Ebendasselbe gilt von zusammengesetzten Kunstwerken, ihrem Gegenstand und Inhalt, die Aufgabe sei Fabel oder Geschichte.
Wohl dem Künstler, der sich bei Unternehmung des Werkes nicht vergreift! der das Kunstgemäße zu wählen oder vielmehr dasselbe zu bestimmen versteht!
Wer in den zerstreuten Mythen, in der weitläufigen Geschichte, um sich eine Aufgabe zu suchen, ängstlich herumirrt, mit Gelehrsamkeit bedeutend oder allegorisch interessant sein will, der wird in der Hälfte seiner Arbeit oft bei unerwarteten Hindernissen stocken oder nach Vollendung derselben seinen schönsten Zweck verfehlen. Wer zu den Sinnen nicht klar spricht, redet auch nicht rein zum Gemüt, und wir achten diesen Punkt so wichtig, daß wir gleich zu Anfang eine ausführlichere Abhandlung darüber einrücken.
Ist nun der Gegenstand glücklich gefunden oder erfunden, dann tritt die Behandlung ein, die wir in die geistige, sinnliche und mechanische einteilen möchten. Die geistige arbeitet den Gegenstand in seinem innern Zusammenhange aus, sie findet die untergeordneten Motive, und wenn sich bei der Wahl des Gegenstandes überhaupt die Tiefe des künstlerischen Genies beurteilen läßt, so kann man an der Entdeckung der Motive seine Breite, seinen Reichtum, seine Fülle und Liebenswürdigkeit erkennen. Die sinnliche Behandlung würden wir diejenige nennen, wodurch das Werk durchaus den Sinnen faßlich, angenehm erfreulich und durch einen milden Reiz unentbehrlich wird.
Die mechanische zuletzt wäre diejenige, die durch irgendein körperliches Organ auf bestimmte Stoffe wirkt und so der Arbeit ihr Dasein, ihre Wirklichkeit verschafft. Indem wir nun auf solche Art dem Künstler nützlich zu sein hoffen und lebhaft wünschen, daß er sich manches Rates, mancher Vorschläge bei seinen Arbeiten bedienen möge, so dringt sich uns leider die bedenkliche Betrachtung auf, daß jedes Unternehmen, so wie jeder Mensch, von seinem Zeitalter ebensowohl leide, als man davon gelegentlich Vorteil zu ziehen im Fall ist; und wir können bei uns selbst die Frage nicht ganz ablehnen, welche Aufnahme wir denn wohl finden möchten?
Alles ist einem ewigen Wechsel unterworfen, und da gewisse Dinge nicht nebeneinander bestehen können, verdrängen sie einander. So geht es mit Kenntnissen, mit Anleitungen zu gewissen Übungen, mit Vorstellungsarten und Maximen. Die Zwecke der Menschen bleiben ziemlich immer dieselben: man will jetzt noch ein guter Künstler und Dichter sein oder werden wie vor Jahrhunderten; die Mittel aber, wodurch man zu dem Zwecke gelangt, sind nicht jedem klar, und warum sollte man leugnen, daß nichts angenehmer wäre, als wenn man einen großen Vorsatz spielend ausführen könnte.
Natürlicherweise hat das Publikum auf die Kunst großen Einfluß, indem es für seinen Beifall, für sein Geld ein Werk verlangt, das ihm gefalle, ein Werk, das unmittelbar zu genießen sei, und meistens wird sich der Künstler gern darnach bequemen, denn er ist ja auch ein Teil des Publikums, auch er ist in gleichen Jahren und Tagen gebildet, auch er fühlt die gleichen Bedürfnisse, er drängt sich in derselbigen Richtung, und so bewegt er sich glücklich mit der Menge fort, die ihn trägt und die er belebt. Wir sehen auf diese Weise ganze Nationen, ganze Zeitalter von ihren Künstlern entzückt, so wie der Künstler sich in seiner Nation, in seinem Zeitalter bespiegelt, ohne daß beide nur den mindesten Argwohn hätten, ihr Weg könnte vielleicht nicht der rechte, ihr Geschmack wenigstens einseitig, ihre Kunst auf dem Rückwege und ihr Vordringen nach der falschen Seite gerichtet sein.
Anstatt uns hierüber ins Allgemeinere zu verbreiten, machen wir hier eine Bemerkung, die sich besonders auf bildende Kunst bezieht. Dem deutschen Künstler, so wie überhaupt jedem neuen und nordischen, ist es schwer, ja beinahe unmöglich, von dem Formlosen zur Gestalt überzugehen und, wenn er auch bis dahin durchgedrungen wäre, sich dabei zu erhalten.
