und nachher mit Mörtel zu bewerfen und die Öffnung zu verstecken.
Unter ändern Dingen, die ich hier formiere, habe ich das Lied aus dem »Wilhelm Meister«: »Wer nie sein Brot mit Tränen aß« mit einer neuen Komposition versehn, die Dir vielleicht lieber sein wird als die erste, welche Prätensionen hat.
Um mir zu einer Reise nach Zürich einen Vorschmack zu verschaffen, habe ich eben Deine »Briefe aus der Schweiz« gelesen; doch ist das Wetter so permanent unausstehlich, daß ich mich hüten werde, das Land der Freiheit im Sterbehemde zu sehen. Zuerst soll nach Straßburg gegangen werden, dort wird ein Weiteres beschlossen, wovon ich Dir Nachricht gebe.
Daß Dich der Grillenkauz ärgern würde, konnte ich mir vorstellen; ich wette, er ist einer von denen, die sich vorstellen, mit der Zeit fortzuschreiten, indem die Zeit mit ihnen durchgeht wie ein munteres Pferd. Wie mag er Dich denn in Tennstedt ausgewittert haben? er wollte ja ein Seebad gebrauchen.
Das Urteil über Catalani in der Leipziger Zeitung ist mir nur durch Tradition bekannt, kann mir’s aber recht gut vorstellen, da ich den Mann kenne, der wie ein blinder Postillon neben der besten Straße herfährt und über schlechte Wege flucht. Was mich dabei ärgert, ist, daß diese Herren sich und die deutsche Kritik prostituieren und die junge Welt irre machen, an der freilich nicht viel zu verderben ist.
Deine Balladenjagd freut mich, und wenn der rechte Jäger kommt, ist mir nicht bange um Wildbret in den guten deutschen Wäldern. Gar gern mag ich dabei die Gesichter der Gebildeten sehn, indem Du etwas aufnimmst, betrachtest und zu betrachten gibst, was sie verächtlich liegen ließen wie Petrus das Hufeisen: Den »Totentanz« gab ich einer gebildeten Frau zu lesen, ehe er gedruckt war, die sich gern zu den Deinigen zählt. »Ich muß gestehn«, sagte sie, »daß ich dem Gedichte nichts abgewinnen kann und es für kein Goethisches halten würde, wenn ich’s nicht wüßte; aber lassen Sie doch Ihre Komposition hören. — Ja du lieber Gott! wenn man das alles hineinlegen soll, so müßte man ja zum Dichter selber werden!« Das sollen Sie auch, liebe Frau, und wenn Sie es nicht so weit bringen, so denken Sie nur dreist, die Schuld liegt an Ihnen allein! Backen, brauen und kauen sollen Sie selber und sich den Genuß bereiten; außer diesen eigenen Zutaten gibt es weder Poesie noch Prosa für uns. — »Da heißt’s dann, man sei ein grober Gesell.«
Was mir aber die meiste Lust gibt, ist der Glaube vieler: daß ich von Dir ordentlich dressiert werde, Deine Gedichte in Musik zu setzen, weil ich die Kompositionen entweder verschenke oder nicht eher achte, bis sie Dir gefallen können; denn mit allen Gedanken, die sie dabei haben können, sind sie nicht eher zufrieden, bis sie den dümmsten haschen.
Endlich schreibe ich Dir dies aus Straßburg, wo ich gestern, den 9. dieses, mit Sulpiz gegen 6 Uhr angekommen bin. Wir gingen noch, den Münster von außen zu sehen. Das halbe Tagslicht gegen Abend und etwas Mondhelle ließen die Verhältnisse des Gebäudes vorteilhaft erkennen, was jedoch nicht ganz leicht ist, da auch diese Kirche mit Außenteilen angetan ist, die nicht zum Ganzen gehören. Heut früh neun gingen wir in schönster Sonnenhelle wieder hin; erst in die Kirche, worin ich zum ersten Male eine würdige Messe gehört habe, das heißt nicht etwa eine Fiedelmesse, sondern einen ordinären Gottesdienst, den die schöne Orgel allein bestritt, die wahrscheinlich eine Silbermann’sche ist, wonach ich noch fragen werde.
Nach der Messe ward der Turm bestiegen und zwar nicht weiter bis in die acht Schnecken. Der Zugwind war stark, und ich, in Schweiß geraten, würde auch ohne dies nicht höher gegangen sein, da mir das Steigen nicht mehr zukommt. Beschreiben kann ich nichts, am wenigsten Dir, der alles besser wissen kann. Einige Anmerkungen sind vielleicht am Orte: Das Gebäude wird rühmlicherweise in guter Baulicheit und rein gehalten; auch sind die Restaurationen mit Sorgfalt und Geschick gemacht. Ob es gut sei, an manchen Orten, wo guter Steinkitt angewandt werden müßte, Blei hineinzugießen, lasse ich dahingestellt sein, wenigstens müßte eine strenge Meisteraufsicht dabei stattfinden. Zuverlässig schädlich ist’s aber, daß an so fein gegliedertem Gestein das eingegoßne Blei noch mit dem Steineisen nachgetrieben wird, auch habe ich diese Methode nirgends da finden können, wo die alten Klammern noch festsitzen; wie denn, wer vom Metier ist, kaum weiß, was er mehr bewundern soll: die Arbeit selbst oder das bloße Versetzen der Teile. Es erscheint wie ein Feenwerk. Das fehlende Kreuzgewölbe unter den 8 Schnecken vermißt ein statisches Auge ungern, ja mit Wehmut! weil es einen frühem Untergang des herrlichen Werks ankündigt, das schon oft von Ungewittern stark ist beschädigt worden. Höchst zu bewundern ist endlich, daß ein so durchbrochnes Gebäude bei dem unendlichen Regen der letzten Monate auch keine Spur, ich wiederhole es: keine Spur, einer Feuchtigkeit blicken ließ; jeder Tropfen Wassers läuft ab wie von einer Ölfläche.
