Daß bei der Einsetzung des Abendmahls die Jünger das Brot und Wein genossen wie die reformierte Kirche, ist unleugbar, denn ihr Meister, den sie viel kannten, der saß bei ihnen, sie versprachen's gleichsam zu seinem Gedächtnis zu wiederholen, weil sie ihn liebten, und mehr prätendierte er auch nicht. Wahrhaftig, Johannes, der an seinem Busen lag, brauchte nicht erst das Brot, um sich von der Existenz seines Herren lebendig zu überzeugen, genug, es mag den Jüngern dabei der Kopf gedreht haben, wie selbigen ganzen Abend, denn sie verstunden nicht eine Silbe von dem, was der Herr sagte. Kaum war der Herr von der Erde weg, als zärtliche, liebesgesinnte Leute sich nach einer innigen Vereinigung mit ihm sehnten, und weil wir immer nur halb befriedigt sind, wenn unsere Seele genossen hat, so verlangten sie auch was für den Körper und hatten nicht unrecht, denn der Körper bleibt immer ein merkwürdiger Teil des Menschen, und dazu gaben ihnen die Sakramente die erwünschteste Gelegenheit. Durch die sinnliche Handlung der Taufe oder des Händeauflegens gerührt, gab vielleicht ihr Körper der Seele eben denjenigen Ton, der nötig ist, um mit dem Wehen des Heiligen Geistes zu sympathisieren, das uns unaufhörlich umgibt. Ich sage »vielleicht«, und ich darf »gewiß« sagen. Eben das fühlten sie beim Abendmahl und glaubten, durch die Worte Christi geleitet, es für das halten zu können, was sie so sehr wünschten. Besonders da die Unarten ihres Körpers sich durch diese Heiligung am besten heilen ließen, so blieb ihnen kein Zweifel übrig, daß ihr verherrlichter Bruder ihnen von dem Wesen seiner göttlichen Menschheit durch diese sinnliche Zeichen mitteile. Aber das waren unaussprechliche Empfindungen, die sie wohl im Anfang zur gemeinschaftlichen Erbauung einander kommunizierten, die aber leider nachher zum Gesetz gemacht wurden. Und da konnte es nicht fehlen, daß die, deren Herz keiner solchen Empfindung fähig war und die mit einer bedächtigen geistlichen Vereinigung sich genügten, daß die sich trennten und sich zu behaupten getrauten, eine Empfindung, die nicht allgemein sei, könne kein allgemein verbindendes Gesetz werden.
Ich denke, daß das der ehrlichste Status causae ist, den man erwarten kann, und wenn man wohltun will, so verfährt man mit seiner Gemeinde so billig von der Seite als möglich. Einem Meinungen aufzwingen ist schon grausam, aber von einem verlangen, er müsse empfinden, was er nicht empfinden kann, das ist tyrannischer Unsinn.
Noch was, lieber Bruder, unsre Kirche hat sich nicht allein mit der reformierten gezankt, weil die zu wenig empfindet, sondern auch mit andern ehrlichen Leuten, weil sie zu viel empfanden. Die Schwärmer und Inspiranten haben sich oft unglücklicherweise ihrer Erleuchtung überhoben, man hat ihnen ihre eingebildete Offenbarung vorgeworfen; aber weh uns, daß unsre Geistlichen nichts mehr von einer unmittelbaren Eingebung wissen, und wehe dem Christen, der aus Kommentaren die Schrift verstehen lernen will. Wollt ihr die Würkungen des Heiligen Geistes schmälern? bestimmet mir die Zeit, wenn er aufgehöret hat, an die Herzen zu predigen, und euern schalen Diskursen das Amt überlassen hat, von dem Reiche Gottes zu zeugen. Unverständlich nennt ihr unnütz! was sah der Apostel im dritten Himmel? Nicht wahr, unaussprechliche Dinge? Und was waren denn das für Leute, die in der Gemeine Sachen redeten, die einer Auslegung bedurften? O meine Herren, eure Dogmatik hat noch viel Lücken. Lieber Bruder, der Heilige Geist gibt allen Weisheit, die ihn darum bitten, und ich habe Schneider gekannt, die Mosheimen zu raten aufgegeben hätten. Genung, die Wahrheit sei uns lieb, wo wir sie finden. Laßt uns unser Gewissen nicht beflecken, daß wir an jenem Tage rein sein mögen, wenn an das Licht kommen wird, daß die Lehre von Christo nirgends gedruckter war als in der christlichen Kirche. Und wem darum zu tun ist, die Wahrheit dieses Satzes noch bei seinem Leben zu erfahren, der wage, ein Nachfolger Christi öffentlich zu sein, der wage sich's merken zu lassen, daß ihm um seine Seligkeit zu tun ist! Er wird einen Unnamen am Halse haben, eh er sich's versieht, und eine christliche Gemeine macht ein Kreuz vor ihm. Laßt uns also darauf arbeiten, lieber Bruder, nicht daß unsere, sondern daß Christi Lehre lauter gepredigt werde. Laßt uns unbekümmert über andere Reiche sein, nur laßt uns für unser Reich sorgen, und besonders hütet Euch vor den falschen Propheten. Diese nichtswürdige Schmeichler nennen sich Christen, und unter ihrem Schafspelz sind sie reißende Wölfe; sie predigen eine glänzende Sittenlehre und einen tugendhaften Wandel und schmälern das Verdienst Christi, wo sie können. Wahrhaftig, alle Religionsspötter sind wenigstens ehrliche Leute, die über das lachen, was sie nicht fühlen, und einen öffentlichen Feind hat man wenig zu fürchten; aber diese heimlichen sucht aus Eurer Gemeinde zu scheiden, nicht, daß Ihr sie in Eurem Sprengel nicht leiden wollt, sondern nur, daß Ihr sie als ehrliche Leute verlangt, die bekennen, was sie sind. Der liebe Johannes lehrt uns ganz kurz allen Religionsunterschied; das sei der einzige, den wir kennen.
Ich habe in meinem Amt Jesum so laut geprediget, daß sich die Widerchristen geschieden haben, und weiter braucht's keine Scheidung. Wer Jesum einen Herrn heißt, der sei uns willkommen, können die andre auf ihre eigene Hand leben und sterben, wohl bekomme es ihnen. Wenn der Geistliche ein Mann ist, der nicht vom Hauptpunkte abweicht, so wird unter der Gemeine auch kein Zwist entstehen, hier habt Ihr mein und meiner ganzen Gemeine Glaubensbekenntnis. Wir sind elend! Wie wir's sind und warum wir's sind, das kann uns sehr einerlei sein, wir sehnen uns nur nach einem Weg, auf dem uns geholfen werden könnte. Wir glauben, daß die ewige Liebe darum Mensch geworden ist, um uns das zu verschaffen, wornach wir uns sehnen, und alles, was uns dient, uns mit ihr näher zu vereinigen, ist uns liebenswürdig, was zu diesem Zwecke nicht zielt, gleichgültig und, was davon entfernt, verhaßt. Ihr könnet Euch denken, Herr Konfrater, in was für einem Kredit die Kontroversen bei uns stehen. Laßt uns Friede halten, lieber Herr Amtsbruder, ich weiß nicht, wie ein Pastor sich unterstehen kann, mit Haß im Herzen auf einen Stuhl zu treten, wo nur Liebe erschallen sollte, und um keinem Zwist Gelegenheit zu geben, laßt uns alle Kleinigkeiten fliehen, wo man Grillen für Wahrheit und Hypothesen für Grundlehren verkauft. Es ist immer lächerlich, wenn ein Pastor seine Gemeine belehrt, daß die Sonne nicht um die Erde geht, und doch kommt so was vor. Noch eins, Herr Bruder, laßt Eure Gemeine ja die Bibel lesen, soviel sie wollen, wenn sie sie gleich nicht verstehen, das tut nichts; es kommt doch immer viel Guts dabei heraus; und wenn Eure Leute Respekt für der Bibel haben, so habt Ihr viel gewonnen. Doch bitte ich Euch, nichts vorzubringen, was Ihr nicht jedem an seinem Herzen beweisen könnt, und wenn's hundertmal geschrieben stünde. Ich habe sonst auch gesorgt, die Leute möchten Anstoß an Dingen nehmen, die hier und da in der Bibel fürkommen, aber ich habe gefunden, daß der Geist Gottes sie gerade über die Stellen wegführt, die ihnen nichts nützen dürften. Ich weiß, zum Exempel, kein zärtliches Herz, das an Salomons Diskursen, die freilich herzlich trocken sind, einigen Geschmack hätte finden können. Überhaupt ist es ein eignes Ding um die Erbauung. Es ist oft nicht die Sache, die einen erbaut, sondern die Lage des Herzens, worin sie uns überrascht, ist das, was einer Kleinigkeit den Wert gibt. Darum kann ich die Liederverbesserungen nicht leiden, das möchte für Leute sein, die dem Verstand viel und dem Herzen wenig geben; was ist dran gelegen, was man singt, wenn sich nur meine Seele hebt und in den Flug kömmt, in dem der Geist des Dichters war; aber wahrhaftig, das wird einem bei denen gedrechselten Liedern sehr einerlei bleiben, die mit aller kritisch richtigen Kälte hinter dem Schreibepulte mühsam poliert worden sind.
Adieu, lieber Herr Konfrater, Gott gebe Eurem Amte Segen. Prediget Liebe, so werdet Ihr Liebe haben. Segnet alles, was Christi ist, und seid übrigens in Gottes Namen indifferent, wenn man Euch so schelten will. Sooft ich an Euerm Geläute höre, daß Ihr auf die Kanzel geht, sooft will ich für Euch beten. Und wenn Euer allgemeiner Vortrag nach aller Maß eingerichtet ist und Ihr die Seelen, die sich Euch besonders vertrauen, insbesondere belehret, so daß Ihr sie doch alle auf den großen Mittelpunkt unsres Glaubens, die ewige Liebe, hinweiset; wenn Ihr dem Starken genug und dem Schwachen so viel gebet, als er braucht, wenn Ihr die Gewissensskrupel vermindert und allen die Süßigkeit des Friedens wünschenswert macht, so werdet Ihr dereinst mit der Überzeugung, Euer Amt wohl geführt zu haben, vor den Richterstuhl des Herrn treten können, der über Hirten und Schafe als Oberhirt allein zu richten das Recht hat. Ich bin mit aller Zärtlichkeit Euer Bruder *** Pastor zu **
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