Jeder Künstler, der eine Zeitlang in Italien gelebt hat, frage sich: ob nicht die Gegenwart der besten Werke alter und neuer Kunst in ihm das unablässige Streben erregt habe, die menschliche Gestalt in ihren Proportionen, Formen, Charakteren zu studieren und nachzubilden, sich in der Ausführung allen Fleiß und Mühe zu geben, um sich jenen Kunstwerken, die ganz auf sich selbst ruhen, zu nähern, um ein Werk hervorzubringen, das, indem es das sinnliche Anschauen befriedigt, den Geist in seine höchsten Regionen erhebt? Er gestehe aber auch, daß er nach seiner Zurückkunft nach und nach von jenem Streben heruntersinken müsse, weil er wenig Personen findet, die das Gebildete eigentlich sehen, genießen und denken mögen, sondern meist nur solche, die ein Werk obenhin ansehen, dabei etwas Beliebiges denken und nach ihrer Art etwas dabei empfinden und genießen wollen. Das schlechteste Bild kann zur Empfindung und zur Einbildungskraft sprechen, indem es sie in Bewegung setzt, los und frei macht und sich selbst überläßt; das beste Kunstwerk spricht auch zur Empfindung, aber eine höhere Sprache, die man freilich verstehen muß; es fesselt die Gefühle und die Einbildungskraft; es nimmt uns unsre Willkür, wir können mit dem Vollkommenen nicht schalten und walten, wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst von ihm, erhöht und verbessert, wieder zu erhalten.
Daß dies keine Träume sind, werden wir nach und nach im einzelnen so deutlich als möglich zu zeigen suchen, besonders werden wir auf einen Widerspruch aufmerksam machen, in welchen sich die Neuern so oft verwickeln. Sie nennen die Alten ihre Lehrer, sie gestehen jenen Werken eine unerreichbare Vortrefflichkeit zu und entfernen sich in Theorie und Praxis doch von den Maximen, die jene beständig ausübten. Indem wir nun von diesem wichtigen Punkte ausgehen und oft wieder auf denselben zurückkehren werden, so finden wir noch andere, davon noch einiges zu erwähnen ist. Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalles der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben. Die Künste selbst sowie ihre Arten sind untereinander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich ineinander zu verlieren; aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von andern abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen und sie aufs möglichste zu isolieren wisse. Man hat bemerkt, daß alle bildende Kunst zur Malerei, alle Poesie zum Drama strebe, und es kann uns diese Erfahrung künftig zu wichtigen Betrachtungen Anlaß geben.
Der echte, gesetzgebende Künstler strebt nach Kunstwahrheit, der gesetzlose, der einem blinden Trieb folgt, nach Naturwirklichkeit; durch jenen wird die Kunst zum höchsten Gipfel, durch diesen auf ihre niedrigste Stufe gebracht. So wie mit dem Allgemeinen der Kunst, ebenso verhält es sich auch mit den Arten derselben. Der Bildhauer muß anders denken und empfinden als der Maler, ja er muß anders zu Werke gehen, wenn er ein halberhobenes Werk, als wenn er ein rundes hervorbringen will. Indem man die flacherhobenen Werke immer höher und höher machte, dann Teile, dann Figuren ablöste, zuletzt Gebäude und Landschaften anbrachte und so halb Malerei, halb Puppenspiel darstellte, ging man immer abwärts in der wahren Kunst, und leider haben treffliche Künstler der neuern Zeit ihren Weg auf diese Weise genommen. Wenn wir nun künftig solche Maximen, die wir für die rechten halten, aussprechen werden, wünschten wir, daß sie, wie sie aus den Kunstwerken gezogen sind, von dem Künstler praktisch geprüft werden.
Wie selten kann man mit dem andern über einen Grundsatz theoretisch einig werden! Hingegen was anwendbar, was brauchbar sei, ist viel geschwinder entschieden. Wie oft sieht man Künstler bei der Wahl ihrer Gegenstände, bei der für ihre Kunst passenden Zusammensetzung im allgemeinen, bei der Anordnung im besondern sowie den Maler bei der Wahl der Farben in Verlegenheit. Dann ist es Zeit, einen Grundsatz zu prüfen, dann wird die Frage leichter zu entscheiden sein, ob wir durch ihn den großen Mustern und allem, was wir an ihnen schätzen und lieben, näherkommen oder ob er uns in der empirischen Verwirrung einer nicht genug durchdachten Erfahrung stecken läßt. Gelten nun dergleichen Maximen zur Bildung des Künstlers, zur Leitung desselben in mancher Verlegenheit, so werden sie auch bei Entwicklung, Schätzung und Beurteilung alter und neuer Kunstwerke dienen und wieder wechselsweise aus der Betrachtung derselben entstehen. Ja, es ist um so nötiger, sich auch hier daran zu halten, weil, unerachtet der allgemein gepriesenen Vorzüge des Altertums, dennoch unter den Neuern sowohl einzelne Menschen als ganze Nationen oft eben das verkennen, worin der höchste Vorzug jener Werke liegt. Eine genaue Prüfung derselben wird uns am meisten vor diesem Übel bewahren.
Deshalb sei hier nur ein Beispiel aufgestellt, wie es dem Liebhaber in der plastischen Kunst zu gehen pflegt, damit etwa deutlich werde, wie notwendig eine genaue Kritik der ältern sowohl als der neuern Kunstwerke sei, wenn sie einigermaßen Nutzen bringen soll. Auf jeden, der ein zwar ungeübtes, aber für das Schöne empfängliches Auge hat, wird ein stumpfer, unvollkommner Gipsabguß eines trefflichen alten Werks noch immer eine große Wirkung tun; denn in einer solchen Nachbildung bleibt doch immer die Idee, die Einfalt und Größe der Form, genug, das Allgemeinste noch übrig, so viel, als man mit schlechten Augen allenfalls in der Ferne gewahr werden könnte. Man kann bemerken, daß oft eine lebhafte Neigung zur Kunst durch solche ganz unvollkommene Nachbildungen entzündet wird. Allein die Wirkung ist dem Gegenstande gleich, es wird mehr ein dunkles, unbestimmtes Gefühl erregt, als daß eigentlich der Gegenstand in seinem Wert und in seiner Würde solchen angehenden Kunstfreunden erscheinen sollte. Solche sind es, die gewöhnlich den Grundsatz äußern, daß eine allzu genaue kritische Untersuchung den Genuß zerstöre, solche sind es, die sich gegen eine Würdigung des Einzelnen zu sträuben und zu wehren pflegen. Wenn ihnen aber nach und nach bei weiterer Erfahrung und Übung ein scharfer Abguß statt eines stumpfen, ein Original statt eines Abgusses vorgelegt wird, dann wächst mit der Einsicht auch das Vergnügen, und so steigt es, wenn Originale selbst, wenn vollkommene Originale ihnen endlich bekannt werden. Gern läßt man sich in die Labyrinthe genauer Betrachtungen ein, wenn das Einzelne so wie das Ganze vollkommen ist, ja man lernt einsehen, daß man das Vortreffliche nur in dem Maße kennenlernt, insofern man das Mangelhafte einzusehen imstande ist. Die Restauration von den ursprünglichen Teilen, die Kopie von dem Original zu unterscheiden, in dem kleinsten Fragmente noch die zerstörte Herrlichkeit des Ganzen zu schauen, wird der Genuß des vollendeten Kenners, und es ist ein großer Unterschied, ein stumpfes Ganze mit dunklem Sinne oder ein vollendetes mit hellem Sinne zu beschauen und zu fassen. Wer sich mit irgendeiner Kenntnis abgibt, soll nach dem Höchsten streben!
Es ist mit der Einsicht viel anders als mit der Ausübung, denn im Praktischen muß sich jeder bald bescheiden, daß ihm nur ein gewisses Maß von Kräften zugeteilt sei; zur Kenntnis, zur Einsicht aber sind weit mehrere Menschen fähig, ja man kann wohl sagen ein jeder, der sich selbst verleugnen, sich den Gegenständen unterordnen kann, der nicht mit einem starren, beschränkten Eigensinn sich und seine kleinliche Einseitigkeit in die höchsten Werke der Natur und Kunst überzutragen strebt. Um von Kunstwerken eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen. Alles kommt aufs Anschauen an, es kommt darauf an, daß bei dem Worte, wodurch man ein Kunstwerk zu erläutern hofft, das Bestimmteste gedacht werde, weil sonst gar nichts gedacht wird. Daher geschieht es so oft, daß derjenige, der über Kunstwerke schreibt, bloß im Allgemeinen verweilt, wodurch wohl Ideen und Empfindungen erregt werden, ja allen Lesern, nur demjenigen nicht genuggetan wird, der mit dem Buche in der Hand vor das Kunstwerk hintritt. Aber eben deswegen werden wir in mehrern Abhandlungen vielleicht in dem Falle sein, das Verlangen der Leser mehr zu reizen als zu befriedigen; denn es ist nichts natürlicher, als daß sie ein vortreffliches Kunstwerk, das genau zergliedert wird, sogleich vor Augen zu haben wünschen, um das Ganze, von dem die Rede ist, zu genießen und, was die Teile betrifft, die Meinung, die sie vernehmen, ihrem Urteil zu unterwerfen. Indem nun aber die Verfasser für diejenigen zu arbeiten denken, welche die Werke teils gesehen haben, teils künftig sehen werden, so hoffen sie für solche, die sich in keinem der beiden Fälle befinden, dennoch das mögliche zu tun. Wir werden der Nachbildungen erwähnen, anzeigen, wo Abgüsse von alten Kunstwerken, alte Kunstwerke selbst besonders den Deutschen sich näher befinden, und so echter Liebhaberei und Kunstkenntnis, soviel an uns liegt, zu begegnen suchen. Denn nur auf dem höchsten und genausten Begriff von Kunst kann eine Kunstgeschichte beruhen; nur wenn man das Vortrefflichste kennt, was der Mensch hervorzubringen imstande war, kann der psychologisch- chronologische Gang dargestellt werden, den man in der Kunst sowie in andern Fächern nahm, wo erst eine beschränkte Tätigkeit in einer trocknen, ja traurigen Nachahmung des Unbedeutenden sowie des Bedeutenden verweilte, sich darauf ein lieblicheres, gemütlicheres Gefühl gegen die Natur entwickelte, dann, begleitet von Kenntnis, Regelmäßigkeit, Ernst und Strenge, unter günstigen Umständen die Kunst bis zum Höchsten hinaufstieg, wo es denn zuletzt dem glücklichen Genie, das sich von allen diesen Hülfsmitteln umgeben fand, möglich ward, das Reizende, Vollendete hervorzubringen.
Leider aber erregen Kunstwerke, die mit solcher Leichtigkeit sich aussprechen, die dem Menschen ein bequemes Gefühl seiner selbst, die ihm Heiterkeit und Freiheit einflößen, bei dem nachstrebenden Künstler den Begriff, daß auch das Hervorbringen bequem sei. Da der Gipfel dessen, was Kunst und Genie darstellen, eine leichte Erscheinung ist, so werden die Nachkommenden gereizt, sich's leicht zu machen und auf den Schein zu arbeiten. So verliert die Kunst sich nach und nach von ihrer Höhe herunter, im ganzen so wie im einzelnen. Wenn wir uns aber hievon einen anschaulichen Begriff bilden wollen, so müssen wir ins Einzelne des Einzelnen hinabsteigen, welches nicht immer eine angenehme und reizende Beschäftigung ist, wofür aber der sichere Blick über das Ganze nach und nach reichlich entschädigt. Wenn uns nun die Erfahrung bei Betrachtung der alten und mittlern Kunstwerke gewisse Maximen bewährt hat, so bedürfen wir ihrer am meisten bei Beurteilung der neuen und neuesten Arbeiten; denn da bei Würdigung lebender oder kurz verstorbener Künstler so leicht persönliche Verhältnisse, Liebe und Haß der Einzelnen, Neigung und Abneigung der Menge sich einmischen, so brauchen wir Grundsätze um so nötiger, um über unsre Zeitgenossen ein Urteil zu äußern. Die Untersuchung kann alsdann sogleich auf doppelte Weise angestellt werden. Der Einfluß der Willkür wird vermindert, die Frage vor einen höhern Gerichtshof gebracht. Man kann den Grundsatz selbst sowie dessen Anwendung prüfen, und wenn man sich auch nicht vereinigen sollte, so kann der streitige Punkt doch sicher und deutlich bezeichnet werden. Besonders wünschten wir, daß der lebende Künstler, bei dessen Arbeiten wir vielleicht einiges zu erinnern hätten, unsere Urteile auf diese Weise bedächtig prüfte. Denn jeder, der diesen Namen verdient, ist zu unsrer Zeit genötigt, sich aus Arbeit und eignem Nachdenken wo nicht eine Theorie, doch einen gewissen Inbegriff theoretischer Hausmittel zu bilden, bei deren Gebrauch er sich in mancherlei Fällen ganz leidlich befindet; man wird aber oft bemerken, daß er auf diesem Wege sich solche Maximen als Gesetze aufstellt, die seinem Talent, seiner Neigung und Bequemlichkeit gemäß sind. Er unterliegt einem allgemeinen menschlichen Schicksal. Wie viele handeln nicht in andern Fächern auf eben diese Weise! Aber wir bilden uns nicht, wenn wir das, was in uns liegt, nur mit Leichtigkeit und Bequemlichkeit in Bewegung setzen. Jeder Künstler, wie jeder Mensch, ist nur ein einzelnes Wesen und wird nur immer auf eine Seite hängen.
