> Gedichte und Zitate für alle: Gedichte von Bruno Frank: Vor kahler Wand (25)

2019-05-04

Gedichte von Bruno Frank: Vor kahler Wand (25)




Vor kahler Wand


Auf schwankem Tisch, im roten Lampenlicht,
Bewegt sich schreibend eine blasse Hand,
Und eine Seele formt ein Nachtgedicht,
Im Kämmerchen, vor kahler weißer Wand.

Ins Kämmerchen durchs offene Fenster rauscht
Der nächtigen Stimmen Strom aus fernem Wald.
Der Dichter stockt, und seine Seele lauscht
Und löst aus dumpfem Stöhnen die Gestalt:

Gestalt des Baumes, der im Winde schreit.
Einsam und stützlos auf entholztem Hang,
Gestalt des Tiers, das heulend, sturzbereit.
Vorm stärkem Feind den Gießbach übersprang.

Den Gießbach, der die eigne Flut und Last
Wild überschäumt, sich selber überbrüllt.
Aufspritzend hoch am Fels, der sturmerfaßt.
Weinend und tönend in den Gischt sich hüllt, —

Und was aus Tier und Baum und Steinen bricht.
Rauscht wie ein Strom vom schwarzen Waldesrand
Durch toten Raum. Und wird ein Nachtgedicht
Im Kämmerchen vor kahler weißer Wand.

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