Von allem Literarischen, ja selbst von dem Höchsten, was sich mit Wort und Sprache beschäftigt, von Poesie und Rhetorik, zu den bildenden Künsten überzugehen, ist schwer, ja fast unmöglich; denn es liegt eine ungeheure Kluft dazwischen, über welche uns nur ein besonders geeignetes Naturell hinüberhebt. Um zu beurteilen, inwiefern dieses Winckelmannen gelungen, liegen der Dokumente nunmehr genugsam vor uns. Durch die Freude des Genusses ward er zuerst zu den Kunstschätzen hingezogen; allein zu Benutzung, zu Beurteilung derselben bedurfte er noch der Künstler als Mittelspersonen, deren mehr oder weniger gültige Meinungen er aufzufassen, zu redigieren und aufzustellen wußte, woraus denn seine noch in Dresden herausgegebene Schrift »Über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst «, nebst zwei Anhängen, entstanden ist. So sehr Winckelmann schon hier auf dem rechten Wege erscheint, so köstliche Grundstellen diese Schriften auch enthalten, so richtig das letzte Ziel der Kunst darin schon aufgesteckt ist, so sind sie doch, sowohl dem Stoff als der Form nach, dergestalt barock und wunderlich, daß man ihnen wohl vergebens durchaus einen Sinn abzugewinnen suchen möchte, wenn man nicht von der Persönlichkeit der damals in Sachsen versammelten Kenner und Kunstrichter, von ihren Fähigkeiten, Meinungen, Neigungen und Grillen näher unterrichtet ist; weshalb diese Schriften für die Nachkommenden ein verschlossenes Buch bleiben werden, wenn sich nicht unterrichtete Liebhaber der Kunst die jenen Zeiten näher gelebt haben, bald entschließen sollten, eine Schilderung der damaligen Zustände, insofern es noch möglich ist, zu geben oder zu veranlassen. Lippert, Hagedorn, Oeser, Dietrich, Heinecken, Oesterreich liebten, trieben, beförderten die Kunst, jeder auf seine Weise. Ihre Zwecke waren beschränkt, ihre Maximen einseitig, ja öfters wunderlich. Geschichten und Anekdoten kursierten, deren mannigfaltige Anwendung nicht allein die Gesellschaft unterhalten, sondern auch belehren sollte. Aus solchen Elementen entstanden jene Schriften Winckelmanns, der diese Arbeiten gar bald selbst unzulänglich fand, wie er es denn auch seinen Freunden nicht verhehlte.
Doch trat er endlich, wo nicht genugsam vorbereitet, doch einigermaßen vorgeübt, seinen Weg an und gelangte nach jenem Lande, wo für jeden Empfänglichen die eigenste Bildungsepoche beginnt, welche sich über dessen ganzes Wesen verbreitet und solche Wirkungen äußert, die ebenso reell als harmonisch sein müssen, weil sie sich in der Folge als ein festes Band zwischen höchst verschiedenen Menschen kräftig erweisen.
Rom
Winckelmann war nun in Rom, und wer konnte würdiger sein, die Wirkung zu fühlen, die jener große Zustand auf eine wahrhaft empfängliche Natur hervorzubringen imstande ist. Er sieht seine Wünsche erfüllt, sein Glück begründet, seine Hoffnungen überbefriedigt. Verkörpert stehn seine Ideen um ihn her, mit Staunen wandert er durch die Reste eines Riesenzeitalters, das Herrlichste, was die Kunst hervorgebracht hat, steht unter freiem Himmel; ohnentgeltlich, wie zu den Sternen des Firmaments, wendet er seine Augen zu solchen Wunderwerken empor, und jeder verschlossene Schatz öffnet sich für eine kleine Gabe. Der Ankömmling schleicht wie ein Pilgrim unbemerkt umher, dem Herrlichsten und Heiligsten naht er sich in unscheinbarem Gewand; noch läßt er nichts Einzelnes auf sich eindringen, das Ganze wirkt auf ihn unendlich mannigfaltig, und schon fühlt er die Harmonie voraus die aus diesen vielen, oft feindselig scheinenden Elementen zuletzt für ihn entstehen muß. Er beschaut, er betrachtet alles und wird, auf daß ja sein Behagen vollkommener werde, für einen Künstler gehalten, für den man denn doch am Ende so gerne gelten mag.
Wie uns ein Freund die mächtige Wirkung, welche jener Zustand ausübt, geistvoll entwickelte, teilen wir unsern Lesern statt aller weitern Betrachtungen mit. »Rom ist der Ort, in dem sich für unsere Ansicht das ganze Altertum in eins zusammenzieht, und was wir also bei den alten Dichtern, bei den alten Staatsverfassungen empfinden, glauben wir in Rom mehr noch als zu empfinden, selbst anzuschauen. Wie Homer sich nicht mit andern Dichtern, so läßt sich Rom mit keiner andern Stadt, römische Gegend mit keiner andern vergleichen. Es gehört allerdings das meiste von diesem Eindruck uns und nicht dem Gegenstande; aber es ist nicht bloß der empfindelnde Gedanke, zu stehen, wo dieser oder jener große Mann stand, es ist ein gewaltsames Hinreißen in eine von uns nun einmal, sei es auch durch eine notwendige Täuschung, als edler und erhabener angesehene Vergangenheit; eine Gewalt, der selbst, wer wollte, nicht widerstehen kann, weil die Öde, in der die jetzigen Bewohner das Land lassen, und die unglaubliche Masse von Trümmern selbst das Auge dahin führen. Und da nun diese Vergangenheit dem innern Sinne in einer Größe erscheint, die allen Neid ausschließt, an der man sich überglücklich fühlt, nur mit der Phantasie teilzunehmen, ja an der keine andre Teilnahme nur denkbar ist, und dann den äußern Sinn zugleich die Lieblichkeit der Formen, die Größe und Einfachheit der Gestalten, der Reichtum der Vegetation, die doch wieder nicht üppig ist wie in noch südlichern Gegenden, die Bestimmtheit der Umrisse in dem klaren Medium und die Schönheit der Farben in durchgängige Klarheit versetzt, so ist hier der Naturgenuß reiner, von aller Bedürftigkeit entfernter Kunstgenuß. Überall sonst reihen sich Ideen des Kontrastes daran, und er wird elegisch oder satirisch. Freilich indes ist es auch nur für uns so. Horaz empfand Tibur moderner als wir Tivoli. Das beweist sein ›Beatus ille, qui procul negotiis‹ Aber es ist auch nur eine Täuschung, wenn wir selbst Bewohner Athens und Roms zu sein wünschten. Nur aus der Ferne, nur von allem Gemeinen getrennt, nur als vergangen muß das Altertum uns erscheinen. Es geht damit, wie wenigstens mir und einem Freunde mit den Ruinen. Wir haben immer einen Ärger, wenn man eine halb versunkene ausgräbt; es kann höchstens ein Gewinn für die Gelehrsamkeit auf Kosten der Phantasie sein. Ich kenne für mich nur noch zwei gleich schreckliche Dinge: wenn man die Campagna di Roma anbauen und Rom zu einer polizierten Stadt machen wollte, in der kein Mensch mehr Messer trüge. Kommt je ein so ordentlicher Papst, was denn die 72 Kardinäle verhüten mögen, so ziehe ich aus. Nur wenn in Rom eine so göttliche Anarchie und um Rom eine so himmlische Wüstenei ist, bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr wert ist als dies ganze Geschlecht.« Mengs
Aber Winckelmann hätte lange Zeit in den weiten Kreisen altertümlicher Überbleibsel nach den wertesten, seiner Betrachtung würdigsten Gegenständen umhergetastet, hätte das Glück ihn nicht sogleich mit Mengs zusammengebracht. Dieser, dessen eigenes großes Talent auf die alten und besonders die schönen Kunstwerke gerichtet war, machte seinen Freund sogleich mit dem Vorzüglichsten bekannt, was unserer Aufmerksamkeit wert ist. Hier lernte dieser die Schönheit der Formen und ihrer Behandlung kennen und sah sich sogleich aufgeregt, eine Schrift »Vom Geschmack der griechischen Künstler« zu unternehmen. Wie man aber nicht lange mit Kunstwerken aufmerksam umgehen kann, ohne zu finden, daß sie nicht allein von verschiedenen Künstlern, sondern auch aus verschiedenen Zeiten herrühren und daß sämtliche Betrachtungen des Ortes, des Zeitalters, des individuellen Verdienstes zu gleich angestellt werden müssen, also fand auch Winckelmann mit seinem Geradsinne, daß hier die Achse der ganzen Kunstkenntnis befestigt sei. Er hielt sich zuerst an das Höchste, das er in einer Abhandlung »Von dem Stile der Bildhauerei in den Zeiten des Phidias« darzustellen gedachte. Doch bald erhob er sich über die Einzelheiten zu der Idee einer Geschichte der Kunst und entdeckte, als ein neuer Kolumbus, ein lange geahndetes, gedeutetes und besprochenes, ja man kann sagen, ein früher schon gekanntes und wieder verlornes Land. Traurig ist immer die Betrachtung, wie erst durch die Römer, nachher durch das Eindrängen nordischer Völker und durch die daraus entstandene Verwirrung das Menschengeschlecht in eine solche Lage gekommen, daß alle wahre, reine Bildung in ihren Fortschritten für lange Zeit gehindert, ja beinahe für alle Zukunft unmöglich gemacht worden. Man mag in eine Kunst oder Wissenschaft hineinblicken, in welche man will, so hatte der gerade, richtige Sinn dem alten Beobachter schon manches entdeckt, was durch die folgende Barbarei und durch die barbarische Art, sich aus der Barbarei zu retten, ein Geheimnis ward, blieb und für die Menge noch lange ein Geheimnis bleiben wird, da die höhere Kultur der neuern Zeit nur langsam ins Allgemeine wirken kann. Vom Technischen ist hier die Rede nicht, dessen sich glücklicherweise das Menschengeschlecht bedient, ohne zu fragen, woher es komme und wohin es führe.
Zu diesen Betrachtungen werden wir durch einige Stellen alter Autoren veranlaßt, wo sich schon Ahndungen, ja sogar Andeutungen einer möglichen und notwendigen Kunstgeschichte finden. Vellejus Paterculus bemerkt mit großem Anteil das ähnliche Steigen und Fallen aller Künste. Ihn als Weltmann beschäftigte besonders die Betrachtung, daß sie sich nur kurze Zeit auf dem höchsten Punkte, den sie erreichen können, zu erhalten wissen. Auf seinem Standorte war es ihm nicht gegeben, die ganze Kunst als ein Lebendiges (Zôon) anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme, wie jedes andre organische Wesen, nur in mehreren Individuen notwendig darstellen muß. Er gibt daher nur sittliche Ursachen an, die freilich als mitwirkend nicht ausgeschlossen werden können, seinem großen Scharfsinn aber nicht genugtun, weil er wohl fühlt, daß eine Notwendigkeit hier im Spiel ist, die sich aus freien Elementen nicht zusammensetzen läßt. »Daß wie den Rednern es auch den Grammatikern, Malern und Bildhauern gegangen, wird jeder finden, der die Zeugnisse der Zeiten verfolgt, durchaus wird die Vortrefflichkeit der Kunst von dem engsten Zeitraume umschlossen. Warum nun mehrere, ähnliche, fähige Menschen sich in einem gewissen Jahreskreis zusammenziehen und sich zu gleicher Kunst und deren Beförderung versammeln, bedenke ich immer, ohne die Ursachen zu entdecken, die ich als wahr angeben möchte.
Unter den wahrscheinlichen sind mir folgende die wichtigsten. Nacheiferung nährt die Talente, bald reizt der Neid, bald die Bewunderung zur Nachahmung, und schnell erhebt sich das mit so großem Fleiß Geförderte auf die höchste Stelle. Schwer verweilt sich's im Vollkommenen, und was nicht vorwärts gehen kann, schreitet zurück. Und so sind wir anfangs unsern Vordermännern nachzukommen bemüht dann aber, wenn wir sie zu übertreffen oder zu erreichen verzweifeln, veraltet der Fleiß mit der Hoffnung, und was man nicht erlangen kann, verfolgt man nicht mehr, man strebt nicht mehr nach dem Besitz, den andre schon ergriffen, man späht nach etwas Neuem, und so lassen wir das, worin wir nicht glänzen könnten, fahren und suchen für unser Streben ein ander Ziel. Aus dieser Unbeständigkeit, wie mich dünkt, entsteht das größte Hindernis, vollkommene Werke hervorzubringen.« Auch eine Stelle Quintilians, die einen bündigen Entwurf der alten Kunstgeschichte enthält, verdient als ein wichtiges Denkmal in diesem Fache ausgezeichnet zu werden. Quintilian mag gleichfalls, bei Unterhaltung mit römischen Kunstliebhabern, eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem Charakter der griechischen bildenden Künstler mit dem der römischen Redner gefunden und sich bei Kennern und Kunstfreunden deshalb näher unterrichtet haben, so daß er bei seiner gleichnisweisen Aufstellung, da jedesmal der Kunstcharakter mit dem Zeitcharakter zusammenfällt, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Kunstgeschichte selbst darzustellen genötigt ist. »Man sagt, die ersten berühmten Maler, deren Werke man nicht bloß des Altertums wegen besucht, seien Polygnot und Aglaophon.
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