Deswegen hat der Mensch auch das, was seiner Natur entgegengesetzt ist, theoretisch und praktisch, insofern es ihm möglich wird, in sich aufzunehmen. Der Leichte sehe nach Ernst und Strenge sich um, der Strenge habe ein leichtes und bequemes Wesen vor Augen, der Starke die Lieblichkeit, der Liebliche die Stärke, und jeder wird seine eigene Natur nur desto mehr ausbilden, je mehr er sich von ihr zu entfernen scheint. Jede Kunst verlangt den ganzen Menschen, der höchstmögliche Grad derselben die ganze Menschheit. Die Ausübung der bildenden Kunst ist mechanisch, und die Bildung des Künstlers fängt in seiner frühsten Jugend mit Recht vom Mechanischen an, seine übrige Erziehung hingegen ist oft vernachlässigt, da sie doch weit sorgfältiger sein sollte als die Bildung anderer, welche Gelegenheit haben, aus dem Leben selbst Vorteil zu ziehen. Die Gesellschaft macht einen rohen Menschen bald höflich, ein geschäftiges Leben den offensten vorsichtig; literarische Arbeiten, welche durch den Druck vor ein großes Publikum kommen, finden überall Widerstand und Zurechtweisung; nur der bildende Künstler allein ist meist auf eine einsame Werkstatt beschränkt, er hat fast nur mit dem zu tun, der seine Arbeit bestellt und bezahlt, mit einem Publikum, das oft nur gewissen krankhaften Eindrücken folgt, mit Kennern, die ihn unruhig machen, und mit Marktrufern, welche jedes Neue mit solchen Lob- und Preisformeln empfangen, durch die das Vortrefflichste schon hinlänglich geehrt wäre. Doch es wird Zeit, diese Einleitung zu schließen, damit sie nicht, anstatt dem Werke bloß voranzugehen, ihm vorlaufe und vorgreife. Wir haben bisher wenigstens den Punkt bezeichnet, von welchem wir auszugehen gedenken; wie weit wir uns verbreiten können und werden, muß sich erst nach und nach entwickeln. Theorie und Kritik der Dichtkunst wird uns hoffentlich bald beschäftigen; was uns das Leben überhaupt, was uns Reisen, ja was uns die Begebenheiten des Tags anbieten, soll nicht ausgeschlossen sein, und so sei denn noch zuletzt von einer wichtigen Angelegenheit des Augenblicks gesprochen.
Für die Bildung des Künstlers, für den Genuß des Kunstfreundes war es von jeher von der größten Bedeutung, an welchem Orte sich Kunstwerke befanden; es war eine Zeit, in der sie, geringere Dislokationen abgerechnet, meistens an Ort und Stelle blieben; nun aber hat sich eine große Veränderung zugetragen, welche für die Kunst im ganzen sowohl als im besondern wichtige Folgen haben wird. Man hat vielleicht jetzo mehr Ursache als jemals, Italien als einen großen Kunstkörper zu betrachten, wie er vor kurzem noch bestand. Ist es möglich, davon eine Übersicht zu geben, so wird sich alsdann erst zeigen, was die Welt in diesem Augenblicke verliert, da so viele Teile von diesem großen und alten Ganzen abgerissen wurden. Was in dem Akt des Abreißens selbst zugrunde gegangen, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben; allein eine Darstellung jenes neuen Kunstkörpers, der sich in Paris bildet, wird in einigen Jahren möglich werden; die Methode, wie ein Künstler und Kunstliebhaber Frankreich und Italien zu nutzen hat, wird sich angeben lassen, so wie dabei noch eine wichtige und schöne Frage zu erörtern ist: was andere Nationen, besonders Deutschland und England, tun sollten, um in dieser Zeit der Zerstreuung und des Verlustes mit einem wahren weltbürgerlichen Sinne, der vielleicht nirgends reiner als bei Künsten und Wissenschaften stattfinden kann, die mannigfaltigen Kunstschätze, die bei ihnen zerstreut niedergelegt sind, allgemein brauchbar zu machen und einen idealen Kunstkörper bilden zu helfen, der uns mit der Zeit für das, was uns der gegenwärtige Augenblick zerreißt, wo nicht entreißt, vielleicht glücklich zu entschädigen vermöchte. Soviel im allgemeinen von der Absicht eines Werkes, dem wir recht viel ernsthafte und wohlwollende Teilnehmer wünschen.
Johann Wolfgang Goethe
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