Den 11. Die Orgeln des Straßburger Silbermann sind von so besonderer Schönheit des Tons, daß [sie] sich aus den besten Orgeln anderer tüchtigen Meister herausfinden lassen; genug, die Münsterorgel ist vom alten Silbermann und jetzt 102 Jahre alt. Das Sonderbare bei diesem Werke besteht mit darinne, daß kein Baumeister an einen Raum für die Orgel gedacht zu haben scheint. Dieser Raum mußte daher angewiesen und genommen werden, wo er ist, und mir erscheint er als der gefährlichste in der Kirche, wegen der Nähe des hohlen Raums unter den Türmen. Nun hat mein Meister nicht allein das Werk mit solchen Stimmen ausgestattet, die einem solchen Raume anständig sind, er hat auch das ganze Werk zusammen in seine alte Schale eingespannt wie den Schuß in einer Büchse, daß kein Körnchen Pulver müßig ist. Von außen sieht übrigens das Werk aus wie ein neues; nicht einmal die Paradepfeifen sind angelaufen, und die Wirkung ist in der Tat grandios. Den Gesang der geistlichen Väter bei der Messe kann ich nicht genug loben, sie lassen ihn von zwei Serpenten begleiten, was sich gut aus-nimmt. Der cantus firmus ist zwar nicht ohne Fehler, aber echt und würdig: alles würde sich leicht durch einen Mann in die beste Form herstellen lassen, der es recht verstünde.
Wie niederträchtig sich dagegen des Abts und Kurpfälzisch geistlichen Rats, Hofkapellmeisters und öffentlichen Tonlehrers zu Mannheim Herrn Voglers »Deutsche Messe«, die er zur Schande der heidelbergischen Kirchenvorsteher, in deren Gegenwart sie ist aufgeführt worden, hat drucken lassen, die aus infamen Gassenhauern zusammengestoppelt und vierstimmig unter Autorität herausgegeben ist, ausnimmt, soll mir ein Zeichen sein, und ich habe mir dies Meisterstück expreß deswegen in Offenbach gekauft und führe es eben bei mir. Die Herren denken, wenn sie sich gemein und unwürdig halten, seien sie volksmäßig.
Donnerstag, 12. September. Gestern hat man mir Deine Dissertation gezeigt, die ich mir gern abgeschrieben hätte, welches aber durchaus nicht erlaubt werden sollte. Eben komme ich aus der Messe, bei welcher Gelegenheit ich die Münsterorgel inwendig besehn habe. Ich wollte die Lungen sehn, welche einem solchen Werke Odem geben, und habe meine Lust daran. Sechs Blasebälge, die wenigstens 600 Kubikfuß Odem fassen, haben wenigstens immer 300 Kubikfuß im Vorrat, und der stärkste Organist kann sie daher nicht erschöpfen, wenn sie durch 2 Menschen bedient werden. Die Art, sie aufzuziehn, kann nie fehlen, nie schaden und ist ein Meisterstück von Mechanik; die Gewichte sind von Blei und darauf festgemacht, was sehr wichtig ist; überall sieht man Verstand, Erfahrung, Gedanken und Geist: fürwahr, der Mann ist der Musen Sohn gewesen! Unser gute Organist rupft diesen heiligen Geist wie einen Kramsvogel und ist mit aller Unwissenheit nicht imstande, das ewige Leben zu töten. Nach der Aufschrift, die ich nun selber gelesen habe, ist das Werk 1713 angefangen und 1716 im August fertig worden, welches netto 100 Jahre sind. Wäre ich hier gewesen, ich würde darauf angetragen haben, den Tag zu feiern. Vor einigen Jahren ist es ausgebessert und die Pfeifen aufpoliert worden. Der Organist, welcher das Werk täglich zweimal zu bedienen hat, hat täglich 548 Stufen auf-und abzusteigen, das macht jährlich 200 020 Stufen, und nun muß er noch das Pedal bedienen. Die beiden Balgentreter sind rüstige Leute mit guten Eingeweiden, vor denen die Gewichte Respekt haben. In einigen deutschen Provinzen nimmt man dazu alte dünnleibige Invaliden, die oft so inkapabel sind, daß sie ihre Weiber und Kinder schicken, die die Bälge verderben und mehr Schaden anrichten, als der Organist zu bezahlen kostet. Dieser Mißbrauch kann hier gar nicht geschehen, weil nur Einer treten kann, der das befestigte Gewicht beherrscht. Da es diese ganze Nacht in Güssen geregnet hat, so bin ich im Aufsteigen sehr aufmerksam gewesen, stehengebliebenes Wasser anzutreffen: kein Sperling kann sich satt trinken, wiewohl der Regen überall eingeschlagen hat. Der jetzige Münsterpolierer, namens Sauer, ein Steinhauer, ist mein guter Freund worden. Er hat uns Restaurationen von seiner Hand gezeigt, die wir loben durften; auch er fand das Nachreiben der Klammern mit dem Steineisen fehlerhaft und will es künftig verhüten. Das Gewitter hat auch dieses Jahr eingeschlagen, doch keinen zu großen Schaden getan.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen